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Frömmigkeitsgeschichte

Interview: Kirche im Krieg

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Die Freiburger Theologin Barbara Henze über die Haltung von Kirchen und Gläubigen zum Kriegsgeschehen vor 100 Jahren
Veröffentlicht:26.11.2014, 07:46

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Wie haben sich die Kirchen vor und während des Ersten Weltkriegs verhalten? Mit diesen Fragen befasst sich Barbara Henze, seit 1996 Akademische Rätin für Frömmigkeitsgeschichte und Kirchliche Landesgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Freiburg. Im Gespräch mit Barbara Waldvogel erläutert die Mitautorin und Mitherausgeberin des deutsch-französischen Buchprojekts „Kirchengeschichte am Oberrhein“, weshalb die Friedensbemühungen vor dem Ersten Weltkrieg keine Chance hatten.

Wenn der Erste Weltkrieg derzeit ins Blickfeld kommt, ist vor allem von schlimmen Schlachten mit neun Millionen Toten und 21 Millionen Verwundeten die Rede. Hatten Friedensbemühungen eigentlich gar keine Chance?

Es gab diese besonnene Bewegung durchaus. Im Sommer 1914 haben Mitglieder der Zweiten Haager Friedenskonferenz zur „Konferenz von protestantischen Delegierten aller Länder“ nach Konstanz ins Inselhotel eingeladen.

Wie war die Resonanz?

Das Attentat in Sarajevo war schon geschehen und die politische Stimmung war auf Krieg ausgerichtet. So kam von den angemeldeten 153 Delegierten aus ganz Europa nur die Hälfte nach Konstanz. Der Theologe Friedrich Siegmund-Schultze war der einzige Vertreter aus Deutschland. Die Initialzündung für den internationalen und ökumenischen Versöhnungsbund kam beim Wegfahren von der Konferenz, als sich Siegmund-Schultze und der britische Quäker Henry Hodgkin das Versprechen gaben, trotz allem nach dem Krieg für den Frieden zu arbeiten.

Wie verhielten sich die Christen in Deutschland bei Kriegsbeginn?

Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges dachten alle, auch die Christen, aus patriotischen Erwägungen müssten sie ihrem Heimatland helfen. Fragen darf man sich aber, warum vonseiten der Christen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Lage noch nicht so brenzlig war und Bertha von Suttner ihren aufwühlenden Roman „Die Waffen nieder“ geschrieben hatte, nicht mehr für den Frieden unternommen wurde. Bei meinen Recherchen bin ich zum Beispiel auf den württembergischen pazifistischen Pfarrer Otto Umfrid gestoßen, von 1900 an Vizepräsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Er hatte versucht, in Süddeutschland und im damals noch deutschen Elsass Bündnispartner zu finden.

Fand er Gehör?

Im Elsass war die Resonanz auf seine pazifistischen Bemühungen viel höher als in Baden und Württemberg. Es gab etliche elsässische Autoren, die vor Beginn des Ersten Weltkriegs sich dagegen wehrten, dass ihre Heimat wieder Prellbock zwischen kriegsführenden Ländern werden könnte. Es scheint so zu sein, dass Pazifismus immer eine Chance hat, wenn man unmittelbar betroffen ist.

Wie reagierte die deutsche Pfarrerschaft auf Umfrids Bemühungen?

Er und seine Friedensarbeit wurden nicht gewürdigt, weder von der Politik noch von seinen Kollegen. Ich habe sogar festgestellt, dass er auch heute noch von vielen evangelischen Theologen als zu radikal beurteilt wird.

„Wer eine Armee von Betern mobil macht, hat dem Vaterland ein neues Garderegiment ins Feld gestellt, dessen Reserven die Legionen des Himmels bilden.“ Mit diesen Worten schickte Feldpropst Michael von Faulhaber , später Kardinal und Erzbischof von München und Freising, 1915 im Dom zu Speyer Soldaten ins Feld. Er sprach sogar davon, dass dies ein Schulbeispiel eines gerechten Krieges sei. Wie konnte er so überzeugt von den Kriegshandlungen sein?

Die Diskussion um einen gerechten Krieg läuft seit Augustinus über Thomas von Aquin bis heute. Klar ist: Ein Angriffskrieg kann kein gerechter Krieg sein. Da Deutschland den Krieg durch den Einmarsch in das neutrale Belgien angefangen hatte, hat es keinen sogenannten gerechten Krieg geführt.

Wie kann ein Kirchenmann dann trotzdem von einem gerechten Krieg sprechen?

Laut Dokumentenlage sagt Faulhaber, dieser Angriff auf Belgien war nur ein Präventivschlag. Deutschland musste anfangen, damit es nicht überrollt wird. Den Angriff sah er als Notwehr, die wiederum erlaubt war. Jede Gruppierung in jedem Land, egal ob französisch oder deutsch, ob evangelisch oder katholisch, hat versucht, Gründe zu finden, warum der eigene Krieg ein gerechter Krieg ist beziehungsweise war.

Wir können heute kaum mehr verstehen, dass Muslime in den Heiligen Krieg gegen den Westen ziehen. Aber Ähnliches passierte 1914. Im Lioba-Blatt vom 16. August 1914 wird folgende Aussage des 1883 gestorbenen Pastoraltheologen der Universität Freiburg, Professor Alban Stolz, zitiert: „Vor allem ist es ein Heiliger Krieg, wenn man gegen Feinde kämpft, welche das Christentum und die katholische Kirche zugrunde richten wollen. Wer in diesem Krieg fällt, kommt also einem Märtyrer gleich.“ Gab es diese religiöse Verherrlichung des Krieges auf allen Seiten?

Auf deutscher Seite hat man geschaut, wo sind die Kräfte, die das Christentum bedrohen? Diese wurden in Russland ausgemacht, wo die Revolution von links erwartet wurde. Deswegen sei es richtig, sich im Osten zu verteidigen. An der Westfront sah man die Bedrohung des Christentums im säkularisierten Frankreich, wo 1905 die Trennung von Kirche und Staat vollzogen wurde – aus der Sicht der Kirchen in Deutschland der halbe Untergang des Abendlandes. Die Trennung von Staat und Kirche war für die Protestanten ein schlimmer Gedanke, weil noch immer das Bündnis zwischen Thron und Altar bestand und das Kaiserhaus protestantisch war. Doch auch die Katholiken waren gegen diese Trennung, obwohl sie im Kulturkampf schlechte Erfahrungen mit dem Staat gemacht hatten.

Wie argumentierte die Kirche in Frankreich?

Das katholische Frankreich sagte, wir kämpfen gegen das aggressive, protestantische Deutschland. Die französische Bildungselite wiederum zog gegen den Vormarsch des Barbarentums und für die Werte der Französischen Revolution ins Feld.

Niemand hat sich also nur ansatzweise überlegt, dass auf der anderen Seite auch Menschen leben. War Christi Gebot von der Feindesliebe auch von den Frommen vergessen worden?

Protestantische Kirchen sind als Landeskirchen organisiert. Da kann man sich die nationalen oder politischen Erwägungen viel verankerter vorstellen als im Katholizismus, wo man immer stolz darauf war, übernational zu sein. Doch selbst die Friedensappelle von Papst Benedikt XV. verhallten ungehört.

Gab es eine theologische Rechtfertigung des Krieges?

Meiner Einschätzung nach ist der wichtigste Grund, warum sich die Theologen nicht ernsthafter um den Frieden bemühten, ihr Leitsatz „Gott ist der Herr der Geschichte“. Aufgrund dieses Leitsatzes konnten sie sich nicht vorstellen, dass etwas auf Erden passiert, was nicht im Sinne des Allmächtigen geschieht. Wenn Gott den Krieg nicht gewollt hätte, dann hätte er ihn verhindert. Da er ihn nicht verhindert hat, will er uns mit ihm etwas sagen. Ist man auf der Siegerstraße, ist man sicher, Gott will uns helfen zu siegen. Als in Deutschland der Krieg verloren war, sagten sich die Kirchen, jetzt will er uns zur Buße aufrufen. Diese Logik ist fatal, denn sie verhindert den Gedanken, dass Gott den Krieg nicht will und man sich demnach für den Frieden einsetzen muss. Interessant ist, dass der Leitsatz „Gott ist der Herr der Geschichte“ erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Wanken geriet. Und die Frage, wie sich in Gott seine Macht, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zueinander verhalten, ist bis heute nicht abschließend geklärt.