StartseiteRegionalBaden-WürttembergAgrofotovoltaik heißt doppelte „Ernte“

Heggelbach

Agrofotovoltaik heißt doppelte „Ernte“

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Im Kreis Sigmaringen startet ein einzigartiges Pilotprojekt, das die Energiegewinnung revolutionieren könnte
Veröffentlicht:16.05.2016, 18:32

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Das Hofgut Heggelbach in der Gemeinde Herdwangen-Schönach im Kreis Sigmaringen ist gewiss eines der idyllischsten Stückchen Erde, das diese Region aufzuweisen hat. Über sanft geschwungene Hügel, über Felder, Wiesen und Wälder geht der Blick zu den Alpen und zu den Vulkanbergen des Hegau.

Sechs Familien, die sich in einer Hofgemeinschaft zusammengeschlossen haben, erzeugen hier nach den strengen Richtlinien des Demeter-Verbandes Biogemüse. In wenigen Tagen rückt eine österreichische Spezialfirma auf einem Acker in der Nähe des Hofguts an, schraubt Stahlmasten in die Erde, verspannt sie miteinander und installiert in sechs Metern Höhe über dem Acker Solarelemente. Weltweite Aufmerksamkeit ist dem Experiment sicher. Vor wenigen Tagen ist die Baugenehmigung für ein in Deutschland einzigartiges Forschungsprojekt zur gleichzeitigen Erzeugung von Strom und Nahrungsmitteln erteilt worden.

Kernkraft liefert Hälfte des Stroms

„Wir mussten uns was einfallen lassen, damit das mit der Energiewende klappt“, sagt Winfried Franke , Direktor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, in dem die Landkreise Ravensburg, Bodenseekreis und Sigmaringen zusammengeschlossen sind. Die Energiewende verlangt, dass bis 2022 der Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland geschafft sein muss. „Der Strombedarf wird aber bestimmt nicht sinken. Vor allem hier im Südwesten“, prophezeit Franke. Allein die großen Firmen in Friedrichshafen würden enorm Strom ziehen. „Die Hälfte unseres Stroms kommt aber bisher aus Kernkraftwerken.“ Werden die in sieben Jahren abgeschaltet, entstehe „ein enormes Delta“, sagt Franke. Woher soll der Strom dann kommen?

Franke spielt die bisher bekannten Lösungsmöglichkeiten durch: „Wir könnten Wasserkraft-Strom aus Vorarlberg oder der Schweiz kaufen oder Atomstrom aus Frankreich. Dadurch würde allerdings viel Geld aus der Region abfließen. Eigentlich möchten wir den Strom, den wir brauchen, ja selber produzieren.“ Doch da gibt es überall Probleme: „Wir können die Biogas-Produktion kaum noch erhöhen. Schon jetzt ist die Konkurrenz zwischen Nahrungsmittelproduktion und Energieproduktion auf den Äckern groß.“

Grenzen der Fotovoltaik

Was ist mit der Windkraft? Auch auf die dürfe man, zumindest in der Region, nicht setzen: „Wir wollten mal sehr viel mehr Windkraft haben. Aber wir hatten vor zehn Jahren schon sieben Windräder in der Region und haben heute immer noch sieben“, so Franke. Die Offshore-Anlagen in der Nordsee seien weit weg, und der umstrittene „Südlink“, die „Hauptschlagader der Energiewende“, die den Strom aus dem stürmischen Norden bringen soll, sei noch nicht da. Auch die herkömmliche Fotovoltaik hat ihre Grenzen. Längst nicht alle Dächer, die dafür geeignet wären, tragen Solarmodule. Kleine „Aufdachanlagen“ sind relativ teuer. Die Freiflächenanlagen, die man entlang von Bahntrassen und Autobahnen immer häufiger sieht, versiegeln die Landschaft. Sie stehen für die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr zur Verfügung und sind trotzdem pflegeintensiv. Das Gras darunter muss gemäht werden.

Und nun? „Bei den Freiflächenanlagen sind wir der Lösung schon ganz nahe“, sagt Franke. „Man muss nur mit den Solarelementen weg vom Boden, sie zwischen hohen Stelzen verspannen und genug Platz für Sonne und Regen zwischen ihnen lassen: Schon können auf einem Stück Land zwei wertvolle Produkte ,geerntet’ werden: Nahrungsmittel und Strom. Fotosynthese am Boden, Fotovoltaik sechs Meter darüber.“ Agrofotovoltaik ist das Zauberwort der Energieplaner – übrigens weltweit.

Vom Hofgut mit Stall, Käserei, Ferienwohnung, Kinder-Dreirädern und Hightech-Schleppern gehen wir ein paar Schritte zum Versuchsacker, auf dem es so ruhig ist wie immer. Demeter-Bauer Thomas Schmid zeigt auf das kleine Feld, auf dem gerade Futterpflanzen wachsen, und sagt: „Wenn der Agrofotovoltaik-Versuch mit der anspruchsvollen Fruchtfolge der Demeter-Landwirtschaft funktioniert, dann funktioniert er überall.“ Schmid ist bäuerlicher Energiepionier. Die Hofgemeinschaft wurde schon 2009 mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet. Außerdem betreibt sie einen mit einem Blockheizkraftwerk kombinierten Holzvergaser, der mit hofeigenen Hackschnitzeln befeuert wird, und produziert damit Wärme und Strom. Nun das Agrofotovoltaik-Projekt, das mit 2,8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.

Als Stephan Schindele vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, dem mit rund 1100 Mitarbeitern größten Solarforschungsinstitut Europas, nach einem Landwirt suchte, der mitmachen würde, sagten Schmid und seine Hofgemeinschaft Ja – wohl wissend, dass nicht alle in der Demeter-Fraktion von der Vorstellung eines 140 mal 30 Meter großen, teilüberdachten Feldes begeistert sein würden. Außerdem „sind wir es, die jetzt die nächsten 30 Jahre diese Anlage haben. Falls Kritik kommt, landet die zuerst bei uns.“ Doch Schmid hat das von Rudolf Steiner, dem Begründer der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, formulierte Ziel des „geschlossenen Betriebskreislaufs“ vor Augen. Heute, 92 Jahre nachdem Steiner seinen „Landwirtschaftlichen Kursus“ hielt, bedeutet das für Schmid auch: Die Energie, die auf dem Hof verbraucht wird, soll auch auf dem Hof produziert werden.

Optimales Lichtmanagement

In Simulationen haben die Spezialisten vom Institut für Solare Energiesysteme ausgerechnet, dass die Solarkollektoren für ein optimales „Lichtmanagement“ leicht nach Südwest und Südost „rausgedreht“ werden müssen, also nicht direkt nach Süden zeigen dürfen. Sie haben für jede Vegetationsperiode die optimalen „Modulreihenabstände“ simuliert und darauf geachtet, dass noch ein Mähdrescher unten durchfahren kann. Kommt genug Regen durch? Verteilt er sich gleichmäßig am Boden? Werfen die Solarelemente nicht doch zu viel Schatten?

Für solche Fragen, sagt Stephan Schindele vom ISE, ist der Freilandversuch unersetzbar. Um die in der seriösen Forschung unabdingbare Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit sicherzustellen, wird es unmittelbar neben der Versuchsfläche auf ein und demselben Acker ein genauso großes Feld geben, auf dem genau die gleichen Pflanzen angebaut werden – nur ohne Dach darüber. Doch wenn Fotosynthese und Fotovoltaik so funktionieren wie in der Simulation vorhergesagt, dann, sagt Winfried Franke, „haben wir hundert Prozent Pflanzenwachstum am Boden und hundert Prozent Strom darüber“. Der über dem Acker produzierte Strom ist erst mal für den Hof selbst da: für die Milchkühlung, für Gebläse, für Heizung, für warmes Wasser. Was übrig bleibt, wird ins Netz eingespeist.

Fraunhofer-Forscher Schindele blickt schon weiter in die Zukunft: „Wenn das funktioniert, können wir unglaublich viel Strom ohne Flächenverbrauch produzieren. Die großen Landmaschinenhersteller experimentieren bereits mit batteriebetriebenen Traktoren. Eines Tages brauchen die Landwirte keinen Diesel mehr zu kaufen, sondern fahren mit hofeigenem Strom!“

Landwirt Thomas Schmid rechnet damit, dass es bald mit der Ruhe auf dem Acker vorbei ist. Sobald im Juni die Spezialfirma anfängt zu bauen, wird das Interesse in der näheren Umgebung wachsen. Zu den baden-württembergischen Energiewende-tagen am 17. und 18. September wird die Anlage bereits am Netz sein. Dann lädt die Hofgemeinschaft Heggelbach zum Hoffest mit Prominenz aus der Politik ein und wird auch landesweit in den Blick rücken.

Weitere Informationen gibt es auf: www.agrophotovoltaik.de