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Die Jagd nach Kinderschändern

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Die Jagd nach Kinderschändern
Veröffentlicht:27.10.2015, 07:00

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Die Arbeit von Achim Traichel und seinem Team ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Internet machen die Polizisten vom Landeskriminalamt (LKA) Jagd auf Kinderschänder. Nur zu schnell verliert sich die Spur derer, die zum Teil brutalste Bilder und Videos von Kindesmissbrauch ins Netz stellen.

Wer weiß, wie er vorgehen muss, findet im Internet alles: Drogen, Waffen und auch Bilder von nackten fünfjährigen Mädchen. Hier setzt die Abteilung 5 „Cybercrime/Digitale Spuren“ an, die 2012 gegründet wurde und damit bundesweit zu den ersten gehörte. Immer mehr Kriminalität verlagert sich auch in Baden-Württemberg auf die Datenautobahnen im World Wide Web. Parallel dazu ist die Abteilung 5 beim LKA in den vergangenen Jahren stark angewachsen – von 60 auf 100 Beamte innerhalb von drei Jahren. Mit der Polizeireform bekam zudem jedes Präsidium in Baden-Württemberg eine für Cybercrime zuständige Inspektion.

„phil“, zu deutsch: liebend

„Für uns ist wichtig, dass unsere Arbeit sauber nachvollziehbar ist“, sagt Achim Traichel, der mit sieben Kollegen den Arbeitsbereich Internet-Recherche betreut. Der 53-jährige Vater von vier Kindern hat den Bereich 2005 mit aufgebaut. Denn nur fundierte Arbeit hat vor Gericht Bestand und führt zur Verurteilung von „Pädo-Kriminellen“. Diesen Begriff benutzen die Polizisten, denn im Wort „Pädophile“ stecke der Wortteil „phil“, zu Deutsch: liebend. Mit Liebe hat das, was die Cyber-Polizisten täglich ansehen müssen, aber rein gar nichts zu tun.

Die Zahlen sprechen für die Abteilung. Im ersten Dreivierteljahr 2015 haben die Stuttgarter Fahnder weltweit rund 12200 Ermittlungsverfahren auf den Weg gebracht, davon 840 in Deutschland und 52 im Südwesten. So hatte die Recherche der Cyber-Polizisten auch zu einem Familienvater aus Baden-Württemberg geführt, der im Oktober von einem Landgericht verurteilt wurde. Er hatte seine Kinder missbraucht, dabei die Videokamera laufen lassen und die Filme ins Internet gestellt. Fünf solcher Fälle mit insgesamt acht Opfern konnten dank der Arbeit der Fahnder in diesem Jahr bereits aufgeklärt werden.

„Dass man in dem Bereich mehr tun könnte, ist klar“, sagt Traichel, „aber die Ressourcen sind begrenzt.“ Mit einem Computerprogramm, das von LKA-Informatikern speziell für die Bedürfnisse der Internet-Fahnder entwickelt wurde, durchforsten Traichel und Co. einschlägige Tauschbörsen im Internet. „Bei Kinderpornografie geht es meistens nicht um Geld, es geht um den Tausch“, weiß Traichel.

Dann heißt es schnell sein: Noch während ein Nutzer online ist, noch während er sich Bilder und Videos herunterlädt, erfragen die Fahnder dessen IP-Adresse beim Telekommunikationsanbieter ab, um den Verdächtigen identifizieren zu können. Sind sie zu spät dran, hat der Anbieter die Nutzerdaten bereits gelöscht. Aber genau hier soll nun die Vorratsdatenspeicherung helfen. „Es wird auf jeden Fall besser sein“, prophezeit Traichel und liefert einen Vergleich: Lag die Erfolgsquote solcher Anfragen 2008/2009 bei 90 Prozent – damals gab es noch die alte Version der Vorratsdatenspeicherung –, liegt sie derzeit bei nur noch 66 Prozent.

Aus allen Sozialschichten

Täter auf frischer Tat ertappen will auch Thomas Raml . Sein Spezialgebiet ist das sogenannte „Cyber-Grooming“, bei dem Kinder und Jugendliche in Internet-Chats gezielt angesprochen werden, mit dem Ziel eines sexuellen Kontakts. Seit Januar steht diese Anbahnung von sexuellen Kontakten mit Kindern unter Strafe. Täter sind – wie in allen anderen Bereichen der Kinderpornografie im Internet – Männer. „Das ist aber auch so ziemlich das Einzige, das wir mit Sicherheit sagen können“, erklärt Traichel. Denn Pädo-Kriminelle finden sich in allen Alters- und Sozialschichten.

Raml hat bei seiner Arbeit großen Handlungsspielraum. Er gibt sich in einschlägigen Internet-Chats meist als zwölfjähriges Mädchen aus und wartet. Aktiv eine Konversation beginnen darf er aus rechtlichen Gründen nicht. Aber es dauere nie länger als ein paar Sekunden, bis er angesprochen werde. Das ist „wie wenn man ein Stück Fleisch in den Amazonas reinschmeißt und wartet, bis die Piranhas kommen“, sagt der 48-jährige Familienvater.

Der Mann am anderen Ende der Datenleitung versucht meist, zu seinem Opfer Vertrauen aufzubauen. Ist das gelungen, kommt es zu den immer gleichen Taten: Der Mann masturbiert vor laufender Web-Kamera; er fordert das Kind – in diesem Fall Raml – dazu auf, selbst zu masturbieren; er schlägt ein reales Treffen vor. Für den Fall, dass der Täter fordert, dass auch das Kind – also Raml – die Webcam anschalte, tut er das für einen kurzen Moment. Dann sieht sein Gegenüber eine typische Mädchenzimmer-Einrichtung mit Band-Postern an der Wand. Raml hat für gute Tarnung hinter seinem Polizeischreibtisch gesorgt. Seine Methode hat Erfolg, denn „ich bewege mich als vermeintlich naive Zwölfjährige im Internet sehr gut“.

Was er und seine Kollegen ansehen müssen, ist für sie mitunter immer noch sehr belastend. „Es gibt nichts, was ich noch nicht gesehen habe“, sagt Raml. Die Beamten werden deshalb regelmäßig psychologisch betreut. Aber jeder aufgedeckte neue Missbrauchsfall ist für sie ein Erfolgserlebnis. „Das ist eine große Motivation“, sagt Raml.

So sieht es auch Norbert Mohr. Der 54-jährige Polizist betreut die zentrale „Ansprechstelle Kinderpornografie“ im LKA. Sie ist das Bindeglied zwischen den Cyber-Polizisten in Stuttgart, in den anderen Bundesländern und im Bundeskriminalamt (BKA). Bei Mohr laufen alle Informationen zusammen, etwa die Koordinierung von Ermittlungsverfahren und auch der Aufbau der sogenannten Hash-Datenbank. In diese Datenbank pflegen Cyber-Fahnder bundesweit kinderpornografisches Material ein. „Jedes Bild und jedes Video hat einen elektronischen Fingerabdruck“, sagt Mohr. Das erleichtert die Verfahren und entlastet vor allem die Fahnder. Denn die müssen sich jedes einzelne Foto, jedes Video anschauen und nach formellen Kriterien beschreiben. Ist dasselbe Bild oder Video allerdings bereits in der Datenbank erfasst, muss es nicht ein zweites Mal gesichtet und beschrieben werden.

Stundenlang Bilder sichten

130000 kinderpornografische Bilder und Videos hat Mohr zusammen mit einem Kollegen dieses Jahr in die Datenbank eingepflegt, die bereits etwa eine Million sogenannter „Hash-Werte“ enthält. Der Berg der Dateien, die noch eingespeist werden müssen, ist groß. „Mehr als zwei Stunden am Tag kann man solches Material nicht sichten“, sagt Mohr.

Der Weg zu den Tätern führt manchmal auch über die Opfer. Dafür hat eine Bund-Länder-Kommission ein Stufenkonzept entwickelt, zu dem auch eine Schulfahndung gehört. Dann werden unter Wahrung des Opferschutzes unverfängliche, aber zur Identifizierung geeignete Bildausschnitte an die Schulen des Landes übersandt. Als Beispiel spricht Mohr von einem Fall von schwerem sexuellen Missbrauch aus Baden-Württemberg. Die Lehrer haben das Kind identifiziert, und das führte zum Täter.

Einer muss den Job machen

„Die meisten wissen gar nicht, wie jung die Opfer manchmal sind“, sagt Mohr. Bisweilen seien es Säuglinge. Er weiß das nur zu gut, denn er hat es auf dem Bildschirm ansehen müssen. Viele Täter, deren Computer beschlagnahmt werden, sind manische Sammler – 600 000 kinderpornografische Dateien pro Fall sind keine Ausnahme. Abstumpfen funktioniert aber nicht, sagt Mohr, weder er noch seine Kollegen lassen nach. „Die Täter vergreifen sich an den schwächsten Gliedern der Gesellschaft, den Kindern“, sagt der vierfache Vater. Sein Job sei belastend, „aber er muss gemacht werden“.