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CDU nach der Wahl: kein Königsmörder, kein Hoffnungsträger

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Die Partei sucht nach Gründen für das Wahldebakel – Spitzenkandidat Wolf erfährt Rückhalt und Kritik
Veröffentlicht:14.03.2016, 19:45

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Die zwei Welten der CDU liegen am Sonntagabend um kurz nach 19 Uhr etwa 80 Kilometer auseinander: „Ich habe einen Auftrag meiner Partei“, sagt CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf im Marmorsaal des Neuen Schlosses in Stuttgart vor der versammelten Politikpresse und meint damit den Auftrag, eine Regierung unter CDU-Führung zu schmieden.

„Guido Wolf muss seinen Stuhl räumen, er trägt die komplette Verantwortung für dieses Ergebnis“, sagt Philipp Bürkle zur selben Zeit im Bürgerbüro des Rathauses in Ehingen im Alb-Donau-Kreis. Bürkle ist Bezirks-Chef der Jungen Union in Württemberg-Hohenzollern und an diesem Abend konsterniert. Traditionell ist die Region CDU-Stammland, doch an diesem Abend gilt auch das nicht mehr. Selbst die sicher geglaubten Direktmandate in Sigmaringen und Ravensburg sind verloren. In Ehingen wird der 27-jährige Manuel Hagel zwar CDU-Stimmenkönig, doch für dieses landesweit beste Wahlergebnis der Partei reichen gerade mal 36,3 Prozent. Das sind satte 14,7 Prozentpunkte weniger als noch vor fünf Jahren. Und das in einer Stadt mit absoluter CDU-Mehrheit im Gemeinderat, CDU-Oberbürgermeister und CDU-Landrat.

Grün ist das neue Schwarz

Wer die Dramatik des CDU-Absturzes verstehen will, muss sich nur die Karte der Direktmandate des Landes anschauen: 2006 gingen noch 69 von 70 Wahlkreisen direkt an die CDU, zehn Jahre später sind es noch ganze 22. Aus einer schwarzgefärbten Landkarte des Südwestens ist binnen eines Jahrzehnts eine grüne Fläche mit wenigen schwarzen Inseln geworden. Als Winfried Kretschmann vor einem Vierteljahr in Reutlingen erklärte, die Grünen seien als „Baden-Württemberg-Partei“ die Erben der CDU, klang das in den Ohren der Union noch wie Größenwahn. Nun scheint es Realität zu werden.

Mit unabsehbaren Langfristfolgen: Jahrzehntelang konnte die CDU mit dem Nimbus der Immerregierenden landesweit Schlüsselpositionen besetzen. ob Bürgermeister, Landräte, Abgeordnete, Minister oder Ministerpräsident: Macht war Sache der CDU.

Wer in der Südwest-Politik Karriere machen wollte, sollte ebenso wie beim bayerischen Nachbarn ein Parteibuch der Union haben. Zwischenzeitlich kratzte die Mitgliederzahl sogar an der 100000er-Marke, und noch immer ist die CDU mit 68000 Parteigängern zahlenmäßig weit stärker als alle Konkurrenten zusammengenommen.

Der Sieg der Grünen 2011 war für viele CDUler lange nichts weiter als ein politischer Betriebsunfall, den man nach fünf Jahren wieder problemlos heilen kann. Nun droht aus dem Betriebsunfall ein Dauerzustand zu werden.

Und neben dem Nimbus der Unbesiegbarkeit gehen auch ganz konkret Stellen verloren. 18 Abgeordnetenbüros müssen geschlossen werden, Parlamentarier und Mitarbeiter verlieren ihre Stellen. Und die CDU in Baden-Württemberg droht etwas zu werden, wovor sie eine gewaltige Angst hat: ein Landesverband wie so viele andere in Deutschland. Einer, der mal an der Macht, mal in der Opposition sitzt.

Wer an dem Absturz die Schuld trägt, ist ebenfalls umstritten: Merkels Flüchtlingspolitik in Berlin, sagt das Wolf-Lager. Warum liegen die Zustimmungswerte der Südwest-CDU dann bis zu zehn Prozent unter denen im Bund, nachdem sie jahrzehntelang verlässlich drüber waren, fragen die Berliner zurück.

Brodeln im Hintergrund

Welche dieser beiden Lesarten offiziell gilt, ist bereits am Sonntagabend in der Union hoch umstritten: Als die Helfer im Neuen Schloss kurz nach 23 Uhr noch die letzten Stühle und ungegessenen Snacks der Wahlparty wegräumen, geht es wenige Meter weiter bei einer Klausur des CDU-Präsidiums im nahen Königin-Olga-Bau Teilnehmern zufolge immer noch hoch her. „Ein Hauen und Stechen“ zwischen Wolf-Fans und -Kritikern habe es gegeben, berichten Teilnehmer. Dem folgte eine kurze Nacht: Bereits um 6.20 Uhr nimmt Wolf den ersten Flieger nach Berlin, um die Wahl mit der Bundesspitze auszuwerten. Danach geht es direkt zurück, denn schon am Montagnachmittag wartet der nächste Sitzungsmarathon: Zuerst treffen sich die vier mächtigen CDU-Bezirksverbände zu Krisensitzungen, am Abend stehen Termine im Stuttgarter Ratskeller an: Erst mit einer erneuten Präsidiumssitzung, dann mit dem gesamten Landesvorstand. „Im Hintergrund brodelt es ordentlich“, sagt ein Teilnehmer.

Viele sehen eine Mitschuld für die Niederlage auch bei Wolf. „Nur mit Merkel würden wir nicht da stehen, wo wir stehen“, sagt ein hochrangiges Mitglied. Der Vorwurf: Wolf habe zu sehr auf sein als Landrat und beim CDU-Mitgliederentscheid bewährtes Erfolgsrezept gesetzt: sich selbst und seine Wirkung im persönlichen Kontakt zu den Menschen. „Viele sind positiv überrascht, wenn sie Wolf direkt erleben“, loben Abgeordnete. Doch was bei 68 000 CDU-Mitgliedern klappt, erreicht mitunter keine 7,7 Millionen Wahlberechtigte. Vor allem nicht, wenn dem Herausforderer mit Kretschmann ein medial versierter und beliebter Amtsinhaber mit einem erfahrenen Beraterstab gegenübersteht. In der Landespartei gibt es viele, die Wolf strategische Fehler, thematisches Mäandern und Alleingänge im Wahlkampf vorwerfen. So wie der nicht mit der Bundespartei abgestimmte Vorstoß mit dem Klöckner-Papier zur Flüchtlingskrise.

Doch wer den Aufstand will, braucht auch einen Königsmörder, der die Partei hinter sich bringen kann. In Stuttgart kursieren Namen, die nicht gerade auf einen Neuanfang hoffen lassen: Genannt werden unter anderem Ex-Minister Willi Stächele, Ex-Fraktionschef Peter Hauk oder der Landesvorsitzende Thomas Strobl. Einen neuen Hoffnungsträger aufzubauen bräuchte Zeit.

Und die Zeit für etwaige Umstürzler drängt, denn Wolf will Nägel mit Köpfen machen: Um bei dem ersten Sondierungsgespräch am Mittwochnachmittag mit den Grünen aus einer guten Position zu starten, will sich der Spitzenkandidat bereits am Dienstag als Chef der von 60 auf 42Abgeordnete geschrumpften Fraktion bestätigen lassen. Dafür gibt es Rückenwind aus Bürkles Bezirksverband: „Alle Landtagsabgeordneten aus Württemberg-Hohenzollern werden in der Fraktionssitzung Guido Wolf unterstützen“, sagt Bezirkschef Thomas Bareiß der „Schwäbischen Zeitung“.

Hoffen auf Deutschland-Koalition

Der Aufstand gegen Wolf könnte demnach ausfallen, denn der Kandidat hat trotz herber Verluste weiterhin eine klare Machtoption: ein CDU-geführtes Dreierbündnis mit der arg gerupften SPD und der deutlich erstarkten FDP. Die wird in der Union tapfer „Deutschland-Koalition“ genannt, die Journalisten haben sie intern bereits „Verlierer-Koalition“ getauft. Kann Kretschmann keine „Ampel“ aus Grünen, Roten und Gelben schmieden, könnte mit einer Deutschland-Koalition Wolfs Stunde schlagen. Man sei sich in vielen Themenfeldern sehr nah, heißt es in der CDU.

In der Partei scheint man sich darauf zu verständigen, dass man Wolf Rückendeckung für Sondierungen einräumen will. Schafft er es, die CDU als Seniorpartner an die Macht zu bringen, wäre das Wahlziel trotz aller Verluste erreicht. Und ist man erst einmal in Regierungsverantwortung, könnte die Popularität des Regierungschefs auch die CDU sanieren. Thomas Bareiß fasst die offizielle Marschrichtung so zusammen: „Grün-Rot hat keine Mehrheit mehr. Deshalb ist es jetzt auch an uns, aktiv zu werden, um eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Unser Spitzenkandidat Guido Wolf hat klar den Auftrag, den Politikwechsel anzugehen. Die CDU Württemberg-Hohenzollern steht hinter Guido Wolf.“

Dreierbündnis wäre brüchig

Gut möglich also, dass der Spitzenkandidat bis auf Weiteres der Leitwolf der Südwest-CDU bleibt, so lange er eine Chance auf den Ministerpräsidentenposten hat. Allerdings hat die Deutschland-Koalition auch einige Haken: In der SPD gibt es große Vorbehalte, beim Rückdrehen der bisherigen Regierungspolitik zu helfen. Und das Dreierbündnis hätte nur eine Mehrheit von einer Stimme im Parlament, wäre also sehr brüchig.

So hoffen die Wolf-Kritiker denn auch, dass der Spitzenkandidat das Bündnis nicht zusammenbekommt. Scheitert die Deutschland-Koalition, könnte ein anderer übernehmen und die CDU als Juniorpartner in eine grün-schwarze Koalition unter Kretschmann führen. Dass Wolf scheitert, hoffen seine Gegner inständig: „Wenn er so sondiert, wie er wahlkämpft, wird das eh nichts.“