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Forscher wehrt sich gegen „Bajuwarisierung“

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Dialektforscher wehrt sich gegen eine „Bajuwarisierung“ im schwäbisch-alemannischen Sprachraum
Veröffentlicht:22.01.2015, 17:16

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Wenn er „Schwammerl“ oder „Fleischpflanzerl“ hört, bekommt Manfred Renn einen dicken Hals. Der Dialektforscher aus Stiefenhofen im Westallgäu ist als Mitautor eines Sprachatlas ausgewiesener Experte für die Allgäuer Mundart – und ein erbitterter Gegner einer „Bajuwarisierung“ im schwäbisch-alemannischen Sprachraum.

Der 66-jährige Allgäuer, der inzwischen in Füssen lebt, ist mit seiner Kritik nicht allein. Jüngst protestierten die Franken beim ZDF, dass im Dreiteiler „Tannbach“ ein oberbayerischer Akzent gesprochen wird, obwohl der Film in Franken spielt.

„In den vergangenen fünf Jahrhunderten hat sich unser Dialekt nicht so sehr verändert wie in den letzten 50 Jahren“, erklärt Renn. Die Mobilität der Menschen und die Wirkung moderner Medien haben den oft kleinräumigen Sprachgebrauch früherer Generationen aufgeweicht und angepasst, behauptet der Wissenschaftler. Während früherer Studien hat er zum Beispiel eine Rentnerin aus Wasserburg getroffen, die noch mit dem Schriftsteller Martin Walser in die Schule gegangen war. Die Mundart ihrer Jugend, so Renn, unterschied sich kaum von der in Lindenberg. Heute werde am Bodensee mit seinem international geprägten Tourismus ein Dialekt mit ganz anderer Färbung gesprochen als im übrigen Teil des Landkreises Lindau.

Seit Staufenkaiser Barbarossa, der vor 800 Jahren astrein Alemannisch redete und noch heute vom Elsass bis ins Allgäu gut verstanden würde, hat es viele Veränderungen in den regionalen Mundarten gegeben. Die Württemberger entwickelten in ihrem Dialekt eine eigene Melodie, die sich von der im bayerischen Schwaben unterscheidet. Im Südosten des deutschen Sprachraums setzte ab dem Jahr 1200 ein Lautwandel ein, der sich weithin ausbreitete und sich in der Hochsprache durchsetzte. Aus „Huus“ wurde „Haus“, aus „Wib“ wurde „Weib“, aus „Zit“ die „Zeit“. Wo diese Entwicklung stoppte, lässt sich heute noch dokumentieren und kartieren. Die „Wib-Weib-Grenze“ der Sprachforscher verläuft zwischen Nachbarorten quer durch die Region. Nördlich davon dominiert das Schwäbische, im Süden ein Dialekt mit starken ur-alemannischen Wurzeln.

„Bis 1803 hatte das Allgäu mit Bayern gar nichts zu tun“, erinnert Sprachforscher Renn an den Friedensvertrag zwischen Frankreich und Österreich im „Reichsdeputationshauptschluss“, der zur Gründung des Königsreichs Bayern führte. Napoleon zog eine willkürliche Grenze zwischen Grafschaften, freien Reichsstädten und kirchlichen Besitztümern, die ihre Privilegien verloren und verstaatlicht wurden – ein Teil zu Württemberg, ein Teil zu Bayern. Das Königshaus der Wittelsbacher nahm das neubayerische Gebiet mit offenen Armen auf.

Bayrische Mundart verbreitet sich

Bei Füssen entstand das Schloss Hohenschwangau, später baute LudwigII. oberhalb dieses „Ferienhauses“ sein Märchenschloss. Prinzregent Luitpold, der in Bad Hindelang und Oberstdorf zu jagen pflegte, sicherte sich mit Wohltaten die Verehrung der bayerischen Neubürger am Fuße der Allgäuer Alpen. Insgesamt hielt sich die „Bajuwarisierung“ der Bevölkerung im 19.Jahrhundert allerdings in Grenzen.

„Das hat sich in den vergangenen 50 Jahren deutlich geändert“, sagt der Allgäuer Sprachforscher Renn. Die altbayerische Mundart erobere das schwäbisch-alemannische Sprachgebiet, wie er es formuliert. Belege dafür gebe es haufenweise. In der Gastronomie etwa. Renn verweist auf Speisekarten mit Würstl, Haferl Kaffee, Stamperl Schnaps, mit Lüngerl und Fleischpflanzerl. Auf Volksfesten werde landauf, landab „oans, zwoa, drei gsuffa“. Selbst die Heimatzeitungen machten nicht mehr Halt vor „Schmankerl“ und „Schwammerl“. Besonders hemmungslos werde dieser Trend vom Bayerischen Rundfunk betrieben. Auf seine Briefe an die Redaktionen, in denen er Wertschätzung für die Allgäuer Mundart einforderte, habe er nie eine Antwort erhalten.

Die Bajuwarisierung mache sich aber nicht nur bei der Wortwahl und bei Endungen breit. Im allgemeinen Sprachgebrauch der Allgäuer Bevölkerung habe sich auch die Grammatik verändert, ohne dass dies richtig wahrgenommen werde, beklagt der 66-Jährige. Sein Beweis ist ein aus dem Altbayerischen übernommenes, mit Auslassungszeichen angehängtes „s“ an Tätigkeitswörtern in der zweiten Person Mehrzahl: Geht’s ihr oder kommt’s ihr? Renn: „Das hat mit Allgäuer Mundart rein gar nichts zu tun.“

Die allgemeine Sprachlosigkeit, mit der das bayerische Allgäu auf die zunehmende Dominanz des altbayerischen Dialekts reagiert, hat für den Sprachforscher eine Ursache: „Das Allgäu lebt in einer gespaltenen Identität. Der größte Teil gehört seit 200 Jahren zu Bayern, hat aber andere Wurzeln. Die politische Zuordnung ist offenbar wichtiger als die stammesmäßige Herkunft.“ Dies hänge vielleicht auch mit dem guten Image zusammen, das der Freistaat in Deutschland und darüber hinaus genieße.