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Prügelknabe

Die Polizei, dein Freund und Prügelknabe

Baden-Württemberg / Lesedauer: 3 min

Allein im Südwesten wurden im vergangenen Jahr 1700 Polizisten im Dienst verletzt, dabei droht die größte Gefahr nicht auf gewalttätigen Demos
Veröffentlicht:30.10.2014, 18:10

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Die Kölner Bilder drängen sich an diesem Donnerstag förmlich auf: Umgekippte Polizeiautos. Ein Mob aus Tausenden Hooligans und Rechtsextremen, die die Polizisten mitten in Köln in die offene Straßenschlacht treiben. Doch Polizeibeamte werden meistens in anderen Situationen zu Opfern, sagt Karoline Ellrich vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). „Die Gewalt findet insbesondere im Routineeinsatz statt“, sagt sie.

Die Verkehrskontrolle, bei der ein Fahrer urplötzlich ausrastet. Ein Familienstreit, bei dem sich die Kontrahenten auf einmal gemeinsam gegen die gerade schlichtenden Polizisten wenden. Es sind solche Fälle, die für einen Großteil der jährlich etwa 21000 verletzten Polizeibeamten in Deutschland verantwortlich sind, jeder achte Beamte meldet sich im Laufe von fünf Jahren dienstunfähig.

Und selbst in Baden-Württemberg, das auch in dieser Beziehung weit besser dasteht als der Bundesschnitt, gibt es aktuell täglich 9,7 Straftaten gegen Polizeibeamte. Im Jahr 2013 wurden insgesamt 1700 Polizisten im Dienst verletzt, dieses Jahr dürften es deutlich mehr werden. „Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache“, sagt Innenminister Reinhold Gall (SPD) und fordert Konsequenzen. „Mit mir kann man neue Wege beschreiten“, verspricht er an diesem Donnerstag im Stuttgarter Innenministerium vor Hunderten Polizisten. Mit den „neuen Wegen“ meint Gall in erster Linie Helmkameras. Die will der Minister ermöglichen, um seinen Beamten mehr Rechtssicherheit zu geben. Doch er hat noch mehr im Angebot: Neue Ausrüstung, zusätzliche Schulungen für Streifenbeamte und ein einheitliches „äußeres Erscheinungsbild“ (ohne zu lange Bärte und sichtbare Tattoos) soll den Beamten im Südwesten Respekt und ein sicheres Auftreten verschaffen.

Im Zweifel gegen Freiheitsrechte

Gall sieht durch die neue Form von Gewalt sogar den Status der bürgernahen Polizei bedroht. Man müsse darüber nachdenken, „im Zweifel Freiheitsrechte im Sinne der Sicherheit zurückzustellen.“ Dabei ist gar nicht ausgemacht, ob die Gewalt gegen Polizisten tatsächlich zunimmt: Die Anzeigen in Sachen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ gingen zuletzt sogar zurück – andere Statistiken sind aus Sicht von Karoline Ellrich wegen hoher Dunkelziffern oder zu weniger Zahlen nicht aussagekräftig. Anfang 2013 hatte der Professor einer Hamburger Polizeihochschule gar erklärt, die Gewalt werde gar nicht mehr. Die Polizeigewerkschaften jammerten nur. Der Zeitungsartikel mit dem Titel „Heule, heule, Gänschen“ ärgert Gall heute noch. „Das ist kein Lobbygeplärre, sondern konkreter Alltag“, sagt der Minister.

Dabei hat sich auch viel geändert: Manche geborgen aufgewachsenen Jungpolizisten stehen manchmal fassungslos bei den Montagsdemos gegen Stuttgart 21 in der Stuttgarter Innenstadt: Sie können den Hass nicht verstehen, der ihnen von älteren Damen, die ihre Omas sein könnten, entgegenschlägt.

Ellrich spricht überdies von Milieus, die erreicht werden müssen: So hätten viele Zuwanderer unter anderem aus ehemaligen Sowjetrepubliken die Polizei nur als Feind kennengelernt. Dass die deutschen Beamten in der breiten Bevölkerung als „Freund und Helfer“ beliebt seien, gehöre zwingend in den Schulalltag.

Allerdings sieht Ellrich auch Probleme bei der Polizei: Oft werde erlittene Gewalt nicht aufgearbeitet. Mancher Gruppenführer verharmlose „die paar Schläge auf die Mappe“, oft würden die Beamten mit Traumata, Gesundheitsproblemen, Disziplinarverfahren allein gelassen.

Eine neue, bisher unveröffentlichte KFN-Studie sieht zudem einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Belastung: Dienstlich gestresste Beamte werden demnach eher Opfer von Gewalt als entspannte Kollegen. Nicht bei Demos, sondern beim ganz normalen Einsatz.