StartseiteRegionalBaden-WürttembergNotarzt-Versorgung ist bedroht

Notdienst

Notarzt-Versorgung ist bedroht

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Bisheriges Modell könnte rechtswidrig sein – Landkreise und Verbände sind alarmiert
Veröffentlicht:13.09.2016, 15:46

Von:
Artikel teilen:

Kliniken, Mediziner und Rettungsdienste sehen das Notarzt-System in Baden-Württemberg in akuter Gefahr. „Sollte sich nicht rasch etwas ändern, droht das System zu kollabieren“, sagt Eduard Kehrberger, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft südwestdeutscher Notärzte (AGWSN). Der Grund: Viele Mediziner leisten den Rettungsdienst zusätzlich zu ihrer Festanstellung in einer Klinik . Dabei sind sie als Freiberufler tätig. Die Deutsche Rentenversicherung hält das für regelwidrig und sieht sich durch erste Gerichtsurteile bestätigt. „Die Politik muss hier schnell aktiv werden, sonst bekommen wir krisenhafte Verhältnisse “, sagte Alexis von Komorowski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Landkreistages der „Schwäbischen Zeitung“.

Schon während des Sommers sei es schwierig gewesen, jede Notarzt-Schicht zu besetzen. „Es gibt bereits erhebliche Defizite“, erklärte von Komorowski. Mindestens drei Viertel der Stadt- und Landkreise arbeiteten mit diesen so genannten Honorarärzten. Nach Schätzung de AGSWN wird im Schnitt mindestens jede Dritte Schicht landesweit mit einem Honorarnotarzt besetzt, in ländlichen Regionen bis zu 80 Prozent. „Ohne Änderungen wird es in absehbarer Zeit große Lücken in der Notarztversorgung geben“, so Kehrberger. Im Land seien in einigen Regionen bis zu 80Prozent der Notarzt-Schichten mit Honorarkräften besetzt, landesweit etwa jede dritte. Bereits Anfang des Jahres hatte der Bundesverband der Notärzte darauf hingewiesen, dass der Notarztdienst in Bayern fast vollständig auf Honorarmedizinern basiere.

Scheinselbständig oder nicht?

Die Kliniken im Land müssen Notärzte für den Rettungsdienst stellen. Wie sie dies organisieren, bleibt ihnen überlassen. Dabei gibt es es unterschiedliche Varianten. Die rechtlich unproblematischste: Die Mediziner, die in der Klinik angestellt sind, leisten die Notarztdienste im Rahmen ihres Vertrages mit dem Krankenhaus. Die Vergütung ist Teil ihres normalen Gehalts, die Dienste werden auch auf die Arbeitszeiten angerechnet. Damit zahlt die Klinik auf die Einkünfte aus dem Rettungsdienst Sozialabgaben.

Wenn Ärzte den Rettungsdienst zusätzlich zu ihrer regulären Anstellung versehen, bekommen sie einen Honorarvertrag für diese Tätigkeit. Sie sind freiberuflich im Einsatz. Viele Klinken schließen solche Verträge mit eigenen Medizinern ab, welche die Dienste außerhalb der Arbeitszeit leisten. Auch festangestellte Ärzte anderer Krankenhäuser sind im Einsatz. Ebenso kommen niedergelassene Mediziner mit eigener Praxis zum Rettungsdienst.

„Wir prüfen ohne Rücksicht auf Berufszweig“

Die Deutsche Rentenversicherung ( DRV ) prüft solche Verträge in ganz Deutschland – und fordert oft Sozialabgaben nach. Die Ärzte seien nicht freiberuflich tätig, weil sie Weisungsempfänger der Kliniken seien und von diesen für die Notarztschichten einteilt würden. Das falle unter den Tatbestand der Scheinselbständigkeit. Arbeitgeber, also die Kliniken, haben auch in Süddeutschland bereits Nachforderungen erhalten, Prozesse vor Sozialgerichten laufen. „Unser Auftrag ist es zu prüfen, ob Arbeitsverhältnisse legal sind, ohne Rücksicht auf einen Berufszweig“, sagt ein Sprecher der DRV.

Zwar könnten sich die Ärzte von der Sozialversicherungspflicht befreien lassen, weil sie in ihren regulären Jobs so viel verdienen, dass sie nicht in Renten und Krankenkasse einzahlen müssen. Es bleiben 1,5 Prozent des Verdienstes, den sie an die Arbeitslosenversicherung abführen müssen. Doch zum einen beklagen Ärzte den bürokratischen Aufwand. Zum anderen bliebe bei einer Befreiung ein anderes Problem: Die Ärzte wären dann bei der Klinik fest angestellt und sie dürften zusammen mit ihren übrigen Dienstverpflichtungen nur maximal 54 Stunden pro Woche arbeiten. „Das erreichen die meisten Kollegen an Kliniken bereits mit regulären Diensten“, so Kehrberger. Wenn die Mediziner die Notarztdienste innerhalb ihres normalen Jobs leisten, müsste die Klinik folglich mehr Ärzte einstellen. Das bestätigt ein Verantwortlicher einer Klinik mit mehreren Standorten. „Wenn ich Klinikärzte zum Rettungsdienst abstelle, um diesen zu sichern, müsste ich notfalls den Klinikbetrieb einschränken.“ Er will nicht, dass sein Haus genannt wird, weil er fürchtet, die Rentenversicherung könnte sonst aufmerksam werden. In Bayern rät die Kassenärztliche Vereinigung ihren Mitgliedern dringend, sich zum Thema von einem Fachanwalt beraten zu lassen.

Ärzte fehlen ohnehin schon

Aus Sicht der Kliniken ist es keine Option, mehr Notärzte einzustellen. Gerade auf dem Land haben Krankenhäuser Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Derzeit ist nur durch die zusätzlich zum normalen Job geleisteten Dienste sichergestellt, dass alle Schichten besetzt würden. „Sie bilden gerade im ländlichen Raum das Rückgrat des Notarztdienstes“, sagt Alexis von Komorowski vom baden-württembergischen Landkreistag.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat sich im Juli an das Bundesgesundheitsministerium gewandt. Er fordert, Ausnahmen für Ärzte zu schaffen. Das Ministerium hat einen Runden Tisch eingerichtet. Zuständig für Fragen der Sozialversicherungspflicht ist aber das SPD-geführte Bundessozialministerium. „Dort gibt es kein Problembewusstsein“, sagt Notarzt-Vertreter Kehrberger.