StartseitePolitikInternetsteuer entfacht Proteste in Ungarn

Internetsteuer

Internetsteuer entfacht Proteste in Ungarn

Politik / Lesedauer: 2 min

Internetsteuer entfacht Proteste in Ungarn
Veröffentlicht:29.10.2014, 18:47

Artikel teilen:

Für den ungarischen Premierminister Viktor Orban könnten Demonstrationen gegen eine umstrittene Steuer brenzlig werden. Schon rudert sein Machtzirkel zurück.

Wien - Die ungarische Wirtschaft steuert auf die Rezession zu, die Staatsverschuldung beträgt über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung, und Premierminister Viktor Orban erfindet laufend neue Steuern: Ab 2015 will er eine „Internetsteuer“ einführen, die dem Staat nach Expertenschätzungen jährlich 600 Millionen Euro einbringen soll. Die Regierung spricht lediglich von 65 Millionen Euro. Jeder Nutzer soll pro Gigabyte 150 Forint (etwa 50 Euro-Cent) zahlen.

Mit seiner jüngsten Steueridee könnte Orban eine Schmerzgrenze überreizt haben. Vor allem hat er die Jugend des Landes gegen sich aufgebracht: Das Internet und die sozialen Medien sind in Ungarn Plattformen freier Meinungsäußerung, mit der Steuererhebung lassen sich künftig einzelne Nutzer und deren Gewohnheiten zugleich besser überwachen. Viele Ungarn nutzen das Internet auch zum Telefonieren.

Seit Ende voriger Woche ruft eine Facebook-Initiative in Budapest und anderen Städten beinahe täglich zu Massenprotesten auf. Schlachtrufe wie „Freiheit und Internet“ und „Orban hau ab!“ sind zu hören. Der Premier muss sich auf Spruchbändern einen „digitalen Analphabeten“ nennen lassen.

Orbans Gehilfen rudern zurück

Beobachter erwarten nicht, dass die Regierung die Gesetzesvorlage, die am 18. November im Parlament beschlossen werden soll, zurücknimmt. Doch Orbans Gehilfen, vom „Shitstorm“ auf der Straße offensichtlich überrascht, rudern bereits zurück. Zunächst gab Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán bekannt, dass die Internetsteuer ohnehin bei 700 Forint (2,30 Euro) monatlich gedeckelt werde. Seit Mittwoch gilt auch das nicht mehr: Das Reizwort Internetsteuer meidend, sprechen Regierungsvertreter nun von einer „Telekommunikationssteuer“, die lediglich die Netzbetreiber zu bezahlen hätten. Nur: Die Telekoms dürften die Steuer auf die Kunden abwälzen.

Die Regierung Orban muss diese Proteste mehr fürchten als die vorangegangenen, denn sie könnten sich zur größten zivilen Oppositionsbewegung seit seiner Machtübernahme 2010 entwickeln. Die Szenerie auf den Straßen erinnert an die antikommunistischen Proteste vor 25 Jahren, deren Anführer ironischerweise Orban war. Die Internetsteuer war bloß eine Initialzündung, die den schwelenden Unmut über Orbans autokratischen Kurs und die sich häufenden Korruptionsaffären befeuert.

Einreiseverbote gegen Beamte und Geschäftsleute

Die US-Regierung verhängte kürzlich gegen sechs Regierungsbeamte und Geschäftsleute ein Einreiseverbot, weil die Korruption in Ungarn „auch amerikanische Wirtschafsinteressen betrifft“, so der US-Geschäftsträger in Budapest, Andre Goodfriend. Offizielle Stellen hätten von amerikanischen Firmen Schmiergelder verlangt, wenn diese einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz bezahlen wollten. Bereits vor einem Monat hatte US-Präsident Barack Obama Orbans Ungarn mit autokratischen Staaten wie Russland, China und Ägypten verglichen. Geschäftsträger Goodfriend hatte ernste Zweifel an der Bündnisfähigkeit des Nato-Partners Ungarn geäußert – und sich demonstrativ unter die Internet-Protestbewegung gemischt.