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„Kirche hat mit Scharia nichts zu tun“

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Bischof Gebhard Fürst über Flüchtlinge und den interreligiösen Dialog
Veröffentlicht:19.02.2015, 17:20

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Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, setzt sich seit Jahren besonders engagiert für den interreligiösen Dialog an. Im Gespräch mit Herbert Beck und Hendrik Groth in seinem Stuttgarter Amtssitz wird deutlich, wie sehr ihn das Miteinander der Religionen beschäftigt.

Werfen die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer nicht die Frage auf, ob die EU ihren Kurs ändern muss? Sind unsere Werte bedroht?

Wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Ich gehe davon aus, dass Flüchtlinge auch in den nächsten Jahren in großer Zahl zu uns kommen. Von den Versprechen, dass die Globalisierung die Armut in diesen Ländern bekämpfen hilft, ist keines gehalten worden. Die Antwort kann nicht lauten, dass wir die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Da muss eine andere Lösung her. Aber ich habe den Eindruck, das ist politisch nicht wirklich gewollt.

Papst Franziskus vertritt den Standpunkt, es sei unwürdig, dass Europa das alles geschehen lässt. Stimmt es Sie traurig, dass solche Appelle im ersten Moment zwar stark beobachtet werden, dass sie in der harten politischen Realität aber nicht auf fruchtbaren Boden stoßen?

Mein Impuls, das Kloster von Weingarten für Flüchtlinge zu öffnen, wurde auch durch die Bilder dieser schlimmen Unfälle ausgelöst. Natürlich lagen mir auch die Appelle des Papstes im Ohr, Appelle, die unser Gewissen wachrütteln sollten. Wir dürfen nicht in Gleichgültigkeit verfallen. Ich bin davon überzeugt, dass wir weiter wären, wenn sich ganz Europa für die Menschen, die zu uns kommen wollen, mehr anstrengt.

Was kann Ihre Kirche, was kann Ihre Diözese konkret leisten?

Die finanziellen Mittel sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben rund 12 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, das ist aber auch nicht Nichts. Die Hälfte davon ist für die Ursachenbekämpfung vor Ort bestimmt. Wir unterstützen derzeit unter anderen die Diözese Erbil im Irak, im März werden wir nach Jordanien reisen und prüfen, wie wir hier helfen können, damit die Menschen dort bleiben. Aber ich bin in gewisser Weise auch ratlos.

Wie stark hat das Beispiel von Weingarten in der Öffentlichkeit die Grundstimmung beeinflusst?

Ich kann ja nur meinen Eindruck schildern. Viele Leute sagen mir, das war ein starkes Signal. Ich habe auch viel Post bekommen, die mich ermutigt hat. Bei der Begrüßung der ersten Flüchtlinge im April letzten Jahres hatte ich schon das Gefühl, dass sich die Stimmung gedreht hat, dass die Bereitschaft, sich zu engagieren, gestiegen ist. Da hat mir sicherlich auch die Unterstützung Ihres Hauses geholfen.

Das geschah aus unserer Grundüberzeugung heraus.

Dafür bin auch sehr dankbar. So konnten wir unser Anliegen leichter transportieren. Was in Weingarten geschieht, das ist immer für ganz Oberschwaben ein Signal. Dass die Benediktinermönche nicht mehr da sind, das hat viele Menschen geschockt. Dass jetzt Flüchtlinge eingezogen sind, hat viele umdenken lassen. Anfangs herrschten Sorgen, wenn jetzt Muslime in den Kreuzgängen unterwegs sind. Aber die Vorbehalte haben schnell nachgelassen.

Was ist danach passiert?

Noch vor Weingarten sind wir in Oggelsbeuren aktiv geworden. Direkt auf Weingarten folgte Kirchheim am Ries. Wir haben über die Wintermonate das Familiendorf in Langenargen zur Verfügung gestellt. In der Nähe von Rottenburg werden demnächst in einem Zentrum der Schönstattschwestern Flüchtlinge einziehen. Auch viele kleine Aktivitäten in den Gemeinden ermutigen mich. Derzeit lassen wir in der gesamten Diözese prüfen, wo weitere Kapazitäten zu schaffen sind.

Neuerdings wird wieder heftiger um den Begriff des Kirchenasyls diskutiert. Wie positionieren Sie sich?

Es gibt in Bayern eine Bewegung, die Kirchenasylorte gezielt vorbereitet. Das halte ich für zu weit gesprungen. Aber es ist von unserer christlichen Tradition und von der Grundeinstellung her geboten, Menschen in unmittelbarer Bedrohung auch Kirchenasyl zu gewähren. Natürlich leben wir in einem Rechtsstaat. Aber in unserer Kirchenrechtslehre gibt es den weisen Grundsatz, dass ein Gesetz fast nie so gestaltbar ist, dass es allen Einzelfällen gerecht wird. Wir nennen das die Rechtsfigur der Epikie. Deshalb müssen in berechtigten Fällen Ausnahmen möglich sein.

Innenminister Thomas de Maiziere lehnt das Kirchenasyl vehement ab, er hat Vergleiche zur Scharia gezogen. Was antworten Sie ihm?

So ein Vergleich ist ungeheuerlich. Die Tradition der Kirche hat mit Scharia gar nichts zu tun.

Sie sind ein großer Verfechter des interreligiösen Dialogs. Gehört der Islam zu Deutschland?

So eine Formel muss man mit Inhalt füllen. Ich könnte nicht unkommentiert sagen, der Islam gehört zu uns. Soll das bedeuten, er ist in der Geschichte tiefverwurzelt? Oder versteht man darunter, dass wir mit den Menschen, die bei uns leben, im Kontext unserer Verfassung fair umgehen und sie tolerieren? Man muss wirklich genau differenzieren. Salafisten oder jene Kreise, die eine Scharia-Polizei durch Städte laufen lassen, gehören sicher nicht zu uns.

Vor zehn Jahren haben sie bereits einen runden Tisch Islam einberufen. Was gab den Anstoß?

Das geschah damals unter dem Eindruck des Karikaturenstreits in Dänemark. Dahinter steckt auch ein sehr pragmatischer Ansatz. Wir müssen uns mit den Menschen, die hier bei uns leben, auseinandersetzen. Außerdem verficht die katholische Kirche seit dem Konzil das Prinzip der Religionsfreiheit. Deshalb hat sich schon mein Vorgänger Walter Kasper 1995 zum Moscheebau positioniert. Ich habe mich seit 2001 regelmäßig für islamischen Religionsunterricht eingesetzt.

Was erwarten sie von Vertretern des Islam unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse?

Öffentliche Repräsentanten der Muslime müssen aufstehen können und sagen, dass ihre Religion total missverstanden wird, dass sie instrumentalisiert wird, wenn so furchtbare Gewalt im Namen Allahs begangen wird und dass Tendenzen, die es im Koran geben mag, in eine Ideologie umgemünzt werden. Aber das ist leichter gesagt als getan. Dennoch haben wir es bei unseren Treffen mit Muslimen jedes Mal geschafft, eine gemeinsame Erklärung zu formulieren. Eine lautete, dass Gewalt keine Antwort auf schlimme Karikaturen sein kann. Aus meiner Sicht gibt es aber Grenzen. Die Karikaturen, die Charlie Hebdo veröffentlicht hat, sind für mich nicht die Krönung der Pressefreiheit.