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Landesgartenschau: Eine Allee entzweit Überlingen

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Landesgartenschau: Eine Allee entzweit Überlingen
Veröffentlicht:26.08.2016, 16:49

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„Die Allee wäre dann weg, rund 70 Bäume müssten gefällt werden, vor allem Platanen“, sagt Dirk Diestel. Er ist Sprecher der BÜB, drei Buchstaben, die für Bürgergemeinschaft für Überlinger Bäume stehen. In der altehrwürdigen Stadt am westlichen Bodensee bekommt inzwischen mancher brave Bürger ein zornrotes Gesicht, hört er das Kürzel. Für andere ist es die letzte Hoffnung für die Allee. Diestel zeigt sie mit Stolz, meint: „Ein Wahnsinn, wenn hier die Motorsäge zum Einsatz kommt.“

Schuld wäre ausgerechnet eine Landesgartenschau , eigentlich etwas Bezauberndes, Festliches, Bürgerverbindendes könnte man meinen. Für 2020 ist sie angesetzt. Der Entwurf dafür sieht das Beseitigen der Allee vor. Aber nun gibt es Diestel und die BÜB – sowie tiefe bürgerliche Zerwürfnisse, denn das andere Lager fürchtet um seine schönen, weit gediehenen Gartenschau-Pläne. Zuletzt hat ein örtlicher, dem BÜB nahestehender Rechtsanwalt Fach- und Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen die Spitze der Stadtregierung eingelegt. Vom Gemeinderat wurde wiederum Mitte August ein beantragtes Bürgerbegehren der AlleeFreunde abgelehnt. Nur zwei Linke stimmten anders ab.

Selbst die sonst so Volksentscheid-freundlichen Grünen senkten den Daumen. Aus rechtlichen Gründen, so sei etwa die Einhaltung von Fristen versäumt worden, wie sie sagten. Im prächtigen gotischen Ratssaal anwesende BÜB-Aktivisten wurden Ziel von harschen Worten aus den Reihen der Gemeinderäte. Einer schimpfte etwa: „Ihr seid doch gegen alles.“ Allee-Freunde berichten, sie würden in der Stadt geschnitten. Einer, der vorsichtshalber seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, sagt, er habe wegen seiner BÜB-Arbeit ein Lokal verlassen müssen.

„Teilweise sind die Platanen rund 120 Jahre alt“

So heizt sich die Atmosphäre in Überlingen weiter auf. Eine Mischung aus Fakten, Beschuldigungen sowie schwer nachprüfbaren Erzählungen macht eine sachliche Diskussion schwierig. Dabei ist beim Schlendern unter den Allee-Bäumen der BÜB-Standpunkt durchaus nachfühlbar. Teils altersknorrig geworden ziehen sie sich entlang einer holprigen Landstraße, die auf den westlichen Stadteingang von Überlingen zuläuft. Radler rollen im Schatten zur nahen Therme. Wind spielt in den Blättern der Bäume.

„Teilweise sind die Platanen rund 120 Jahre alt“, berichtet Diestel. Vielleicht auch nur 90 Jahre. Selbst in solchen Fragen ist man sich in Überlingen nicht mehr einig. Aber zurück zur Allee. Von ihr aus wenige Schritte nach Süden hin schickt der Bodensee kleine Wellen gegen eine 350 Meter lange und gut drei Meter hohe Trockenmauer aus der Zeit um 1900. Hochwertiger Rohrschacher Sandstein ist für diese Uferbefestigung verbaut worden. Wie die Allee soll auch sie größtenteils weg, um einen strandartigen Seezugang zu schaffen. Ein Abriss, an dem sich die BÜB ebenso stört.

Allee, Mauer und See zusammengefasst bilden eine Szenerie, die zumindest bei Sonnenschein oberitalienischen Charme hat. Schwenkt der Blick landeinwärts, wird aber auch deutlich: Eine Landesgartenschau wäre an diesem Ort eine Chance. Nördlich der Allee hat der Charme nämlich ein Ende. Erst kommt eine alte Gewerbebrache, auf der einst ein Baumarkt stand. Sie ist gegenwärtig ein hässlicher Parkplatz. Dahinter verläuft die Eisenbahnlinie Richtung Hegau. Anschließend fällt das Auge auf eine Felswand, die oben wie unten von Gestrüpp überwuchert ist. Sie verbirgt übrigens einen geschichtlichen Schrecken: den Goldbacher Stollen. Von 1944 bis 1945 mussten KZ-Häftlinge Kavernen ins Gestein brechen. Sie sollten den Friedrichshafener Rüstungsschmieden als bombensicherer Zufluchtsort dienen.

Weder Nazi-Kavernen noch Felsen oder Gleise gehören zum Gelände der Landesgartenschau. Aber sie sind eben unverrückbar da. Umgestaltet werden soll dagegen der schmale Uferstreifen zwischen Schienen und Bodensee. In Längsrichtung geht es von der Stadt mehr als einen Kilometer bis zur 1200 Jahre alten Silvesterkapelle. Sechs Hek-tar sind betroffen. Es ist das Hauptgelände für die Schau. Für sie wird dort nebenbei noch ein beliebter Campingplatz geopfert, der nach dem Krieg auf Abraum aus dem Goldbacher Stollen angelegt worden war. Um den Erhalt der Ferienanlage war zeitweise auch heftig gerungen worden.

Das Camping-Thema ist aber erledigt. Selbst Diestel und die BÜB wollen nicht mehr daran rühren. „Da gibt es zwar noch vier wunderschöne Trauerweiden und den einzigen Badeplatz am Ufer. Müssten aber auch für den Campingplatz die Pläne der Landesgartenschau geändert werden, würde der Zeitplan gefährlich eng werden“, weiß der BÜB-Sprecher. Er betont: „Wir sind nicht gegen die Landesgartenschau. Wir wollen nur, dass Allee und Trockenmauer integriert und nicht entfernt werden.“

Dass dieses Ansinnen nun so hochgekocht ist, hat Stadtverwaltung wie Gemeinderat auf dem linken Fuß erwischt. Um nur alles richtig zu machen, hatten sie die Bürger frühzeitig mit ins Boot genommen. Am Anfang stand dabei die Überlegung, wie der westliche Stadtzugang aufgehübscht werden könnte. Die Organisation einer Landesgartenschau kam den Stadtoberen verlockend vor: So etwas verspricht Landeszuschüsse. Im Überlinger Fall sind es fünf Millionen Euro. Das macht fast die Hälfte der veranschlagten Kosten für die Daueranlagen aus. Weiteres Geld kann für Öko-maßnahmen abgegriffen werden. Dies wäre bei der vorgesehenen Ufer-Neugestaltung der Fall.

2012 wurde das Projekt ausgeschrieben. 27 Entwürfe gingen ein. Einer gewann. Auf Grundlage dieses Entwurfs setzte die Stadt im folgenden Jahr einen Bürgerentscheid an. Mit knapp 60 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde die Landesgartenschau befürwortet. Damit hätte alles klar sein können. „Überall sonst wäre das Votum von den Gegnern akzeptiert worden, nur hier nicht“, wundert sich Robert Leitner, Geschäftsführer der extra gegründeten Organisationsgesellschaft für die Landesgartenschau.

Aber Gegner wollen die BÜB-Leute ja nicht sein. Sie möchten bloß eine Planänderung. Selbst BÜB-Sprecher Diestel betont immer wieder, er habe seinerzeit beim Referendum mit Ja gestimmt. Erstaunlicherweise ist jedoch bereits auf den damals vorliegenden Plänen zu sehen, dass Allee sowie Trockenmauer weichen müssen. Verantwortlich für den Entwurf ist die in Berlin ansässige Landschaftsarchitektin Marianne Mommsen. Sie staunt und meint: „Ich habe keine Erklärung für die Situation. Auch wir sind völlig überrascht, dass man zum jetzigen Zeitpunkt die Planung in ihren wesentlichen Grundlagen infrage stellt.“

Letztlich begann die aktuelle Misere zum Jahresanfang. Der Gemeinderat beschloss den leicht modifizierten Mommsen-Plan. Im April lud daraufhin der renommierte örtliche Landschaftsarchitekt Johann Senner zu einem Bürgerspaziergang ans Ufer ein. Er hatte einst die erfolgreiche Bewerbung der Stadt für die Landesgartenschau vorbereitet, war aber schließlich auf Distanz zum genehmigten Entwurf gegangen.

Heute mag er am liebsten nichts mehr vom Projekt hören. Sein Spaziergang führte aber dazu, dass Teilnehmern erst richtig bewusst wurde, welche Umgestaltungen auf dem Gelände anstehen. Die Geburtsstunde der BÜB schlug. Ihre Mitglieder haben auch eine Erklärung dafür, warum dies so spät geschah: Die Pläne seien schwer verständlich gewesen, Aussagen dazu hätten zu Missverständnissen geführt. So will Mommsen eine Baumreihe im Anschluss an die Allee erhalten. Dies führte offenbar zu einer Verwechslung. Mancher Bürger verstand die Absicht als Schutz für alle Bäume.

Ein Kulturdenkmal

Im Mai wurde die Lage noch komplizierter: Das Landesdenkmalamt stufte die Allee als Kulturdenkmal ein. Im Rathaus wurde die Nachricht wochenlang zurückgehalten. Dies sorgte für neue Empörung bei der BÜB. Sie wittert eine städtische Verschwörung, denn in ihren Reihen gilt der Denkmal-Bescheid als ultimatives Mittel, um die Motorsägen von den Platanen fernzuhalten. Die parteilose Oberbürgermeisterin Sabine Becker sieht dies anders: „Zuerst muss geprüft werden, was das Denkmalamt überhaupt will.“ So sei unklar, welche Baumreihen gemeint seien.

Becker möchte mit den Bauarbeiten für die Landesgartenschau im Herbst beginnen. Von Umplanungen hält sie nichts: „Sollten Allee und die jetzige Uferbefestigung erhalten bleiben, wird es keine Landesgartenschau geben.“ BÜB-Sprecher Diestel sieht wiederum in Umplanungen für den Erhalt der Bäume und der Mauer kein Problem. Es sei noch Zeit genug. Er hat bereits angekündigt, dass die BÜB wegen des kürzlichen Ablehnens ihres Bürgerbegehrens vor Gericht ziehen will. Der Konflikt geht also weiter. Gegenwärtig scheint nur klar zu sein: Ein unbeschwertes Bürgerfest dürfte die Landesgartenschau kaum noch werden.