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Wie sich Europa im Dreiländereck auswirkt

Politik / Lesedauer: 7 min

Gewässerschutz, Tourismus und grüne Zettel
Veröffentlicht:15.09.2017, 19:27

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Europa ist heute nur schemenhaft zu erkennen. Das Schweizer Ufer zeichnet sich an diesem tiefgrauen Regentag gerade so am Horizont ab, jenseits des ebenfalls tiefgrauen Bodensees. Österreich ist gar nicht zu sehen, dabei sind die Vorarlberger Alpengipfel an klaren Tagen deutlich auszumachen. Auf den Meersburger Seglerhafen prasseln schwere Regentropfen nieder.

Für Elke Dilger ist der Bodensee, das Dreiländereck zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz, jahrzehntelang der Arbeitsplatz gewesen. Dilger hat zwar die aktive Fischerei vor einigen Jahren aufgegeben, aber sie ist noch immer Vorsitzende des Berufsverbands der badischen Bodenseefischer. 26 Jahre ist sie selbst auf den See hinausgefahren, um Flussbarsche zu fangen und natürlich die berühmten Blaufelchen, die es nur in ganz wenigen Gewässern in Europa gibt. „Ab 25 Meter Wassertiefe ist der Bodensee internationales Gewässer“, erzählt die 48-Jährige. „Wenn wir da unterwegs sind, könnte die Wasserschutzpolizei aus jedem der drei Länder kommen und uns kontrollieren.“

Der Bodensee hat in Europa mit die strengsten Gesetze zur Nachhaltigkeit des Fischbestands. Vertreter mehrerer Staaten legen die Regeln fest, nach denen Dilgers Kollegen auf Fischfang gehen dürfen. Um die Bestände zu schonen und um für die Fischer aus allen Ländern gleiche Bedingungen zu schaffen, haben die Bodenseeanrainer 1893 die „Bregenzer Übereinkunft“ getroffen – sie war Grundlage für die „Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei“ (IBKF).

Wenn die Maschenweite der Netze geändert, oder Schonzeiten für die Tiere neu geregelt werden sollen, sitzen Vertreter aus Baden-Württemberg, Bayern, Vorarlberg und der Schweiz an einem Tisch. Auch der Leiter des Liechtensteiner Umweltamtes ist dabei, weil die Fließgewässer des Fürstentums wichtige Laich- und Aufwuchsgebiete für die Seeforelle sind. Nicht mit anwesend sind dagegen die Berufsfischer am See – ein Umstand, den Elke Dilger gerne ändern würde. „Wir Fischer wollen mehr Mitspracherecht in der Praxis, wir sind doch diejenigen, die jeden Tag auf den See hinausfahren und in der Praxis die Entwicklungen und die Veränderungen der Natur und am See direkt beobachten“, sagt sie.

Europa im Kleinen

Eine Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg, die gleiche Regeln und Rechte für alle bringt: Ein wenig ist die IBKF wie die Europäische Union im Kleinen – nur älter. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird sie abgehalten und trägt mit dazu bei, dass der Bodensee, wie Elke Dilger sagt, zu den „am nachhaltigsten gepflegten Gewässern in Europa gehört“.

Das heißt aber nicht, dass es den Bodenseefischern wirtschaftlich so gut geht, wie es Millionen von Volksmusikfreunden im Ohr haben, dank des Liedes über die „Fischerin vom Bodensee“. „Und fährt sie auf den See hinaus, dann legt sie ihre Netze aus, schon ist ein junges Fischlein drin, im Netz der schönen Fischerin“, heißt es da. Von wegen. Seit Jahren gehen die Fangzahlen zurück. „Gerade letzte Woche hat erst wieder ein Fischer seinen Beruf aufgegeben und alles verkauft“, erzählt Elke Dilger.

Phosphat – eine Frage der Menge

Rund um den See gibt es noch 110Berufsfischer. Kein leichter Job: „Wenn man die Fische nicht noch verarbeitet und veredelt oder direkt vermarktet, dann sinkt die Gewinnspanne“, sagt Dilger. Hintergrund ist eine jahrelange Entwicklung. Es geht um die Wasserqualität des Bodensees, der für Millionen Menschen ein Trinkwasserreservoir darstellt. Das Wasser ist so arm an Phosphat, dass die Felchen zu wenig Nahrung finden. Ihre Bestände gehen zurück. Deswegen sprechen sich die Fischer am See für eine leichte Erhöhung des Phosphatgehalts aus. Nur so wenig, dass das Bodenseewasser weiterhin als Trinkwasserquelle dienen kann. Der Protest von Naturschützern ist dennoch groß.

Das liege daran, dass viele Menschen noch Zeiten erlebt haben, als die Phosphatwerte tatsächlich viel zu hoch waren, glaubt Dilger. „In den 1980er-Jahren war der Phosphatwert im See mit 80 Milligramm pro Kubikmeter extrem hoch, heute ist er mit sechs Milligramm pro Kubikmeter extrem niedrig“, rechnet die Fischerin vor. Dabei sei die Fischerei bei weniger als zehn Milligramm pro Kubikmeter unwirtschaftlich. Denn Phosphat sei schließlich ein Lebensgrundstoff. „In der richtigen Dosierung lässt er den Bodensee zur natürlichen Produktionsstätte von einem hochwertigen Nahungsmittel werden“, erklärt Dilger.

Und was hat das mit Europa zu tun? Die Europäische Union begegnet den Bodenseefischern in Form der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000. Die sogenannte Wasserrahmenrichtlinie soll zwischen Lappland, Madeira und dem Peloponnes dafür sorgen, dass Wasser nachhaltiger und umweltverträglicher genutzt wird. Sie enthält neben vielen anderen Regelungen ein Verschlechterungsverbot.

Schon deswegen dürfte das je nach Sichtweise saubere oder nährstoffarme Bodenseewasser nicht durch Phosphat angereichert werden. Nach ihrer Haltung zur EU befragt, wägt Elke Dilger ihre Worte. „Ich finde es oft schwierig“, sagt sie dann, „dass Richtlinien für so große Gebiete einheitlich festgelegt werden. Ich bin skeptisch, ob die für die jeweilige regionale Situation dann passend sind.“ Konkret: Anderswo könnte das Verschlechterungsverbot durchaus Sinn machen – doch am Bodensee leiden die Felchen.

Immer mehr Touristen kommen

Um für ihr Anliegen zu werben, erinnert Elke Dilger daran, dass Wildfisch ein natürliches, gesundes Nahrungsmittel sei, das tierfreundlich im Bodensee heranwachsen dürfe. Und dass die Fischer ihren Teil zum Flair des Bodensees beitragen, wenn sie frühmorgens auf den See fahren und später mit dem Fang in den Hafen zurückkehren. Es gehört auch zu dem Bild, dass die Touristen im Kopf haben, die in immer größeren Zahlen die Bodenseeregion besuchen – im vergangenen Jahr waren es 4,3Millionen Besucher, und der Trend geht weiter nach oben.

Der Tourismus ist am Bodensee längst eine wichtige Einnahmequelle. Und die Gäste kommen nicht nur aus Deutschland. Nach Auskunft der Internationalen Bodensee Tourismus GmbH (IBT) reist mittlerweile gut jeder zehnte Besucher (11,5Prozent) aus dem nicht deutschsprachigen Raum an. Deren Anteil steigt. Besonders bei Italienern und Briten ist der See beliebt, in beiden Ländern hat die IBT das Marketing zuletzt verstärkt. Die Touristiker setzen auch darauf, dass ein internationaleres Publikum zu einer längeren Saison beiträgt – schließlich urlauben die Gäste aus dem Ausland jeweils zu unterschiedlichen Ferienzeiten.

Man spricht Schwytzerdeutsch

Besonders präsent sind am Nordufer aber nach wie vor die Nachbarn aus der Schweiz. „Wenn ich durch die Meersburger Unterstadt gehe, höre ich nur Schwytzerdeutsch um mich herum“, erzählt Dilger. Sie hat an den Touristenströmen nichts auszusetzen. Viele Menschen in der Region leben schließlich von den Besuchern, sie vermietet selbst drei Ferienwohnungen. Die Schweizerische Bodenseeschifffahrt verbindet seit einiger Zeit die badischen Seegemeinden Hagnau und Immenstaad mit Altnau und Güttingen im Thurgau – eine Verbindung, die gut angenommen wird.

Dabei sind die zahlungskräftigen Besucher aus dem südlichen Nachbarland nicht bei allen deutschen Bodenseeanrainern wohl gelitten: In Konstanz werden regelmäßig Beschwerden laut, dass Heere von eidgenössischen Shoppern an Samstagen das Einkaufen in der Stadt zur Qual machen. Sie haben einen doppelten Vorteil: Erstens ist es in Deutschland eh billiger als im Hochpreisland Schweiz – erst recht, seit die Schweizer Nationalbank im Januar 2015 den Franken vom Euro entkoppelt hat. Zweitens können sich die Nicht-EU-Bürger bei der Ausreise die Mehrwertsteuer erstatten lassen.

Dazu müssen sie den „grünen Zettel“ ausfüllen – dadurch kommt es häufig zu Staus an den Grenzübergängen, und es bindet die Arbeitskraft der Zollbeamten. Andererseits war die Schweiz bis zum „Frankenschock“ vom Januar 2015 ein beliebtes Ziel deutscher Tanktouristen. Österreich ist dies dank niedrigerer Mineralölsteuer immer noch.

Die Gäste in den drei Ferienwohnungen von Elke Dilger kommen in aller Regel aus Deutschland. Für die Urlauber sei die Nähe zur Grenze ein Pluspunkt, erzählt sie. „Mal nach Österreich und in die Schweiz hinüberzufahren, das ist für sie ein Erlebnis.“ Es gehört zum Bodensee-Urlaub dazu. Genauso wie der Genuss eines Blaufelchens.