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Pegida will in Villingen Grenzen überschreiten

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Zur heutigen Kundgebung sind auch Österreicher und Schweizer geladen – NPD-Stadtrat sieht „ideelle Nähe“ zu den Demonstranten
Veröffentlicht:02.03.2015, 09:27

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Sabrina G. schweigt. Seit Wochen reagiert die Anmelderin des Pegida-Ablegers SBH-Gida nicht auf Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“.

Das sperrige SBH steht für Schwarzwald-Baar-Heuberg, Pegida für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“.

Viel mehr ist dank Sabrinas Schweigen aber nicht klar. Dabei hätte man doch zu gerne gewusst, was die zierliche Blondine aus Villingen, die bisher nicht übermäßig öffentlich in Erscheinung trat, auf die Straße treibt. Für den heutigen Montag rufen Sabrina und ihr Team via Facebook immerhin zur mittlerweile dritten Pegida-Demonstration um 19Uhr vor dem dann wohl wieder aus Protest gegen sie verdunkelten Villinger Münster auf.

Gerücht reicht zur Gegendemo

SBH-Gida war im Januar der erste und lange Zeit auch einzige Pegida-Ableger Baden-Württembergs, der es auf die Straße geschafft hatte. Die vornehmlich in Ostdeutschland beheimatete „Bewegung“ hat es hierzulande bisher schwer. Nicht nur in Villingen-Schwenningen, wo die Gegendemonstranten bisher immer klar in der Überzahl waren.

In Stuttgart reichte Anfang Januar sogar nur das unbestätigte Gerücht einer Pegida-Demo, um Tausende Demonstranten für Toleranz auf die Straße zu bringen. Am vergangenen Dienstagabend gab es den ersten „Spaziergang“ (Pegidisten mögen das Wort „Demonstration“ nicht) in einer baden-württembergischen Großstadt, in Karlsruhe: Etwa 200Pegida-Anhänger standen etwa 700 Gegendemonstranten gegenüber, vier Polizisten wurden bei Ausschreitungen leicht verletzt.

Wie stark die im Osten zuletzt arg schwächelnde Pegida im Südwesten letztlich ist, bleibt unklar. Zwar wurden bei der damals noch zahlenmäßig starken Mutterdemo am 12. Januar in Dresden Ableger aus Baden-Württemberg begrüßt, unter anderem Stuttgart, Mannheim, Bodensee, Neckar-Alb und Ulm/Alb-Donau. Ob die aber überhaupt aus mehr als einer Facebook-Seite bestehen, bleibt offen.

Nicht ohne Grund: „Die verschiedenen Kürzel der Gidas sind Absicht. Ihr wisst schon lange nicht mehr, welche Gidas echt sind und welche nicht“, sagte ein Pegida-Sprecher in Dresden triumphierend Richtung Medien. Auf offizielle Anfragen der „Lügenpresse“ schweigen die Dresdner folglich ebenso beharrlich wie Sabrina G.

Dreiländereck-Pegida tritt auf

Bei Facebook ist das Orga-Team aus dem Südwesten dagegen umso redseliger: Diesmal solle alles größer werden als bei den ersten beiden Malen, als die Veranstalter nur jeweils zwischen 50 und 100 Menschen mobilisieren konnten: Als Gastredner wird der koptische Pastor und Islamkritiker Adel Fouad angekündigt.

Fouad ist bei Gruppierungen wie „Pro Deutschland“ ein gern gesehener Redner, seit er Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Brief geschrieben hat, in dem er davor warnt, dass der Islam die Weltherrschaft erringen will. SBH-Gida soll von der trinationalen „Pegida Dreiländereck“ (Deutschland, Schweiz, Österreich) verstärkt werden. Undenkbar ist das nicht: In beiden Nachbarländern gibt es bisher recht glücklose Pegida-Ableger. In Bregenz wurde für den 22.März eine Demo angemeldet, zurückgezogen, dann wieder angemeldet. Anmelderin ist laut Polizei eine Frau, die anonym bleiben wolle.

Doch zuerst Villingen . Denn es geht ja um viel: „Niemand wird später sagen, er hätte davon nichts gewusst. Kampflos werden wir unser christliches Europa niemals aufgeben!“ heißt es in dem Facebook-Aufruf. Selbst der AfD (Alternative für Deutschland) ist dieses Auftreten zu extrem. Noch während Teile der Bundespartei offen mit dem Dresdner Original flirteten, lehnte der AfD-Kreisverband Schwarzwald-Baar den örtlichen Ableger ab: SBH-Gida sei „offenbar von Anhängern des rechtsradikalen Spektrums dominiert“, erklärte Kreissprecher Joachim Senger.

Die Polizei rechnet für diesen Montagabend in Villingen mit etwa 1000 Demonstranten – neben Pegida haben sich zwei Gegendemos angemeldet. Zwar stuft das Polizeipräsidium Tuttlingen die Versammlungen „grundsätzlich als friedlich“ ein. Allerdings bestehe „aufgrund zurückliegender Ereignisse ein gewisses Konfliktpotenzial“, so ein Sprecher.

Mit Konfliktpotenzial meint die Polizei neben den Ausschreitungen von Karlsruhe wohl auch Zusammenstöße in Pforzheim in der vorigen Woche: Beim Gedenken an die verheerende Bombardierung der Stadt vor 70 Jahren versuchten linke Gegendemonstranten eine Fackelmahnwache von Rechtsextremisten zu stören. Dabei durchbrachen die Linken zwischenzeitlich eine Polizeiabsperrung, Berichten zufolge wurden neun Polizisten und etwa 14Demonstranten verletzt.

Auch nach einer der ersten Demonstrationen in Villingen gab es einen Zwischenfall, bei dem Pegida-Anhänger und -Gegner aneinandergerieten. Der ging laut Polizei zwar glimpflich aus. Doch Streit um Rechte und Linke hat es in Villingen-Schwenningen schon öfter gegeben.

NPD-Größe im Stadtrat

Immerhin gerät die Stadt in Sachen Rechtsextremismus öfter in die Schlagzeilen: Im Gemeinderat sitzt seit mehr als drei Jahrzehnten der ehemalige Biberacher Polizeiausbilder Jürgen Schützinger. Der war wegen seiner Gesinnung in den 1970er-Jahren aus der Polizei geworfen worden und war bis 2013 Landeschef der NPD. Im Stadtrat ist er Einzelabgeordneter der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH). Auch mit seiner Stimme hat das Gremium „Stolpersteine“ für ermordete Juden in der Stadt abgelehnt. Eine „organisatorische Verbindung“ zu SBH-Gida gebe es nicht, sagt Schützinger unserer Zeitung. Doch es gebe eine „ideelle Verbindung“.

Und es gibt Rechtsextremismus in Villingen-Schwenningen: Der Verfassungsschutz verortet hier die extremistische Skinheadband „The Slapguns“. Und Anfang 2014 störten fünf jugendliche Rechte in Schwenningen eine historische Stadtführung zur jüdischen Geschichte der Stadt. Ob diese zu den vom Verfassungsschutz beobachteten „Freien Kräften Schwarzwald-Baar-Heuberg“ gehörten, ist offen.

Hitlergruß und schwarze Fahne

Das Land sieht in der Region keine Hochburg der rechtsextremen Szene. Die „Antifaschistische Aktion Villingen-Schwenningen“ (Antifa VS) sieht das anders: Seit Jahrzehnten gebe es um Schützinger herum „faschistische Strukturen“ in der Region, erklärt ein „Michael“ von der Antifa VS auf unsere Nachfrage. Die linke Antifa hat am Montag zu einer der Gegendemos zur SBH-Gida aufgerufen. Die Pegida vermutet sie auch hinter der Plakatierung von „Stoppegida“-Aufklebern vergangene Woche in der Stadt. Die kleben so hartnäckig, dass der Sachschaden in die Tausende Euro geht

Für Michael ist klar: SBH-Gida vertritt mitnichten gemäßigte Positionen: „Auf den letzten Aufmärschen von SBH-Gida waren sehr viele klar erkennbare und/oder bekannte Faschisten. Mehrfach wurde außerdem der Hitlergruß gezeigt und bei der ersten Demo eine schwarze Fahne entrollt, die in der faschistischen Bewegung für die ,Freien Kameradschaften’ steht.“

Regionale Neonazigrößen, auch aus der Bodenseeregion, habe man beobachtet, zudem sei die Mobilisierung seitens der NPD von den Organisatoren der SBH-Gida stillschweigend akzeptiert worden.

Aus Dresden lernen

Gibt es also doch Verbindungen zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus? Johannes Kiess ist Rechtsextremismus-Forscher an der Universität Siegen und sagt: ja. Der Nährboden aus Ressentiments sei ähnlich. Und es entstünden durchaus Netzwerke in bestimmten Gegenden, wenn mehrere Extremisten sich in einer Region zusammenfinden. Wie in Dresden, wo sich einige Facebook-Freunde zu Pegida sammelten. Möglich sei das nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Südwesten. „Gerade in Baden-Württemberg gibt es ja bereits eine sehr organisierte Neonaziszene“, sagt er. Und es sei auch nicht ungewöhnlich, wenn diese sich grenzüberschreitend organisiert.

Und wie soll eine Stadt dann damit umgehen? Kiess schlägt vor, aus den schlechten Erfahrungen Dresdens zu lernen. Dort hatte man Pegida so lange ignoriert, bis die Bewegung Zigtausende Menschen versammelte. „Es ist sehr wichtig, früh ein starkes Zeichen zu setzen“, sagt Kiess. Nicht nur in Form einer Gegendemo. Auch mit einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Themen, die Pegida anspricht. Über Zuwanderung solle man sprechen, rät der Forscher.

Nicht unbedingt mit Pegida, sondern mit den Zuwanderern selbst.