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Millionen-Umbau

Der Weg zum Umbau des Alpenrheins ist holprig

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

600-Millionen-Euro-Projekt südlich des Bodensees – Planungen für eine Flussrenaturierung und einen besseren Hochwasserschutz
Veröffentlicht:26.09.2014, 18:37

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Die Angelrute biegt sich durch. „Mensch Alfons , da hat eine gute Regenbogenforelle gebissen“, ruft ein Kamerad des Anglers. Aber noch ist der Fisch nicht aus dem trüben Wasser des Alpenrheins heraus, das an diesem sonnigen Morgen träge dem Bodensee zufließt. Alfons muss kämpfen. Dass er gegenwärtig aber an dieser Stelle bei der Vorarlberger Gemeinde Hard überhaupt eine Chance auf einen Fisch hat, liegt an der Jahreszeit. Die im Bodensee vorkommenden Forellenarten ziehen zum Laichen die Zuflüsse hinauf.

Auch der Alpenrhein ist Wandergebiet. Für seine ersten Kilometer von der Mündung flussaufwärts hat dies eine besondere Bedeutung. Die herbstliche Wanderzeit der Forellen ist der einzige Jahresabschnitt, in dem dort mit Erfolg Fische geangelt werden können. „Dies wird sich aber ändern. Demnächst dürfte es wohl das ganze Jahr Fische geben“, meint Sepp, ein weiterer herbeigeeilter Angler. Er spielt auf ein gigantisches Projekt der beiden Anliegerstaaten Österreich und Schweiz an. Sie wollen 26 Kilometer Alpenrhein komplett umbauen. Kostenpunkt: 600 Millionen Euro nach gegenwärtigen Schätzungen. Bei der Bauzeit wird mit zwei Jahrzehnten gerechnet.

Die Maßnahmen betreffen den letzten Abschnitt vor der Mündung, ein reiner Kanal, eine flussbauliche Wüste. „Nichts für Fische“, sagt Sepp. Aber das Rhesi genannte Projekt soll neben besserem Hochwasserschutz dem Alpenrhein auch wieder mehr Raum geben – Platz, um wenigstens ein bisschen geschwungen zu fließen, um Altwasser zu bilden und Überschwemmungsflächen zu haben. Fische besäßen dann wieder einen Lebensraum, ebenso anderes Getier, Pflanzen und Bäume.

Ausgeschrieben bedeutet Rhesi „Rhein-Erholung-Sicherheit“. Naturschützer und Fischer unterstützen das Projekt vehement. Es hat sich eine Plattform namens „Lebendiger Alpenrhein“ gebildet. Regionale Naturschutzgruppen aus dem österreichischen Bundesland Vorarlberg, der Nordostschweiz und dem rheinaufwärts gelegenen Fürstentum Liechtenstein sind Mitglieder. Ihr Sprecher Lukas Indermaur betont, ein naturnaher Alpenrhein sei nicht nur für die Umwelt ein Segen. Er würde auch mehr Besucher anziehen und so den Tourismus fördern.

Es gibt jedoch ein Problem: Das Projekt verzögert sich. Sepp und seine Anglerfreunde scheinen dies noch nicht verstanden zu haben. Weshalb sie auf eine rasche Rhesi-Umsetzung hoffen. Indermaur winkt dagegen ab. Er kennt das zähe Geschäft der Planungen. Eigentlich hätte schon 2013 beschlossen werden sollen, was am Alpenrhein geschieht. Vor dem nächsten Jahr wird aber keine Entscheidung fallen, weil es unter Alpenrhein-Anliegern, Naturschützern und Fischern konträre Ansichten zu diesem Projekt gibt. Ökologisch orientierte Rhesi-Anhänger sowie Petri-Jünger möchten so viel natürlichen Fluss wie nur möglich. Am liebsten wäre ihnen, wenn die Hochwasserdämme weit ins Hinterland verlagert würden. So könnte der Alpenrhein viel von dem Raum zurückgewinnen, den er vor einem Jahrhundert bei seiner Regulierung verloren hat.

Diverse Bauern, Kommunal- und Wirtschaftsvertreter denken anders. Sie liebäugeln mit der bloßen Erhöhung bestehender Dämme. Der Grund dafür ist simpel. Mehr Platz für den Alpenrhein würde weniger Raum für Felder, Baugebiete oder die Ausdehnung von Gewerbeflächen bedeuten. Hinzu kommt, dass einige Orte ihre Trinkwasserbrunnen in Flussnähe haben. Sie legen Wert darauf, diese Entnahmestellen außerhalb der Dämme – und damit des Überflutungsbereichs – zu haben. Ansonsten könnte das Wasser vom Alpenrhein verschmutzt werden. Selbst bei einer minimalen Renaturierung des Flusses drohe dem Trinkwasser Schaden, klagt Christa Köppel, Vizepräsidentin des Wasserwerks der eidgenössischen Orte Au, Balgach, Widnau und Rebstein.

Projektleiter Mähr und seine Leute müssen nun einen Kompromiss für die verschiedenen Standpunkte finden. Erst danach können Behörden weitere Details ausarbeiten. Dann folgt eine Umweltverträglichkeitsüberprüfung. Am Schluss wird ein Staatsvertrag zwischen Österreich und der Schweiz stehen. Mit anderen Worten: Rhesi entwickelt sich zum bürokratischen Monstrum. Vor 2020 dürfte kein einziger Bagger rollen.

Solche Terminverschiebungen sind manchem Fluss-Anlieger inzwischen aber nicht mehr gleichgültig. Dies hat mit dem veralteten Hochwasserschutz zu tun. Er stammt in seinen Grundzügen aus der Rheinregulierung vor dem Ersten Weltkrieg. Seinerzeit wurde nicht mit so gewaltigen Fluten gerechnet wie heutzutage. Wegen der Klimaveränderungen würden katastrophale Hochwasser immer wahrscheinlicher, warnt in der Schweiz der Altstätter Kantonsrat Meinrad Gschwend. Er fordert rasche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

Solch tiefgreifende Gedanken sind Alfons, Sepp und ihren Fischerkameraden für den Moment egal. Für sie gibt es Wichtigeres – und zwar die Regenbogenforelle an Alfons Angel. Die Rute biegt sich immer noch. Aber einen Augenblick später hüpft die Schnur aus dem Wasser. Der Fisch ist weg, hat sich losgerissen. Pech. Auch beim Angeln klappt nicht alles so, wie es sich die Akteure vorstellen.