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Versorgungslücke

Hebammen im Land warnen vor Versorgungslücken

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Verband sieht Belegsystem „akut bedroht“ – Kliniken schließen Kreißsäle
Veröffentlicht:04.05.2017, 20:03

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Die Hebammen im Land drängen auf bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, damit sich die Versorgung von werdenden Müttern nicht noch weiter verschlechtert. Der wachsende Druck auf die Geburtshelferinnen entwickele sich zu einem Verdrängungsmechanismus aus dem Beruf, mahnt die Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg , Jutta Eichenauer, anlässlich des heutigen Internationalen Hebammentags.

„Akut bedroht“ sieht die Ver-bandschefin das System der sogenannten Beleghebammen, sagt Eichenauer im Gespräch mit der „ Schwäbischen Zeitung “. Bei diesen handelt es sich um Hebammen, die Frauen im Kreißsaal eines Krankenhauses freiberuflich bei der Geburt begleiten. Im Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“ ist dies an den Krankenhäusern in Friedrichshafen, Tettnang, Ravensburg, Weingarten, Wangen und teilweise in Schwäbisch Gmünd der Fall. Andernorts – etwa in Biberach, Sigmaringen oder Ulm – arbeiten fest angestellte Hebammen.

Schlichtungstreffen mit Kassen

Die Problematik zeigt sich in ganz Deutschland. Der Deutsche Hebammen-Verbands (DHV) sieht bundesweit 20 Prozent aller Geburten in Klinken gefährdet. Am 19. Mai treffen sich Hebammenvertreterinnen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV zu Schlichtungsverhandlungen, dann kommt das Thema erneut auf den Tisch.

Streitpunkt ist, wie viele Frauen eine freiberufliche Hebamme während einer Schicht gleichzeitig betreuen darf. „Die Kassen wollen eine Eins-zu-zwei-Betreuung“, berichtet Eichenauer, die in Backnang als Hebamme arbeitet. Das würde bedeuten, dass während einer Geburt nur eine weitere Frau betreut werden darf – etwa im Rahmen einer Beratung. Dann würde sich die Schicht für eine Freiberuflerin aber nicht mehr lohnen. Zumal, wie Eichenauer betont, angestellte Hebammen fünf Fälle gleichzeitig betreuen dürften.

Auch ganz grundsätzlich fordern die Hebammen drastische Verbesserungen beim Verdienst. „Die Vergütung angestellter und freiberuflicher Hebammen ist grauenvoll“, sagt DHV-Verbandspräsidentin Martina Klenk. Sie fordert für Freiberuflerinnen einen Brutto-Stundenlohn von knapp 50 Euro – dann blieben nach Abzug von Steuern und Abgaben zwischen 16 und 18 Euro. Momentan verdienten sie nur etwa die Hälfte pro Stunde.

Demo für „Geburt mit Würde“

Die prekäre Bezahlung der Hebammen hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass es für werdende Mütter immer schwieriger wird, eine Hebamme zu finden. Hinzu kommt, dass vermehrt Kliniken ihre Kreißsäle schließen. So macht das Alb-Donau-Klinikum zum 1. Juli die Geburtshilfe in Langenau dicht. Vor dem Krankenhaus, das dem Alb-Donau-Kreis gehört, ist für heute Nachmittag eine Kundgebung geplant. Motto: „Für Geburt mit Würde und Selbstbestimmung.“ Auch in Radolfzell (Landkreis Konstanz) hat die Geburtshilfe kürzlich geschlossen. Nach Zählungen des DHV wurden seit 2015 bundesweit 51 Geburtshilfestationen geschlossen oder sind von Schließung bedroht – teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils, weil keine Hebammen mehr gefunden werden. Im bayerischen Illertissen (Landkreis Neu-Ulm) haben sich die Stimmberechtigten in einem Bürgerentscheid im Oktober 2016 für den Erhalt der Babystation in der örtlichen Klinik ausgesprochen. Ob der Entscheid umgesetzt werden kann, ist unklar: Mittlerweile weiß man, dass die Klinik deutlich höhere Verluste schreibt als zum Zeitpunkt des Bürgerentscheids bekannt.

Versorgungskonzept geplant

In Baden-Württemberg hat die Landesregierung im Januar einen „Runden Tisch Geburtshilfe“ eingerichtet. „Wir wollen ein Versorgungskonzept auf den Weg bringen, damit es überall im Land eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe gibt. Dazu gehört, dass eine bedarfsgerechte Betreuung mit Hebammen in und außerhalb der Kliniken sichergestellt ist“, sagt die zuständige Staatssekretärin im Sozialministerium, Bärbl Mielich (Grüne).

Die Arbeitsgruppe muss aber zuerst Grundlagenforschung betreiben: Beim zweiten Treffen im April wurde beschlossen, erst einmal zu erheben, wie viele Hebammen tatsächlich in Baden-Württemberg arbeiten. Präzise Daten gibt es – mit Blick auf Freiberuflerinnen – bislang noch nicht.

Zahlen und Daten zur Geburtshilfe

Derzeit gibt es in Baden-Württemberg rund 270 Krankenhäuser, 80davon haben eine Abteilung für Geburtshilfe. Die Zahl festangestellter Hebammen beläuft sich nach Daten aus dem Jahr 2014 auf knapp 1400. Offizielle Angaben zur Zahl der freiberuflichen Hebammen im Land gibt es nicht. Der Hebammenverband Baden-Württemberg hat 2600 Mitglieder, die aktiv als Hebamme arbeiten – wobei Verbandsvorsitzende Jutta Eichenauer schätzt, dass 70 Prozent der fest angestellten Hebammen zusätzlich freiberuflich arbeiten. Das kann durch Vor- und Nachsorge, bei Hausgeburten, in Geburtshäusern oder als sogenannte Beleghebamme im Krankenhaus-Kreißsaal geschehen.