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Gedenkverweigerung

Historiker Gerd Krumeich über den Umgang mit dem Ersten Weltkrieg

Trier / Lesedauer: 4 min

Historiker Gerd Krumeich über den Umgang mit dem Ersten Weltkrieg
Veröffentlicht:18.03.2014, 22:15

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Im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg. Der emeritierte Düsseldorfer Historiker Gerd Krumeich spricht im Interview mit Michael Hamerla über das Bild der Deutschen im Ausland, die Ursachen des Krieges und die deutsche Gedenkverweigerung.

Hat der Erste Weltkrieg noch heute Auswirkungen auf das Bild der Deutschen im Ausland?

Die Erinnerung wird zwar überlagert vom Zweiten Weltkrieg, aber die Ereignisse des Ersten Weltkrieges bleiben so präsent, dass sie stets hochgespült werden können. „Le Boche“, also der stiernackige und bluttriefende „Hunne“ der Karikaturen des Ersten Weltkrieges ist zwar weitgehend aus dem Sprachgebrauch verschwunden, doch die Überzeugung ist noch sehr weit verbreitet, dass die „Boches“ 1914 aus purer Aggressionslust nach Frankreich eingedrungen sind und dann vier Jahre lang alles kaputt gehauen haben. Aber anders als noch vor 20 Jahren hört man mir heute zu, wenn ich erkläre, dass die deutschen Soldaten der Überzeugung waren, in Frankreich für die Verteidigung Deutschlands zu kämpfen.

Blickt die ganze Welt auf 1914 oder nur Europa?

Das ist unterschiedlich. In Australien und Neuseeland ist die Erinnerung und Gedenkaktivität sehr stark, in Südosteuropa kommt sie heute stärker durch als noch vor ein paar Jahren. Die Serben sind alarmiert, weil der australische Historiker Christopher Clark zuletzt die aggressive Rolle Serbiens im Vorfeld des Krieges betont hat. Die Polen fangen gerade an, sich zu erinnern.

Hat die internationale Forschung inzwischen ein einheitliches Bild von den Ursachen dieses Krieges?

Man ist heute unter Historikern weitestgehend der Auffassung, dass der Weltkrieg durch die Brisanz der Mächtebeziehungen ausgelöst worden ist. Von einer Alleinschuld Deutschlands ist kaum noch die Rede. Allerdings bleibt doch die Auffassung vorherrschend, dass Deutschland und Österreich-Ungarn im Juli 1914 das Pulverfass haben hochgehen lassen.

Ist der Begriff Kriegsschuld sinnvoll?

Ja, insofern als die Deutschen und die Österreicher im Juli 1914 das Kriegsrisiko sehr viel aktiver als die anderen Mächte eingegangen sind.

Ist der Krieg ausgebrochen oder gezielt herbeigeführt worden?

Der Krieg von 1914 ist weder einfach so ausgebrochen noch gezielt herbeigeführt worden. Noch im Jahr 1913 hat die deutsche Regierung sehr viel unternommen, um einen Krieg zu verhindern, der schon in der Luft lag. Aber 1914 wollte man das Attentat von Sarajewo als „Test“ der russischen Kriegsbereitschaft ausnutzen. Man fühlte sich von Frankreich, Russland und England bedroht und glaubte, wenn denn Krieg kommen müsse, diesen „lieber jetzt als später“ führen zu können. Allerdings bleibt stets zu beachten, dass die Politiker, die in der Julikrise entschieden haben, niemals einen Krieg wie vor Verdun oder an der Somme im Auge hatten. Hätten sie das gewusst, hätten sie die Finger vom Drücker gelassen.

Was geschah zwischen 1914 und dem Versailler Vertrag 1919?

Der Erste Weltkrieg hat sich entwickelt. Er begann als Kabinettskrieg, wenn auch mit Millionenheeren. Aber ab 1915 wurde er zu einem industrialisierten Krieg. Ein Beispiel: Wenn die preußische Gewehrmanufaktur vor 1914 pro Monat 2500 Gewehre herstellte, so war man im März 1915 bei 250000 pro Monat angelangt. Der Krieg hat sich wegen der industriellen Kapazität und wegen des enormen Hasses rasch zu einem totalen Krieg entwickelt. 1911 hatte Generalstabschef Alfred von Schlieffen noch geschrieben, dass man im kommenden Krieg maximal zwei Millionen Mann würde ins Feld schicken müssen. Genau das geschah auch im August 1914. Aber er hätte sicherlich jeden für verrückt erklärt, der ihm gesagt hätte, dass bis 1918 mehr als zwölf Millionen deutsche Soldaten mobilisiert würden und dass man zwei Millionen Kriegstote haben würde.

Würdigt die deutsche Politik den Jahrestag ausreichend?

Nein! Man duckt sich vor der Verantwortung weg. Hoffentlich wendet sich dieser unheilvolle Trend. Wenn Bundespräsident Gauck tatsächlich am 3. August den französischen Präsidenten zu einer Gedenkfeier trifft, dann ist das eine ausgezeichnete Geste. Aber es bedarf auch eigener Aktionen in Deutschland, beispielsweise einer markanten Gedenkstunde im Bundestag. Keiner verlangt von uns heute noch Schuldbekenntnisse, aber eine klare Positionierung zu dieser gemeinsamen Geschichte.