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Interview: Kardinal Kasper sieht Chance für einen Neubeginn

Tuttlingen / Lesedauer: 5 min

Interview: Kardinal Kasper sieht Chance für einen Neubeginn
Veröffentlicht:14.03.2013, 16:05

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Papst Franziskus wird die Kirche zu ihren Ursprüngen im Evangelium, im Kampf für mehr Gerechtigkeit und gegen Armut zurückführen: Diesen Eindruck hat der deutsche Kurienkardinal und frühere Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper (80) bekommen, der im Konklave am Dienstag und Mittwoch den neuen Papst mitgewählt hat. Im Gespräch mit unserem Redakteur Ludger Möllers schildert Kasper, mit welchen Entwicklungen die Kirche künftig zu rechnen hat.

SZ : Herr Kardinal, Sie kommen aus dem Konklave. Wie stehen Sie zum neuen Papst Franziskus?

Kasper: Kardinal Bergoglio war von Anfang an mein Kandidat, ich habe vom Beginn des Konklaves an für ihn gestimmt. Er steht für einen Neuanfang in der Kirche, für eine demütige und brüderliche Kirche, die für die Menschen da ist, die zu ihrem Ursprung, dem Evangelium, zurückkehrt. Sein Name als Papst, Franziskus, ist ein Programm; er erinnert an den heiligen Franziskus von Assisi, der den Ruf Christi gehört hat: „Bau meine Kirche wieder auf!“

SZ: Auf welche Entwicklung müssen wir uns einstellen?

Kasper: Wir dürfen einen neuen Stil erwarten. Der neue Papst wird auf Pomp und Prunk verzichten, er selbst lebt einfach und schlicht und gibt damit ein persönliches Vorbild. Ein kleines Beispiel: Nach dem Konklave stand die Papstlimousine für ihn bereit. Franziskus aber, immerhin der gerade gewählte Papst, stieg zusammen mit uns Kardinälen in den Bus, der uns dann zum Haus Santa Marta zurückbrachte: „Wir sind gemeinsam gekommen, wir gehen gemeinsam.“ Die Papstlimousine fuhr dann leer weg. Und bei seiner ersten Ansprache hat er das Volk gebeten, zuerst für ihn den Segen Gottes zu erbitten, bevor er selbst segnete.

SZ: Was ist dem neuen Papst persönlich wichtig?

Kasper: Er wird ein Bischof der Armen sein. Er wird gegen Korruption kämpfen. Es geht ihm vor allem um Barmherzigkeit. Im Vorkonklave habe ich ihm mein neues Buch mit dem Titel „Barmherzigkeit“ überreicht, das soeben auf Spanisch erschienen ist. Da sagte er zu mir: „Barmherzigkeit ist der Name unseres Gottes! Ohne sie sind wir verloren.“

SZ: Franziskus: Welches Programm steht hinter diesem Namen, den der neue Papst sich gegeben hat?

Kasper: Der Heilige Franz von Assisi lebte in einem Zeitalter, in dem die Kirche sehr mächtig war. Er aber wollte das Evangelium mit den Armen leben. Damit hat er eine bedeutsame Reform eingeleitet. Die Franziskaner nennen sich bis heute „Minderbrüder“. Und so dürfen wir die Namenswahl des neuen Papstes verstehen: Es geht ihm um apostolische Schlichtheit, Einfachheit, Armut. Er will die Herzen erreichen, und er tut dies mit einer schlichten, aber eindrucksvollen Sprache.

SZ: Hat der Gedanke an die Botschaft der Bewahrung der Schöpfung bei der Papstwahl eine Rolle gespielt?

Kasper: Natürlich steht Franziskus heute für Ökologie, Bewahrung der Schöpfung. Dass diese Ideale wichtig sind, bestreitet niemand. Sie spielten aber im Konklave keine ausschlaggebende Rolle.

SZ: Wo steht der neue Papst theologisch? Ist er konservativ? Oder eher liberal?

Kasper: Theologisch liegt er auf der Linie von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Aber er wird diese Lehre in einem anderen Stil verkünden und den ursprünglichen Inhalt des Evangeliums neu zum Leuchten bringen.

SZ: Sie haben sich früh für Kardinal Bergoglio ausgesprochen. Auf welcher Grundlage konnten Sie dies tun?

Kasper: Der neue Papst und ich kennen uns seit vielen Jahren. Ich bin mindestens drei Mal in Buenos Aires gewesen, dort sind wir uns begegnet. Wir sprachen italienisch miteinander. Jetzt erst habe ich erfahren, dass er in Deutschland studiert hat und deutsch spricht. Unmittelbar nach der Papstwahl, als wir Kardinäle ihm die Treue versprachen, sprach er mich auf Deutsch an. Übrigens wohnten wir während des Konklaves auf dem gleichen Flur, er hatte sein Zimmer schräg gegenüber von meinem Zimmer.

SZ: In Deutschland gibt es hohe Ansprüche an den Papst. Stichworte sind Zölibat, Frauenordination, Mitwirkung der Laien. Was dürfen die Deutschen von Papst Franziskus erwarten?

Kasper: Er wird sich die Wünsche, die in Deutschland geäußert werden, sicher aufmerksam anhören. Aber ich bezweifle, dass er allen diesen Wünschen nachkommen kann. Im Mittelpunkt stehen wohl eher die Anliegen der südlichen Hemisphäre, in der es um existenzielle Fragen wie Gerechtigkeit, elementare Menschenrechte, Krieg und Frieden geht.

SZ: Das Konklave war schnell zu Ende. Viele Beobachter hatten mit viel mehr Wahlgängen gerechnet!

Kasper: Ich selbst war auch überrascht, dass wir uns so schnell geeinigt haben. Am Anfang des Konklaves zerstreuen sich die Stimmen, dann häufen sie sich. Immer mehr Kandidaten scheiden aus. Das war 2005 so, als Benedikt XVI. gewählt wurde, das war jetzt so.

SZ: Gab es Vorbehalte, einen Papst zu wählen, der nicht aus Europa kommt?

Kasper: Nein, ganz im Gegenteil. Zwei Drittel, wenn nicht drei Viertel der Katholiken leben heute auf der südlichen Erdhalbkugel. Dort wächst die Kirche, während sie bei uns deutliche Zeichen der Müdigkeit zeigt. Das sind doch gewichtige Argumente. Daher ist es angemessen, einen Papst aus Lateinamerika zu wählen, wo fast die Hälfte aller Katholiken lebt. Die Zeit des Eurozentrismus in der Kirche ist vorbei.

SZ: Auch Sie haben vor dem Konklave einen Neuanfang im Vatikan gefordert. Wie stark wird dieser Wunsch von den anderen Kardinälen mitgetragen?

Kasper: Der Wunsch nach Reformen in der Kurie ist unter den Kardinälen sehr groß, fast einstimmig. Die Krisen der vergangenen Jahre haben uns sehr viel Vertrauen gekostet. Selbst wenn nicht alles wahr ist, was geredet und geschrieben wurde: Schon die Rede reicht, um Vertrauen zu zerstören.

SZ: Kann Papst Franziskus dieses Vertrauen wieder herstellen?

Kasper: Er ist sehr durchsetzungsstark, hat einen starken Willen. Uns Kardinälen war es wichtig, dass der neue Papst regieren kann und Ordnung schafft, auch wenn nicht alles von heute auf morgen möglich sein wird.

SZ: Ein Neuanfang ohne neues Personal ist nicht vorstellbar. Was erwarten Sie hier?

Kasper: Franziskus wird sicher einen neuen Kardinalstaatssekretär ernennen und auch einige andere wichtige Posten in der Kurie neu besetzen. Ebenso wichtig ist ein Mentalitätswandel. Auch dafür braucht es Zeit. Aber einen neuen Anfang wird es geben.