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Mord

Ein Blick in die Welt der Rockerbanden

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Ein Blick in die Welt der Rockerbanden
Veröffentlicht:08.12.2016, 19:40

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Vor dem Ellwanger Landgericht wird gegen ein Mitglied des Rockerclubs Black Jackets verhandelt. Der Prozess zeigt auch den Wandel in der Szene.

Läuft der Prozess für Rüstem Z. schlecht, könnte das Urteil auf lebenslänglich lauten. Mord und versuchten Mord wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Noch sitzt der 25-Jährige aber entspannt im größten Sitzungssaal des Ellwanger Landgerichts. Die Sonne scheint durch die großen Fenster. Für einen Moment dreht Rüstem Z. seinen massigen Kopf mit den kurz geschorenen Haaren. Er nickt freundlich hinüber in den Zuschauerbereich. Dort ist ein besonders grobschlächtig wirkender Mann aufgetaucht. Eine Narbe zieht sich um den Mund.

Der Neuankömmling grüßt stumm zurück. Man kennt sich. Womöglich gibt es sogar eine enge Verbindung, denn der Grobschlächtige setzt sich zu anderen düster dreinschauenden Männern. „Erschreckende Figuren“, flüstert ein Rentner, der seinen Ruhestand mit regelmäßigen Prozessbesuchen zu beleben scheint.

Dass zudem noch ein starkes Polizeiaufgebot das unweit der St.Vitus-Basilika gelegene historische Gerichtsgebäude schützt, erlebt das ansonsten so beschauliche Ellwangen auch nicht alle Tage. Aber im Landgericht tut sich seit dem Prozessbeginn Mitte November ein Fenster auf, das braven Bürgern üblicherweise verschlossen bleibt: Es erlaubt den Blick in die Welt von Schlägerbanden und Rockergangs. Bei einem der Zuschauer wird dann auch klar, woher der Wind weht: Auf dem rechten Unterarm ist der tätowierte Schriftzug „Black Jackets“ zu erkennen.

Ein Mann stirbt, der Bruder wird schwer verletzt

Dabei handelt es sich um eine von türkischstämmigen Männern dominierte Bande, die es inzwischen in vielen Städten gibt. In ihrem Heidenheimer Ortsverein, dem Chapter Riverside, amtiert Rüstem Z. als Vize-Präsident. In der Stadt an der Brenz ist auch das geschehen, was Grund des Prozesses ist. Rüstem Z. hat am 7.April in einer Einfahrt bei einem Friseursalon eine Handfeuerwaffe gezückt und viermal abgedrückt. Das Resultat: Ein Mann namens Celal B. stirbt, sein Bruder Barish B. wird schwer verletzt. Sie scheinen nicht zufällig Opfer geworden zu sein. Beide zählen zu den United Tribuns, einer weiteren Bande. Celal B. war sogar hochrangiges Mitglied.

Die United Tribuns wurden 2004 von einem bosnischen Kriegsflüchtling in Villingen-Schwenningen gegründet: Almir Culum, genannt Boki. Um der Strafverfolgung zu entgehen, lebt er inzwischen wieder in seiner ursprünglichen Heimat. Wie die Black Jackets rekrutieren sich auch die United Tribuns vor allem aus dem Migrantenmilieu. In ihrem Fall sind es oft Männer, die einen Bezug zum Balkan haben. Üblicherweise handelt es sich um Kraft- und Kampfsportler. Bewährte Türsteher werden gerne genommen. Die Organisation entspricht jener der Motorradrocker wie etwa den berüchtigten Hells Angels oder den Bandidos. Aber weder United Tribuns noch Black Jackets halten sich mit Motorradfahren auf. Weshalb die Polizei bei diesen Banden von „rockerähnlichen Gruppen“ spricht. Alle zusammen bewegen sich jedoch immer wieder im gleichen Sumpf: dem Rotlichtmilieu und der Türsteherszene.

Wer den Einlass kontrolliert, beherrscht den Drogenhandel

In der Ulmer Gegend lässt sich dies seit Jahren anhand diverser Prozesse gut mitverfolgen. Vom „Ulmer Rockerkrieg“ ist die Rede. Es geht darum, wer in den Bordellen an der Blaubeurer Straße das Sagen hat. Ebenso wichtig ist für die Banden, den Eingang gut besuchter Diskotheken kontrollieren zu können. Eine alte Türsteher-Weisheit besagt: Wer die Tür kontrolliert, beherrscht auch den Drogenhandel im Innern. Bandidos mischen mit, Gruppen wie Rock Machine oder Blue Rock Machine sind beteiligt. Die Etablissements des schillernden Puff-Unternehmers Prinz Marcus von Anhalt alias Marcus Eberhardt werden offenbar von den Hells Angels beschützt. Schießereien gab es. Ein Toter wurde verzeichnet.

Die Black Jackets hätten auch gerne einen Fuß in der Ulmer Szene. Während ihre Konkurrenz von den United Tribuns bereits dort tätig ist. Deren regionales Chapter reicht inzwischen aber von der Donau bis Heidenheim . In Polizeikreisen gelten die United Tribuns seit Jahren als ambitioniert. Kenner der Heidenheimer Szene berichten dann auch, dass sie den Brenz Club übernehmen wollten, die einzige Diskothek vor Ort. Bisher kontrollieren nach diesen Informationen angeblich die Black Jackets den Einlass. Verifizieren lässt sich dies nicht. Weder Banden-Mitglieder noch der Tanzhallenbetreiber reden.

Jedenfalls existiert in Heidenheim seit vergangenem Jahr eine Frontstellung zwischen beiden Banden. So versuchen die Black Jackets als angestammte Platzhirsche ihr Revier zu bewahren. Hier war die Bande vor 31Jahren entstanden. Nährboden war das Umfeld der damals angeschlagenen heimischen Industrie. Gastarbeiterkinder waren mit bescheidenen Berufschancen konfrontiert. Bandenmäßige Zusammenschlüsse verhießen dagegen Respekt durch die Furcht anderer Menschen. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in den alten Industriegebieten im Filstal bei Göppingen oder im Großraum Stuttgart.

Im Jahr 2012 war in Esslingen unweit der Landeshauptstadt ein Black-Jackets-Mitglied erstochen worden. Der Täter stammte aus dem Kreis der inzwischen verbotenen Bande Red Legions, einer kurdisch geprägten Gruppe. Bemerkenswerterweise verzichteten die Black Jackets auf Rache. Aus Szene-Kreisen heißt es auf einschlägigen Seiten im Internet, dies sei als Schwäche ausgelegt worden und nicht gut angekommen. Möglicherweise wollten sich die Heidenheimer Black Jackets daraufhin keine Blöße geben. Vergangenen Winter veranstalteten sie eine Machtdemonstration vor dem Rathaus der Stadt. Nach einer Meldung der örtlichen Zeitung posierten dort beinahe 100 Black Jackets, zu erkennen an ihren Kutten, die mit einer Bulldogge verziert sind.

Mit den Konkurrenten eine Rechnung offen

Bald darauf fand das später im April erschossene United-Tribuns-Mitglied Celal B. sein Auto demoliert vor. Vor dem Ellwanger Landgericht sagt sein überlebender Bruder, dass man deswegen den vermuteten Täter zur Rede stellen wollte. Bei diesem handelte es sich wiederum um den jetzigen Angeklagten, um den Black-Jackets-Vizepräsidenten Rüstem Z. Auch dieser hatte offenbar noch eine Rechnung mit den Konkurrenten offen. Er soll nach den vorliegenden Informationen von einem United Tribun verprügelt worden sein. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass sich der gedemütigte Rüstem Z. mit den Schüssen wieder Respekt verschaffen wollte – bei Freunden wie Gegnern.

Der Showdown begann darauf in einem Friseursalon am Rande der Heidenheimer Altstadt. Der Angeklagte ließ sich die Haare schneiden. Zwei seiner Black-Jackets-Freunde waren auch anwesend. Dann betrat eine vierköpfige United-Tribuns-Gruppe das Geschäft, darunter Celal B. und sein Bruder. Um die Angelegenheit mittels eines Faustkampfes zwischen Celal B. und Rüstem Z. zu klären, gingen die Bandenmitglieder nach draußen. Dort schoss dann Rüstem Z. „Aus Notwehr, aus blanker Angst“, sagt er vor Gericht. Angeblich hat der Angeklagte den Eindruck gehabt, sein Gegner wollte eine Pistole ziehen. Dieser hatte aber keine Schusswaffen bei sich. Wie sich bei der Untersuchung der Leiche herausstellte, trug er jedoch eine Stahlrute bei sich. Nach Zeugenaussagen hatten weitere Beteiligte Messer bei sich. Der Bruder des Getöteten war mit einem Hammer ausgerüstet.

Für die Polizei ist die Gewaltbereitschaft dieser Gruppen alarmierend. Sie zählt in Baden-Württemberg rund 500 Mitglieder bei den rockerähnlichen Banden. Damit erreichen sie zwar noch nicht die Stärke der traditionellen Rocker. Beim Landeskriminalamt wird jedoch von einer „dynamischen Bewegung“ gesprochen. Die neuen Banden würden ihre Geschäftsfelder erweitern wollen und zudem „den öffentlichen Raum“ für ihre Auseinandersetzungen suchen – mit der Gefahr, dass auch Unbeteiligte betroffen sein könnten. Ein weiterer brisanter Aspekt ist für die Polizei, dass sich neben kriminellen auch politische Motive einschleichen. So stünde die 2015 gegründete national-türkische Gruppe Osmanen Germania dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan nahe. Gegen sie würde sich die ebenso junge kurdische Bande Bahoz wenden, heißt es vonseiten der Polizei.

Wie Reviere aufgeteilt und Fronten gebildet werden, lässt sich übrigens auch im Saal des Ellwanger Landgerichts feststellen. Im Zuschauerbereich hinter dem Angeklagten sitzen die Black Jackets, ihre Unterstützer samt einigen grell geschminkten jungen Damen. Die andere Saalseite wird offenbar von Vertretern der United Tribuns beansprucht. Die dortigen Typen sehen ebenso wie Schläger aus. Vor ihnen sitzt der überlebende Bruder des erschossenen Celal B. Der bullige Mann ist Nebenkläger. Manchmal wechseln feindselige Blicke die Seite. Meist versucht man, einander aber einfach zu ignorieren.

Es scheint für den Moment eine Art Burgfrieden zu geben – zumindest bis zum Urteil. Das wird im Februar erwartet.