StartseiteRegionalBaden-WürttembergKontroverse um Frauenanteil im Landtag

Am Ende

Kontroverse um Frauenanteil im Landtag

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Reform soll zu mehr weiblichen Abgeordneten führen. Kritiker bei Grünen und CDU lehnen die Pläne ab.
Veröffentlicht:27.12.2017, 16:01

Von:
Artikel teilen:

Baden-Württemberg rühmt sich gerne damit, in vielen Vergleichen einen Spitzenplatz unter den Bundesländern einzunehmen. Doch ausgerechnet beim Frauenanteil im Landesparlament liegt das Musterland am Ende der Rangliste.

25,3 Prozent der Abgeordneten sind Frauen, damit belegt man den letzten Platz in Deutschland. Grüne und CDU haben vereinbart, das Landtagswahlrecht zu ändern. Doch die Gespräche darüber stocken. Verhandler beider Seiten zweifeln, ob es zu einer Einigung kommt. Selbst bei den Grünen, die sich als Vorkämpfer der Reform verstehen, gibt es Gegner.

Seit November diskutieren die Regierungsfraktionen über die Frage. Im Koalitionsvertrag bekräftigen beide Parteien, das bisherige Wahlrecht um eine Liste ergänzen zu wollen (siehe Erklärung unten). Das nach außen bekundete Ziel: Es sollen mehr Frauen den Sprung ins Landesparlament schaffen. Das Kalkül: Selbst wenn in einigen Wahlkreisen keine Frauen ins Rennen gehen, könnten die Parteien Kandidatinnen auf eine Landesliste setzen. Diese gibt es in Baden-Württemberg bislang nicht, anders als in vielen anderen Bundesländern und bei Bundestagswahlen. Befürworter sehen einen direkten Zusammenhang. Überall da, wo es Listen gebe, sei der Frauenanteil höher als in Ländern ohne ein solches Element.

Verträge einhalten

In der CDU ist es vor allem die Frauen-Union, die auf diese Änderung pocht. Bei ihr steht CDU-Landeschef Thomas Strobl im Wort. Doch in der CDU-Fraktion gibt es erhebliche Widerstände. Aus Strobls Umfeld heißt es, die Landtagsabgeordneten müssten sich bewegen und anerkennen, dass bestehende Verträge einzuhalten seien. Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionschef, sagt zu der Debatte: „Wir führen diese Diskussion offen mit den Grünen, unseren Abgeordneten und unserer Landespartei. Am Ende muss man sich dann einigen.“

Die Grünen haben sich längst eindeutig positioniert. So heißt es im Programm für die Landtagswahlen 2016, das geltende System sei verantwortlich für den geringen Frauenanteil im Parlament: „Das ist ein Skandal.“ Thekla Walker, Fraktionsvize, sagt denn auch: „Die Zeit ist reif – wir Grünen wollen das Thema nun zügig voranbringen. Die Grünen-Landtagsfraktion ist klar aufgestellt – jetzt liegt es an der CDU.“

Interessen der Wähler regional verschieden

Dabei gibt es auch bei den Grünen Widerstand. Bei einer Abstimmung votierten neun Parlamentarier gegen eine Änderung des Wahlrechts, darunter nicht nur Männer. Teilnehmer der Sitzung berichten, in der Debatte habe es noch erheblich mehr Kritiker gegeben. Diese hätten sich aber dem Druck gefügt. Denn Hinweise, was die Partei wünscht, werden bei den Grünen durchaus an Abtrünnige ausgegeben, erzählen Parlamentarier.

Einer der grünen Reformgegner begründet seinen Widerstand so: „Es fällt Mandatsträgern doch heute schon sehr schwer, unabhängig zu agieren und mal eine Gegenposition zu ihrer Partei einzunehmen“, sagt der Grüne.

Nicht Frauen fördern, sondern Macht sichern

Dabei seien Abgeordnete doch ihren Wählern im Wahlkreis verpflichtet, deren Interessen seien regional verschieden und nicht immer im Einklang mit einer Parteilinie. Das aktuelle Wahlrecht gewähre Parlamentariern da mehr Spielraum als andere Modelle. Es zähle vor allem, was ein Abgeordneter für den eigenen Wahlkreis erreiche. Mit Einführung einer Landesliste wachse der Einfluss der Partei. Bei der Nominierung für eine solche Liste entschieden schließlich nicht die Mitglieder der Partei im Wahlkreis, sondern Delegierte aus dem ganzen Landesverband. „Letztlich geht es weniger darum, Frauen zu fördern als der Partei Macht zu sichern.“

Diese Argumente führen auch CDUler an. Marion Gentges, Abgeordnete aus der Ortenau, sagt: „Ich persönlich halte das bestehende Landtagswahlrecht für gut. Es bindet die Abgeordneten stark an ihren Wahlkreis und die Bürger dort.“ Landespartei und Fraktion der Union haben derzeit einen Frauenanteil von einem Viertel, bei den Grünen sind es 46 Prozent. Gentges sieht die Ursachen für den geringen Frauenanteil weniger im Wahlrecht und eher bei der CDU selbst. „Möglicherweise müssen wir uns als Partei fragen, warum wir nicht attraktiver für junge Frauen sind. Wir sollten vielleicht darüber reden, ob unsere Themen für diese Zielgruppe interessant sind – und die Formate, in denen wir unsere Arbeit organisieren.“

Eigen- vor Fraueninteressen

Andererseits spielen auch starke Eigeninteressen eine Rolle. Denn es gibt auf beiden Seiten Abgeordnete, die es durch die sogenannte Zweitauszählung in den Landtag geschafft haben(siehe Erklärung unten). Viele müssten bei einem Listenwahlrecht fürchten, trotz guter Stimmergebnisse im Wahlkreis nicht mehr in den Landtag einzuziehen. Auf Listen werden oft Prominente abgesichert, falls diese ihre Wahlkreise nicht gewinnen. Außerdem stehen dort Kandidaten, die aus Quotengründen einziehen sollen – also Frauen oder Politiker aus bestimmten Landesteilen.

Am 24. Januar wollen sich Grüne und CDU erneut treffen. Die oppositionelle SPD fordert schon jetzt, mit einbezogen zu werden. „Es ist gute Tradition in Baden-Württemberg, dass eine Regierung nicht im Alleingang das Wahlrecht ändert“, sagt SPD-Mann Wolfgang Drexler. Schließlich könne sich sonst jede Regierung ein Wahlrecht zimmern, das ihr Vorteile bringe. „Wir erwarten, dass Grüne und CDU da auf uns zukommen.“

Bürger haben nur eine Stimme

Derzeit dürfen Bürger bei Landtagswahlen ein Kreuzchen machen. Damit wählen sie den Abgeordneten in ihrem Wahlkreis. Der wird von den örtlichen Verbänden der Parteien nominiert. Die Mitglieder wählen also den Kandidaten, den sie ins Rennen schicken. 70 Sitze im Landtag werden so vergeben. Außerdem wird ausgezählt, wie viele Stimmen eine Partei im Land auf sich vereinigen konnte. Dabei kommt es oft zu einem Ungleichgewicht. Eine Partei gewinnt zum Beispiel 35 Sitze, hat aber keineswegs 50 Prozent aller Stimmen im erreicht. Deswegen gehen Ausgleichsmandate an Parteien, die mehr Stimmenanteile haben als direkt gewonnen Sitze. Aus diesem Grund hat der Landtag insgesamt 147 Sitze, also 77 mehr als Wahlkreise.

Wer diese Ausgleichssitze bekommt, richtet sich danach, wie viele Stimmen ein Kandidat in seinem Wahlkreis erzielt. Pro Regierungsbezirk wird geschaut, wer von den unterlegenen Direktkandidaten die besten Ergebnisse einfahren konnte. An sie fallen dann die Sitze.