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Ökosystem

Kleiner Krebs, große Wirkung

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Mittlerweile tummeln sich 800 fremde Arten zwischen Lindau und Konstanz
Veröffentlicht:30.10.2014, 21:06

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Sie sind winzig klein, können aber ganze Ökosysteme kollabieren lassen. Im Bodensee machen fremde Arten, sogenannte Neozoen , an manchen Stellen inzwischen bis zu 90 Prozent der Biomasse aus. Ob die kleinen Krebse, Garnelen oder Muscheln für einheimische Arten Nahrungskonkurrenten oder Nahrungsquelle sind, beschäftigt Forscher und Fischer am Bodensee gleichermaßen. Letztere schlagen Alarm wegen ständig sinkender Fangerträge.

Etwa 800 fremde Arten gibt es inzwischen im Einzugsgebiet des Bodensees. Eingeschleppt wurden sie – bewusst oder unbewusst – mithilfe des Menschen. Sie sitzen im Kühlwasser von Segelbooten, hängen am Taucheranzug oder kleben am Schiffsbauch fest. Wenn diese über Land von einem See zum anderen transportiert werden, reisen die kleinen Tiere mit.

Nach vier Jahren im gesamten See

Der Höckerfloh-Krebs, im Englischen wegen seiner aggressiven Verbreitung auch „killer shrimp“ genannt, wurde 2003 bei Routineproben erstmals entdeckt. Vier Jahre später hatte er sich bereits im ganzen See verbreitet. Der Kleinkrebs wird in anderen Darstellungen auch als „Mördergarnele“ bezeichnet.

2006 tauchte als Fremdling die Donau-Schwebegarnele auf, die ursprünglich aus dem Schwarzmeerraum stammt und nur sechs bis elf Millimeter misst. „Wir hatten ursprünglich Angst vor der Schwebegarnele“, sagt Peter Rey , Biologe am privaten Forschungsinstitut für Gewässerökologie Hydra in Konstanz. Die Begründung: „In den USA war sie in den 1990er-Jahren bewusst in einen See eingesetzt worden, um den Fischbestand zu erhöhen, aber stattdessen hat sie den Lachsen das Futter weggefressen und daraufhin ist der Fischbestand eingebrochen.“

Im Bodensee sei die Entwicklung jedoch anders verlaufen, sagt Rey: „Offensichtlich hat die Garnele im Bodensee bisher ungenutzte Nahrungsreserven aufgetan, sodass sie die Biomasse im See insgesamt erhöht hat. Und die Fische haben gelernt, sie zu fressen.“ Felchen hätten vor allem im Winter dadurch zusätzliche Nahrung, glaubt Rey.

Dass sich die Neozoen „massenhaft vermehren können“, zeige außerdem, dass der Bodensee immer noch viele Nährstoffe besitze. „An bestimmten Stellen wurden 5000 bis 6000 Stück Körbchenmuscheln pro Quadratmeter gefunden“, berichtet Rey. „Die werden langsam auch von Karpfen, Aalen und Welsen gefressen. Von der Schwebegarnele gibt es an manchen Stellen im See bereits Wolken mit mehreren Millionen Tieren.“

Roland Rösch von der Fischereiforschungsstelle in Langenargen untersuchte bei fast 1300 Fischen von 14 Arten, inwieweit sie Neozoen fressen. „Seit ein paar Jahren werden zwei bis drei Arten als Nahrungsquelle erkannt“, sagt der Biologe. „Bei etwas über der Hälfte der untersuchten Barsche und Trüschen bestand der Mageninhalt zu mehr als der Hälfte aus Neozoen. Hauptsächlich die Schwebegarnele (Limnomyis benedeni) und der Höckerflohkrebs (Dikerogammarus villosus) waren nachzuweisen.

Ob es durch Neozoen in Zukunft mehr Barsche im See geben werde, kann Rösch noch nicht sagen: „Das kann erst der langfristige Trend zeigen. Die Bestandsentwicklung hängt von sehr vielen Faktoren ab, etwa von der Wassertemperatur.“

Wenig Begeisterung bei Fischern

Die Fischer sind skeptischer. „Hoffnungen würde ich da nicht reinsetzen“, sagt Reinhart Sosat vom Landesfischereiverband in Stuttgart. Auch Anita Koops vom Württembergischen Fischereiverein in Friedrichshafen winkt ab: „Unsere Erfahrung zeigt, dass Fische zum Beispiel die Schwebegarnelen nur in höchst seltenen Einzelfällen als Nahrung nutzen. Denn die Fische halten sich meist nicht zur gleichen Zeit in den gleichen Bereichen auf, die Arten sind von Natur aus nicht aufeinander abgestimmt.“

Auch dass die Biomasse erhöht wird, bezweifelt die Berufsfischerin: „Wenn infolge von Phosphatmangel zu wenig Nahrung vorhanden ist, kann sich die Biomasse nicht durch einzelne Arten erhöhen. Die Neozonen taugen absolut nicht als neue Nahrungsquelle, sie sind eher als Nahrungskonkurrenten zu sehen“, warnt sie, „gerade im Bezug auf die Nährstoffknappheit“. In der Vergangenheit haben Fischereivertreter schon darauf gedrängt, den Bodensee wieder zu düngen.

Als Neozoen (griech.: Neozoon, Mehrzahl: Neozoa) bezeichnet man Tierarten, die absichtlich oder unabsichtlich durch den Menschen in andere Gebiete verbracht worden sind und sich dort fest etabliert haben. Absichtlich bedeutet hierbei, dass die Arten vom Menschen bewusst ausgesetzt wurden. Dazu zählen der Waschbär oder der Halsbandsittich. Eine unabsichtliche Einschleppung geschieht unter anderem durch den Transport von Gütern, in denen Tiere enthalten sind.

Als Neozoen, der Höckerflohkrebs zählt dazu, gelten alle nach dem Jahre 1492, der Entdeckung Amerikas, anderswo eingebürgerte Arten. Vor 1492 in eine andere Region eingeschleppte Tiere, Pflanzen und Pilze werden als Archäozoen bezeichnet. (sz)