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Rechtsstreit

Kühe sollen künftig per GPS geortet weden

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Ein Rechtsstreit in Vorarlberg könnte der Anfang vom Ende für die traditionelle Kuhglocke sein
Veröffentlicht:18.01.2017, 18:41

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Alles verschneit. Auf glatten Bergstraßen drehen immer wieder die Autoräder durch. Momentan ist es wirklich kein Vergnügen, nach Dafins hochzufahren. Das Vorarlberger Dorf liegt abseits der Hauptverkehrsrouten in den westlichen Ausläufern des Bregenzerwaldes. Ein unscheinbarer Flecken, Häuser am Dorfweg, Kirche, Gasthaus und ein Laden, der zweimal die Woche aufmacht. Womöglich ist aber ausgerechnet dort das Ende der traditionellen Kuhglocke eingeläutet worden. Dies hat mit einem gerichtlichen Vergleich zu tun, der kurz vor dem Jahreswechsel geschlossen wurde. Kuhglocken werden demnach hier oben gegen GPS-Sender ausgetauscht. Die Tiere sollen also künftig nicht mehr durch Bimmeln gefunden werden, sondern durch Satellitenortung.

Ein Präzedenzfall

Kuhglocken sind immer mal wieder umstritten. Es gibt Klagen über eine angebliche Lärmbelästigung. Ebenso existieren Behauptungen, das dauernde Bimmeln würde die Tiere schinden. „Für Kuhglocken-Gegner könnte der Vergleich wirklich ein Präzedenzfall sein“, lautet dann auch die Befürchtung einer Dafinser Frühschoppen-Runde. Fünf ältere Herrschaften haben sich dazu in der ehemaligen Sennerei eingefunden. Den Abschied von der Glocke will keiner: „Das ist doch Unsinn. So verraten wir unsere Traditionen.“ Vom örtlichen Glockenstreit sind die Männer nur noch genervt – zumal es sich in ihren Augen um eine Dorfposse handelt. „Da sind zwei aneinandergeraten, die keine einfachen Menschen sind“, meint einer aus der Runde.

Die Kontrahenten sind alteingesessene Nachbarn. Einer verpachtet seinen Grund an einen Bauern, der andere vermietet Ferienwohnungen. Auf der Wiese stehen im Frühjahr und Herbst jeweils für vielleicht drei Wochen fünf oder sechs Stück Vieh. Vor gut eineinhalb Jahren geschah es, dass die Kühe mit ihren Glocken immer wieder gegen eine blecherne Tränke schlugen. Das Wasserbassin stand in Richtung Ferienwohnungen. Angeblich fühlten sich Gäste durch einen „Höllenlärm“ gestört. So lautete die Aussage des Ferienwohnungsvermieters vor dem zuständigen Feldkircher Bezirksgericht. Er verlangte das Ablegen der Kuhglocken. Der Wiesenverpächter wollte davon jedoch nichts wissen und seinem Bauern auch keine entsprechende Anweisung geben.

Ein Augenschein vor Ort legt nahe, dass wohl bereits das Verlegen der Tränke das Problem gelöst hätte. Dazu kam es nicht. Der nun geschlossene Vergleich sieht vor, dass der Wiesenverpächter die Gerichtskosten trägt, während der Ferienwohnungsbesitzer für 3000 Euro GPS-Sender anschafft. Diese sollen dann wiederum dem Bauern ausgehändigt werden, der sein Vieh auf die Wiese treibt. Ob’s funktioniert, ist unklar. Jetzt herrscht erst einmal Winter. Des Weiteren sind beide Kontrahenten gegenwärtig für ein Statement nicht zu erreichen. Aber der Chef der Vorarlberger Landwirtschaftskammer hat sich inzwischen gemeldet. Dabei handelt es sich um Josef Moosbrugger. Zum GPS-Kompromiss meint er: „Ein genereller Lösungsansatz ist es nicht.“ In bergigen Regionen würden Kuhglocken eben zur ortsüblichen Landwirtschaft gehören.

Dies sehen die Bergbauern im benachbarten Allgäu ebenso. Michael Honisch, Geschäftsführer des dortigen Alpwirtschaftlichen Vereins, sagt kurzum: „Ohne Schellen wäre Weidehaltung im Gebirge kaum möglich.“ Dies ist auch die Position der Landwirte im Appenzellerland, in Oberbayern, in Tirol. Letztendlich trifft dies auf alle bäuerlichen Kreise zu, die irgendwo Alpwirtschaft betreiben.

Der Grund für das seit Menschengedenken übliche Verwenden von Kuhglocken ist simpel: Das Vieh kann durch das Bimmeln leichter gefunden werden. Dies ist nötig, sollten sich die Tiere in einer unübersichtlichen Landschaft verlaufen haben oder Nebel und starker Regen die Sicht erschweren. Altausgeübte Praxis seit Menschengedenken. Dass gegnerische Stimmen laut werden, ist eher ein junges Phänomen. Im Herbst 2015 ging beispielsweise ein Prozess in Oberbayern durch die Medien. Betroffen war der südlich von München gelegene Weiler Föching. Dort darf nun eine Bäuerin auf Teilen ihrer Weide dem Vieh keine Glocken mehr umhängen. Geklagt hatte in diesem Fall auch der Nachbar. Ihm war das Gebimmel auf die Nerven gegangen.

Kurzzeitig richtig Furore gemacht hat aber eine 2014 bekannt gewordene Studie. Sie entstand an der Eidgenössischen technischen Hochschule in Zürich. Hierfür hatte die Nachwuchswissenschaftlerin Julia Johns das Verhalten von 19 Kühen untersucht. Ihnen war unter anderem für drei Tage eine fünfeinhalb Kilogramm schwere Glocke umgehängt worden. Johns konnte dabei teilweise einen Schallpegel von 120Dezibel feststellen. Dies entspricht Presslufthammer-Lärm. Die Wissenschaftlerin wollte auch festgestellt haben, dass die Kühe bei einer solchen Beschallung weniger fressen. Eine in der Schweiz lebende niederländische Öko-Aktivistin gründete daraufhin den Verein Kuhglocken out und sorgte für Medienrummel. Die radikale Tierschutzorganisation Peta sprach von „Tierquälerei“. Sie forderte ein Verbot von Kuhglocken.

Als Ersatz wurden aus solchen Kreisen immer wieder GPS-Sender ins Gespräch gebracht. Die entsprechenden Chips könnten umgehängt oder eingepflanzt werden, lauteten die Vorschläge. Gleichzeitig zerpflügten Bauernvertreter die Johns-Studie: Sie ginge völlig an der Wirklichkeit vorbei. Dies stimmt insoweit, dass auf den Weiden keine fünfeinhalb Kilogramm schweren Glocken zum Einsatz kommen. Sommers kann dies bereits jeder Bergwanderer vom Anschauen her abschätzen. Von Agrarverbänden heißt es, das Gewicht der verwendeten Glocken würde meist zwischen 600 Gramm und maximal 1,5 Kilogramm liegen – leichtere für Jungvieh, schwerere für ausgewachsene Kühe. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Während des Alpabtriebs im Herbst tragen viele Tiere zur Feier des Tages große Prunkglocken.

Beim bayerischen Landesverband des Tierschutzbundes kann man mit dieser gegenwärtigen Situation mehr oder weniger leben. Dessen Geschäftsstellenleiter Andreas Brucker betont zwar: „Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn die Tiere keine Glocken tragen würden.“ Er ergänzt jedoch, dass die Bauern bei einer entsprechenden geografischen Lage der Weiden „eine Möglichkeit brauchen, um ihre Kühe zu finden – und zwar tagtäglich“. Dies laufe auf die Glocke hinaus, weil nach seinen Worten eine GPS-Ortung gerade in schwierigem Gelände nicht überall möglich sei. Brucker sieht zudem bei einer Einführung satellitengestützter Systeme „beträchtliche Kosten auf die Bauern zukommen“, die sie angesichts „der miserablen Milchpreise nur schwer tragen könnten“.

Keine Erfahrung mit GPS

Brucker verweist darauf, dass es in Deutschland kein Gutachten gibt, das Kuhglocken als schädlich einstuft. Auch Paul Münsterer, Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer und Rinderexperte, ist nichts bekannt. Er meint lakonisch zur Glocken-Diskussion: „Wir haben noch nie ein Problem fürs Tierwohl festgestellt.“ Ob dies bei der Verwendung von GPS auch so sei, könne noch nicht gesagt werden. Es fehle auf diesem Gebiet an Erfahrungen. Münsterer erinnert an „eine möglicherweise belastende Strahlung durch die GPS-Sender“.

Während die Frage nach Gesundheitsschädigungen durch eine Satellitenortung noch unbeantwortet ist, gibt es im Gegenzug bereits Studien zur reinen Praktikabilität solcher Systeme. Hier hat sich unter anderem die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft engagiert. Nach ihren Recherchen existiert gegenwärtig nur in Skandinavien ein System, das für weitläufige Weideflächen taugt. Dies sei jedoch in Mitteleuropa nicht zu bekommen. Dort verfügbare GPS-Systeme könnten höchstens in Stallnähe oder auf kleinen, überschaubaren Weiden eingesetzt werden.

Auf dieses Problem scheinen im Übrigen auch die Kuhglocken-Kontrahenten im vorarlbergischen Dafins gestoßen zu sein. Wie zu hören ist, fiel deshalb die Wahl auf eine Variante für Hunde. Wie erwähnt, trägt der Kläger dafür die Kosten. Nach dem gerichtlichen Vergleich ließ er sich vom österreichischen Fernsehen mit den Worten zitieren: „Ich hoffe, dass der Landwirt eine Riesengaudi mit dem GPS hat.“ Immerhin kann dieser von daheim aus den Standort seiner Kühe ausmachen, sollte er die Sender im nächsten Frühjahr wirklich benutzen.

Ohne das Weidegebimmel würde es im Dorf noch stiller. Vor einigen Jahren hatte schon ein zugezogener Städter durchgesetzt, dass zumindest nächtens die Kirchenglocken schweigen.