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Gesundheitsversorgung

Lucha erhöht Druck auf Krankenhäuser

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Modellprojekt deckt Lücken in der Gesundheitsversorgung auf
Veröffentlicht:06.02.2017, 16:30

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Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will in den kommenden Jahren die Gesundheitsversorgung im Land umkrempeln – hin zu weniger, dafür spezialisierteren Krankenhäusern, verbunden mit einer besseren ambulanten Versorgung. Besser vor allem dadurch, dass die Angebote stärker aufeinander abgestimmt werden. Das Konzept wird derzeit in einem Modellprojekt in den Landkreisen Ravensburg, Biberach und Reutlingen erarbeitet.

Passiert der Haushalt am 22. Februar den Landtag, investiert das Land in diesem Jahr den Rekordbetrag von fast 462 Millionen Euro in Krankenhäuser – sieben Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen bis zu 64 Millionen aus dem Krankenhausstrukturfonds des Bundes. Ziel des Fonds: Konzentration, Spezialisierung, Doppelstrukturen vermeiden.

Sanfter Druck

Mit dem Geld aus dem Fonds will Lucha einen Fahrplan für die Krankenhäuser im Land bis 2025 erreichen. Es wirke dabei als sanfter Druck auf die Krankenhausträger – Geld fließt dann, wenn etwa kleinere Einheiten geschlossen oder größere umgebaut werden, um wirtschaftlicher zu sein. „Wir bieten jetzt an, ihnen bei einem Übergang zu einer anderen Struktur zu helfen, statt irgendwann ihr Haus dicht machen zu müssen“, sagt Lucha. Er spricht aus Erfahrung: Noch als Mitglied des Ravensburger Kreistags hatte Lucha etwa Gelder für einen Standort der Oberschwabenklinik (OSK) in Isny befürwortet, obgleich die kleine Klinik den Veränderungen im Gesundheitswesen nicht gewachsen war. „Ich wusste eigentlich, dass das nicht gut war“, sagt Lucha heute. Schließlich wurde das Haus geschlossen. Dass die Zahl der Krankenhäuser im Land in den nächsten 20 Jahren von 250 auf 200 zurückgehen wird, wie er es kürzlich der „Stuttgarter Zeitung“ sagte, will Lucha lieber nicht wiederholen.

Bei der OSK sind die Hausaufgaben aus Sicht von Lucha gemacht worden. Zur drohenden Kannibalisierung des OSK-Standorts Elisabethenkrankenhaus Ravensburg und dem benachbarten Krankenhaus 14Nothelfer in Weingarten, das zum Klinikum Friedrichshafen gehört, will er sich nicht äußern. Stattdessen sagt er: „Ich appelliere an die Krankenhausträger, so zu kooperieren, dass sie sich nicht gegenseitig kannibalisieren. Wir schauen uns jede Region genau an. Letztlich ist es den Menschen doch egal, ob sie 28 oder 30,5 Minuten fahren.“ Es gebe gute Beispiele – etwa in Karlsruhe, wo zwei kirchliche Träger fusioniert sind. „Andere wollen wir vom zukunftsfähigen Weg noch überzeugen“, sagt Lucha.

Seine mahnenden Worte, den Strukturwandel selbst zu gestalten, bevor es zu spät ist, haben etliche Träger vernommen. Mit dem Geld aus dem Strukturfonds sollen landesweit sieben Projekte realisiert werden. Welche das sind, will Lucha im Juli verkünden. Es gäbe sogar drei Projekte auf der Warteliste, falls andere Länder Gelder aus dem Strukturfonds des Bundes nicht abriefen.

In Zeiten von Ärztemangel und einer älter werdenden Gesellschaft gerät die Gesundheitsversorgung insgesamt unter Druck. „Wenn man das Geld nicht zweimal für das gleiche ausgibt, ist genug Geld da“, sagt Lucha. Vor einem Jahr hat dafür eine Modellregion – die Landkreise Ravensburg, Biberach und Reutlingen – begonnen, die Versorgung der Zukunft zu entwickeln. Das damals noch von der SPD geführte Sozialministerium hat für das Projekt eine Million Euro bereitgestellt. Es ist auf zwei Jahre angelegt und wird wissenschaftlich begleitet. Beteiligt sind Kommunalpolitiker sowie Vertreter sämtlicher Organisationen aus Gesundheit und Pflege vor Ort.

Wochenlange Wartezeit

Zur Halbzeit zieht Sozialminister Lucha eine positive Zwischenbilanz: „Das Modellprojekt gibt für die Region positive Impulse.“ Die Datenerhebung zum Zustand der ambulanten und stationären Versorgung sei abgeschlossen, bis März werde der aktuelle Zustand mit dem erwarteten Bedarf abgeglichen. Der Blick der Wissenschaftler richtet sich dabei auch auf die Schnittstellen zur Pflege sowie zur Gesundheitsförderung und Prävention.

„Wir haben eine Versorgungslücke“, sagt Lucha. „Problematisch sind die Schnittstellen zur Nachsorge. Im Krankenhaus wurde ein Fall gut behandelt, aber dann kommt es zum Bruch beim Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung – gerade bei Entlassungen am Wochenende.“ Experten sollen nun Vorschläge erarbeiten, wie es besser geht. Ein Knackpunkt zeige sich zudem in der Behandlung und Betreuung von Patienten mit psychischen Erkrankungen, etwa bei Depression oder Magersucht, aber auch von Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen. Hier betrage die Wartezeit auf einen Therapieplatz oft Wochen und Monate.

Hintergrund: Bürger bringen sich ein

Nachdem die Gesundheitsexperten ihre Sicht eingebracht haben, sind nun die Bürger dran. Zuletzt waren betroffene Menschen angesprochen, sich bei Gruppendiskussionen in den drei Landkreisen – aufgeteilt nach den sieben untersuchten Krankheiten – einzubringen. Die meisten Veranstaltungen fanden Ende Januar statt – die „Schwäbische Zeitung“ hatte in den Lokalteilen zur Teilnahme aufgerufen. In der zweiten Jahreshälfte soll ein Bürgerdialog mit allen am Projekt beteiligten Experten und Betroffenen sowie deren Angehörigen folgen. Bevor der Abschlussbericht Ende des Jahres veröffentlicht wird, soll mit den Bürgern über die erarbeiteten Handlungsempfehlungen diskutiert werden. (kab)