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Pofalla und der Postillon: Wahrheit ist die beste Satire

Ravensburg / Lesedauer: 3 min

Wie eine satirische Internetseite mit einer korrekten Meldung viele Nutzer narrte
Veröffentlicht:03.01.2014, 21:45

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Die Internetseite „Der Postillon“ veröffentlich regelmäßig Unsinn. „Weihnachtsmann glaubt nicht an den kleinen Timmy (9)“, steht da, oder „Hilfe für überforderte Angehörige: Köln richtet erste Seniorenklappe ein“. Aber so eine große Welle wie in der Nacht auf Freitag hat die Satire-Seite, hinter der der fränkische Blogger Stefan Sichermann steht, noch nie geschlagen – und das mit einer Meldung, die der Wahrheit entspricht. Viele Internetnutzer reagierten verwirrt.

Die Meldung: „Kanzleramtschef Ronald Pofalla wechselt in den Vorstand der Deutschen Bahn.“ Die Nachricht lief am Donnerstagnachmittag über den Ticker der Nachrichtenagenturen dpa und AFP. Viele Medien griffen die Nachricht auf, auch auf der Internetseite der Schwäbischen Zeitung. Auch Postillon-Macher Sichermann griff zu. Statt, wie auf seiner Seite üblich, die Meldung ins Satirische zu verkehren, datierte er sie einen Tag zurück auf den 1. Januar, setzte das Wort „Exklusiv“ vor den Titel und ergänzte sie um eine angebliche Aktualisierung, dass mittlerweile auch viele andere Medien über den Wechsel des Merkel-Vertrauten in den Staatskonzern berichten würden. Für die Leser sah es nun so aus, als ob die großen Nachrichtenseiten vom Postillon abgeschrieben hätten.

Der Spott: In der Annahme, dass auf der Seite grundsätzlich nur Scherz-Meldungen verbreitet würden, dachten viele Nutzer, dass die Journalisten dem Spaßmacher auf den Leim gegangen seien. Und dass die Meldung, Pofalla wechsle zur Bahn nicht der Wahrheit entspreche. Dazu muss man wissen, dass ein Teil jener Nutzer, die in den sozialen Netzwerken besonders aktiv sind, den traditionellen Medien grundsätzlich skeptisch gegenübersteht; sie fühlen sich durch deren Nachrichtenauswahl und -gewichtung bevormundet oder falsch informiert. Entsprechend groß war die Häme. Den Abend und die Nacht hindurch wurde über den vermeintlichen Fauxpas der Journalisten gelästert. „Die Tagesschau bedient sich bei Zeitungen, die sich beim Postillon bedient haben“, jubelte ein Nutzer auf Twitter. Der Postillon stellte unterdessen einen Bericht, dem zufolge viele andere Medien auf die Satire hereingefallen sein, auf Facebook ein und machte die Verwirrung komplett. „Sicher scheint nur zu sein, dass die Meldung ihren Ursprung beim Postillon hat“, schrieb noch am folgenden Morgen ein irritierter Leser der Schwäbischen Zeitung – die wie andere Blätter die Pofalla-Nachricht auf die Titelseite gehoben hatte.

Die Zweifel: Dabei meldeten in den Netzwerken seit den späten Abendstunden andere Nutzer Zweifel an, schauten genauer nach und wurden fündig: Anhand eines Zeitstempels auf einem automatisierten Nachrichtendienst (RSS-Feed) lässt sich nachvollziehen: Sichermann hatte die Satire erst am Donnerstagabend ins Netz gestellt – nach den ersten Medienberichten.

Die Lehre: Viele Nutzer haben dem Spaßmacher Sichermann die Satire eher abgenommen als den Zeitungen und TV-Sendern die Realität. Ob das nun etwas aussagt über das Weltbild dieser Internetnutzer, über das Vertrauen in unterschiedliche Medien oder über die Schnelllebigkeit der digitalen Gesellschaft, sei dahingestellt. Offenbar ist Wahrheit die glaubwürdigste Form der Satire.