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Gehörtwerden

Frau fürs „Gehörtwerden“

Baden-Württemberg / Lesedauer: 3 min

Staatsrätin Gisela Erler steht für den versprochenen neuen Politikstil
Veröffentlicht:03.04.2015, 19:18

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Im grün-roten Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nimmt Gisela Erler eine Sonderrolle ein. Die für „Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft“ zuständige Staatsrätin besitzt zwar Stimmrecht. Im Vergleich zum Rest des Kabinetts verfügt Kretschmanns Fachfrau für die „Politik des Gehörtwerdens“ aber über mehr Freiräume. Sie darf eher mal anecken – auch in den eigenen Reihen.

Tatsächlich hat der Begriff des „Gehörtwerdens“ falsche Erwartungen geweckt. Wenn am Ende von Anhörungen oder Informationsveranstaltungen Entscheidungen auf Widerstand, auf Protest stoßen, gilt es als Versprechen ohne Wert. Ob Nationalpark, ob Jagdgesetz, ob Landesbauordnung – es findet sich zur Freude der Opposition immer auch eine Gruppe Verprellter, die gegen Beschlüsse Sturm laufen. „Wir wollten einen neuen politischen Stil anstoßen“, sagt Erler dazu. Nie sei es aber darum gegangen, die Grundpfeiler der repräsentativen Demokratie außer Kraft zu setzen. Mehrheitsentscheidungen, ob im Landtag oder in den Kommunen, zählten dazu. Grün-Rot hat sich auf die Fahnen geschrieben, die direkte Demokratie zu erleichtern. Erler findet, die jetzt vorgelegten Kompromisse über 20-Prozent-Quoren bei Volks- oder Bürgerentscheiden seien passabel. Da werde kein demokratisch legitimiertes Gremium ausgehebelt. Vor allem bei großen Infrastrukturentscheidungen müssten die Mitsprachemöglichkeiten erweitert werden – das sei die Lehre aus Stuttgart 21 . Transparenz sei das Gebot der Stunde. Der von Erler erarbeitete Leitfaden für die Verwaltung setzt stark darauf. „Es hat sich bereits viel getan, wir sind auf einem guten Weg“, behauptet die 68-Jährige. Eines müssten sich Regierende vor Augen führen: „Du wirst immer bestraft, wenn du nicht rechtzeitig hinausgehst mit allem, was sperrig ist.“

Als ein Desaster empfanden Kritiker den von Gisela Erler und dem Verkehrsministerium 2012 nach dem Volksentscheid zu Stuttgart 21 angestoßenen Filderdialog. „Ja, wir haben da vieles einstecken müssen“, gibt Erler knapp drei Jahre später zu. Auch die eingeladenen „Zufallsbürger“, die mit am Tisch saßen, reagierten am Ende enttäuscht. Die Bahn ging auf die Vorschläge nicht ein. Dem Land waren die Hände gebunden. Jetzt meint die Staatsrätin: „Rückblickend war der Dialog gar nicht so schlecht.“ Mit Verspätung lagen vor wenigen Wochen die Vorschläge doch noch einmal auf dem Tisch der lange Zeit zerstrittenen Partner. Die Einigung, die Planung teilweise abzuändern, reiht Erler deshalb trotz aller Kritik positiv in ihre Zwischenbilanz ein.

Handbuch Flüchtlingsbetreuung

Bis zum Sommer will Gisela Erler, die in Biberach zur Welt gekommen ist, ein Handbuch für die Flüchtlingsbetreuung vorlegen. Vorgespräche mit Vertretern der Kommunen, mit dem Flüchtlingsrat, mit karitativen Organisationen und Vertretern ehrenamtlich engagierter Gruppen haben bereits stattgefunden. Ziel ist unter anderem der Aufbau eines Netzwerkes für die vielen kleinen lokalen Bündnisse, die entstanden sind.

„Ich habe viel dazugelernt“, gibt Erler zu. Neuerdings kennt sie sich sogar in guten oder weniger guten Bodenstrukturen aus. Zwei Gutachten warnen vor dem Bau eines neuen Großgefängnisses auf dem Rottweiler Stallberg. Dabei stehen Bürgerschaft und Gemeinderat hinter diesem Standort.

Doch der aus Sicht der Kommune so ideale Platz hat einen Nachteil. Geologen haben „quellfähigen Gipskeuper in Verbindung mit großen Karsthohlräumen“ festgestellt. Auf so ein Risiko will sich das Land nicht einlassen. „Diese beiden geologischen Phänomene sind die risikoreichsten beim Bauen in Baden-Württemberg“, teilte das Justizministerium mit, als es den Stallberg aus dem Suchlauf entfernte. Von den Protesten will sich die Regierung nicht mehr beeindrucken lassen. In Rottweil kommen sie sowohl von den Schwarzen, als auch von den Grünen. Aufs „Gehörtwerden“ folgt nicht immer auch ein „Erhörtwerden“, halten Erler und Kretschmann dem entgegen.