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Schuldebakel

Bildung: Baden-Württemberg sackt ab

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Vergleichsstudie offenbart Mängel an baden-württembergischen Schulen
Veröffentlicht:28.10.2016, 19:04

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Bayern bleibt an der Spitze, Baden-Württemberg sackt im Ländervergleich ab. Dieses Ergebnis des IQB-Bildungstrends 2015, den die Kultusminister der Länder in Auftrag gegeben hatten, hat sich seit Donnerstag abgezeichnet.

Nach der Veröffentlichung der detaillierten Ergebnisse am Freitag zeigt sich: Das Bildungsniveau im Fach Deutsch ist im Südwesten im Vergleich zu 2009 deutlich gesunken. In Englisch haben sich die Fähigkeiten der Neuntklässler zwar verbessert, doch etliche andere Bundesländer sind an Baden-Württemberg vorbeigezogen.

Diese Studie tut weh. Jahrzehntelang sonnte sich Baden-Württemberg in seinem Ruf, Bildungsmusterland zu sein. Nach den desolaten Ergebnissen zum Niveau der Achtklässler in Deutsch und Mathematik im Südwesten, die im Juli die Vergleichsstudie „Vera 8“ offenbarte, kommt nun mit dem IQB-Bildungstrend der zweite Schock. Während sich mancher Politiker in Schuldzuweisungen übt, fordern andere vor allem eins: Ursachenforschung.

Grundschulempfehlung galt noch

Die CDU hatte sich während der letzten Legislaturperiode vehement gegen Reformen unter Grün-Rot gestemmt. Sie sträubte sich gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule und verteufelte die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Beide Maßnahmen wirkten sich allerdings nicht auf den IQB-Bildungstrend aus, da die damaligen Neuntklässler von den Reformen noch nicht betroffen waren. Dennoch erklärt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nun: „In den vergangenen Jahren wurde in Baden-Württemberg viel zu viel über Schulstrukturen gestritten. Die Themen Qualität und Leistung hat man völlig aus den Augen verloren. Das war ein Fehler, den wir mit der IQB-Studie nun quittiert bekommen.“

Deutlichere Worte findet CDU-Generalsekretär Manuel Hagel, der von einem „Offenbarungseid für die Bildungspolitik der Vorgängerregierung“ spricht. „Das haben vor allem die von der SPD gestellten Kultusminister Gabriele Warminski-Leitheußer und Andreas Stoch zu verantworten.“ Noch drastischer formuliert es der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Die giftige Saat einer linksideologischen Schulpolitik geht jetzt auf.“ Er argumentiert, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule sehr wohl Einfluss auf die Qualität des Unterrichts auch der anderen Schulen genommen habe, denn „wer zu Lasten aller anderen Schularten Mittel systematisch zur Gemeinschaftsschule umschichtet, der erlebt natürlich, dass diese anderen Schularten an Leistungskraft einbüßen.“

Analyse der Ergebnisse wichtig

Der ehemalige Kultusminister Andres Stoch (SPD) wehrt sich gegen derlei Anwürfe. „Die Ergebnisse eignen sich nicht für Schuldzuweisungen“, sagt er am Freitag in Stuttgart. Das Thema Bildungspolitik sei zu komplex für reflexhaftes Fingerzeigen. Zudem dauere es mindestens acht Jahre, bis klar werde, wie sich eine Änderung im Schulwesen auswirke. Die Kritik von CDU und FDP, die vor dem Regierungswechsel zu Grün-Rot 2011 jahrzehntelang die Regierung in Baden-Württemberg stellte, kontert er so: „Vielleicht unterstreicht das Ergebnis ja gerade einen gewissen Reformbedarf im Schulsystem.“ Er sehe mannigfaltige Gründe für das schlechte Abschneiden der Neuntklässler aus dem Südwesten – darunter zu wenig Fortbildung für Lehrer, zu viele ganz kleine Schulen, in denen die Fachlichkeit verloren gehe, den hohen Anteil in Baden-Württemberg an Kindern von Zuwandererfamilien, die in Deutsch deutlich schlechter abschnitten. Ein Grund sei sicher auch der Bildungsplan, den CDU-Kultusministerin Annette Schavan 2004 eingeführt hat, der einen Umbruch weg von Inhalten hin zu Kompetenzen beschrieb – auf den die Lehrer damals laut Stoch nicht vorbereitet wurden. „Wir müssen das jetzt ganz ehrlich analysieren.“

Lehrer-Schüler-Relation ist gut

Den nüchternen Blick fordert auch Stochs Nachfolgerin. „Es gibt keine einfachen Antworten auf diese komplexen Fragen. Auch reflexhafte Forderungen nach mehr Lehrerstellen helfen uns nicht weiter“, erklärt Eisenmann . Tatsächlich ist die Schüler-Lehrer-Relation an Schulen im Südwesten gut. Wie eine Länderübersicht der Kultusministerkonferenz zeigt, kamen 2014 auf einen Lehrer an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen im Südwesten 14,5 Schüler – 0,2 Schüler weniger als in Bayern und im Bundesdurchschnitt. Zwischen 2009, als der erste IQB-Bildungstrend erhoben wurde, und 2015 kletterte die Stellenzahl nach Information des Kultusministeriums zudem von 91855 auf 92808. Dass mehr Lehrer nicht zwangsläufig mehr Leistung hervorbringen, sagte auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) jüngst mehrfach. „Wir können doch nicht immer nur mehr Lehrer einstellen. Die Kinder müssen doch auch mal klüger werden.“

Wie Eisenmann setzt auch der grüne Koalitionspartner darauf, den schlechten Ergebnissen mit einer Qualitätsoffensive an den Schulen zu begegnen. „Das Ziel ist klar: Wir müssen die Qualität in unseren Schulen und unserem Unterricht verbessern“, sagt Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Erste Schritte sind eingeleitet. Um die Grundlagen zu schaffen, hat Grün-Schwarz den Grundschülern je zwei Stunden Deutsch und Mathematik mehr pro Woche verordnet.

Außerdem soll der Rechnungshof das Schulsystem durchleuchten. Eine Sprecherin des Kultusministeriums erklärt: „Es geht darum zu hinterfragen, ob unsere Ressourcen, also die Lehrerstellen, dort eingesetzt werden, wo sie benötigt werden.“ Erste Antworten erhoffe sich die Ministerin kommenden Mai. Das angekündigten Bildungscontrolling werde derzeit erarbeitet, so die Sprecherin.