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Jugendämter: Befragung von Flüchtlingen zuverlässig

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Röntgenuntersuchungen zur Altersfeststellung junger Flüchtlinge im Südwesten selten
Veröffentlicht:12.02.2018, 10:56

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Die CDU fordert einen neuen Umgang mit jungen Flüchtlingen, die ohne Angehörige ins Land kommen. Wer sich als minderjährig ausgibt, soll künftig selbst beweisen, dass er noch keine 18 Jahre alt ist. Die dafür zuständigen Landkreise allerdings halten das für unnötig. Jene Regionen, die viele Ankömmlinge prüfen, stufen schon jetzt zwischen 30 und 50 Prozent als Erwachsene ein.

Derzeit läuft das Verfahren so ab: Erreicht ein junger Flüchtling Baden-Württemberg , befragen ihn Polizei oder andere Behörden. Gibt er an, jünger als 18 zu sein, kommt er in die Obhut des Jugendamtes. Die Identität registrieren die Ausländerbehörden der Kreise. Entstehen nun Zweifel am Alter des Jugendlichen – etwa weil dieser keinen Pass hat oder älter aussieht – ordnet das Jugendamt eine Altersfeststellung an. Dabei können sich die Behörden an einem Leitfaden des Landessozialministeriums orientieren. Er sieht Gespräche mit Dolmetscher und zwei Sozialarbeitern vor. Bestehen weiter Bedenken, können die Betreuer einen Arzt hinzuziehen. Dem müssen aber sowohl der Jugendliche als auch sein Vormund zustimmen. Geschieht dies nicht, geht es zum Familiengericht. Das kann eine Untersuchung anordnen. Auch die Ausländerbehörden können dies tun. In der Praxis geschieht das aber so gut wie nie.

Die CDU plädiert nun dafür, die Beweislast umzukehren. Sie liegt derzeit beim Land. Es muss einem Flüchtling nachweisen, dass er nicht volljährig ist. Aus Sicht der CDU soll das bald anders laufen. Hat ein junger Mensch keine Papiere und bestehen Zweifel an seinen Altersangaben, gilt er als volljährig. Ausnahme: Er stimmt einer ärztlichen Untersuchung zu.

Jugendämter: Methoden sind zuverlässig

Die derzeit für die Altersfeststellung zuständigen Jugendämter halten ihre eigenen Methoden für zuverlässig. „Die Altersfeststellung berücksichtigt in den Gesprächen unterschiedliche Aspekte wie etwa schulische Entwicklung, familiäre Geschichte, Herkunft und Fluchtroute. Dadurch können mögliche Rückschlüsse auf das Alter des Flüchtlings gezogen werden. So ergibt sich ein Bild des jungen Menschen, das auch zulässt, Widersprüche aufzudecken und anzusprechen“, heißt es aus dem Ostalbkreis. Außerdem zweifeln viele Kreisvertreter daran, dass Ärzte tatsächlich helfen können, falsche Angaben aufzudecken. Eine Sprecherin des Landkreises Ravensburg erklärt zum Beispiel: „Bei den uns bekannten medizinischen Feststellungen gab es immer eine Alterstoleranz bis 48 Monate, in einem Fall sogar bis 72 Monate.“

So sieht das auch Heinrich Korn , stellvertretender Jugendamtsleiter von Stuttgart. Die Landeshauptstadt gehört zu jenen Kreisen im Land, die sehr viel UMAs (unbegleitete minderjährige Ausländer) aufnehmen. 228 waren es 2017, 2015 sogar 1052. Rund 30 Prozent stuften die Sozialarbeiter nach einem Gespräch als Erwachsene ein. Befürworter ärztlicher Untersuchungen führen Länder wie Norwegen an, die junge Flüchtlinge standardmäßig röntgen und auf Grund der Ergebnisse zahlreiche nur vermeintlich Minderjährige entdecken. Korn glaubt: „Unsere Altersfeststellung durch qualifizierte Sozialarbeit und Dolmetscher ist sehr zuverlässig. Ich bin überzeugt, dass wir mit einer Röntgenuntersuchung keine besseren Ergebnisse erzielen würden.“ Deswegen beantragt Stuttgart erst gar keine Röntgenuntersuchung.

Ohnehin habe die Stadt keine Kapazitäten, um selbst zu röntgen, sagt Korn. Niedergelassene Mediziner führen die Untersuchungen in der Regel nicht durch. Denn Bundes- und Landesärztekammer sprechen sich dagegen aus. Sie halten das Verfahren, bei dem die Handwurzelknochen geröntgt werden, für zu ungenau und warnen vor der unnötigen Strahlenbelastung der Patienten. Es gibt aber andere Bewertungen von Experten. Außerdem wird auch in Baden-Württemberg der Einsatz einer neuen Technologie diskutiert, die mit Ultraschall genauere Ergebnisse liefern soll.

Viele junge Flüchtlinge in Lörrach

Wegen der Nähe zur Grenze kommen viele junge Flüchtlinge in Lörrach an. Im vergangenen Jahr hat der Landkreis Lörrach 534 Flüchtlinge als UMAs aufgenommen, davon waren 279 tatsächlich minderjährig und 255 bereits volljährig. 534 waren es 2017. Nach den Gesprächen mit Sozialarbeitern stuften diese 279 als tatsächlich minderjährig ein, 255 waren dagegen aus Sicht der Fachleute älter als 18 Jahren. Nach Auskunft einer Sprecherin stimmen 80 bis 90 Prozent der Jugendlichen, bei denen es Zweifel am Alter gibt, einer Röntgenuntersuchung zu. Das hat wohl einen einfachen Grund: Wenn das Jugendamt einen Flüchtling für volljährig hält und dieser einer Untersuchung nicht zustimmt, gilt er in den Augen der Behörde als erwachsen. Der Flüchtling wird wie andere Asylbewerber an eine Erstaufnahmestelle für Erwachsene verwiesen.

Allerdings lügt keineswegs jeder, der sich als volljährig erweist, wie Behörden ausdrücklich betonen. In den vielen Herkunftsländern gilt zum Beispiel ein andere Kalender als in Europa oder die Betroffenen wissen oft selbst nicht genau, wann sie geboren wurden.

Kaum Altersuntersuchungen in der Region

Die Landkreise in der Region beantragen so gut wie nie ärztlichen Untersuchungen der UMAs. Das hat eine Umfrage der „Schwäbischen Zeitung“ ergeben. Allerdings werden viele Jugendliche zuvor von Jugendämtern in Kreisen erfasst und betreut, in denen viele Flüchtlinge ankommen. Dort wird ihr Alter festgestellt, dann werden sie auf andere Regionen Baden-Württembergs verteilt. Dort werden Behörden nur aktiv, wenn es neue Informationen oder Zweifel gibt. Nur in Ravensburg stellte das Jugendamt zweimal beim Familiengericht den Antrag, das Alter von Flüchtlingen durch eine medizinische Untersuchung feststellen zu lassen. In beiden Fällen lehnte das Gericht dies ab. Im Kreis leben derzeit 190 UMAs. In der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen zweifelten die Betreuer bei 24 jungen Menschen an deren Volljährigkeit und führten entsprechende Gespräche. Neun Flüchtlinge gelten seither als minderjährig, die übrigen als Erwachsene. Im Bodenseekreis gab es seit 2015 insgesamt 29 Altersfeststellungen, zwei der Flüchtlinge stuften die Sozialarbeiter als volljährig ein. In allen übrigen Kreisen gab es keine Fälle, in denen Minderjährige sich nachträglich als Erwachsene herausstellten.