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Kanzlerkandidatur

Paukenschlag bei der SPD

Politik / Lesedauer: 3 min

Gabriel gibt via Interview seinen Rücktritt bekannt – Parteimitglieder zollen ihm Respekt
Veröffentlicht:24.01.2017, 21:10

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Still, unglaublich still, soll es in der SPD-Fraktion geworden sein, als Sigmar Gabriel seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur der SPD ankündigte. „Ich finde, es sollte Martin Schulz machen“, sagte Gabriel. Der Biberacher SPD-Abgeordnete Martin Gerster hat diesen Moment als etwas ganz Besonderes empfunden. „Alle ziehen den Hut, viele sind gerührt, ich habe allergrößten Respekt“, sagt er. Gabriel habe Standing Ovations bekommen, dabei aber gesessen und ganz demütig gesagt: „Setzt Euch und klatscht, wenn Martin Schulz kommt.“

Die Fraktion war komplett überrascht. Wie es schien, sogar Fraktionschef Thomas Oppermann. „Ich weiß schon länger von den Zweifeln Sigmar Gabriels, ob er der richtige Kandidat ist in dieser Situation.“ Doch das seien vertrauliche Gespräche gewesen.

Nicht gewusst, aber ein bisschen geahnt hat es Martin Gerster. Denn als er selbst im vergangenen September gerade Vater geworden war, sei Gabriel auf ihn zugekommen und habe ihm auf eine so besonders herzliche Art gratuliert, dass dies bei ihm zum Nachdenken geführt habe. Schließlich wird Gabriel auch bald erneut Vater. Und eine härtere politische Herausforderung, als Kanzlerkandidat zu sein, gebe es nicht, meint Gerster. „Das ist das Maximale.“

„Wahre Größe“ zeige der Verzicht Gabriels, sagt Umweltministerin Barbara Hendricks. Auch Oppermann dankt Gabriel herzlich. Er habe die Partei siebeneinhalb Jahre geführt und sie zusammengehalten, als sie drohte auseinanderzufallen. Außerdem habe er maßgeblich zur Versöhnung der SPD mit den Gewerkschaften beigetragen.

Überraschte Abgeordnete

Kurz vor 15 Uhr schlug die Nachricht ein. Journalisten, die vor der Fraktion auf das übliche Statement Oppermanns warteten, hielten sich gegenseitig ihre Handys unter die Nase. Zu sehen war das Titelbild des Magazins „Stern“ mit dem großen Gabriel-Bild und der Schlagzeile: Der Rücktritt. Aufgeregtes Nachfragen bei allen Abgeordneten, doch die waren selbst noch zu überrascht, um viel zu erklären. Monatelang war die Kanzlerkandidatenfrage offen gewesen, am Dienstagmorgen hieß es, sie werde am Sonntag im Willy-Brandt-Haus geklärt – inklusive Kandidatenvorstellung. Und nun das.

Gabriel selbst soll wütend gewesen sein, dass die Nachricht des „Stern“ früher als verabredet auf dem Markt war. Doch die katastrophale Kommunikation des Rücktritts ist für viele SPD-Abgeordnete nebensächlich. „Das Ergebnis der Operation zählt und nicht der Verlauf“, sagt der Abgeordnete Karl Lauterbach, der sich auf die Schulz-Ära freut. Die Ulmer Abgeordnete Hilde Mattheis hält das ganze Prozedere für „gewöhnungsbedürftig“. Auch sonst zeigt sie sich eher nüchtern. „Sigmar Gabriel hat seine Entscheidung mitgeteilt. Das ist jetzt so, wie es ist.“ Ihr tue es leid, aber am Ende gehe es um die inhaltliche Stärke der SPD. Martin Schulz ist seit Monaten in allen Umfragen beliebter als Sigmar Gabriel.

Ernüchternd war für Gabriel schon der letzte Parteitag in Berlin, im Dezember 2015. Da wurde er mit gerade einmal 74,3 Prozent als Parteivorsitzender bestätigt. Ein herber Denkzettel. Gabriel, der danach eine Minute lang auf seinem Stuhl auf dem Podium sitzenblieb, wollte eigentlich hinwerfen, hieß es danach. Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann, die ihn damals scharf attackiert hatte, zählt jetzt zu den ersten, die ihm dankt. Und die sich auf den neuen Kanzlerkandidaten Martin Schulz freut. „Die Entscheidung von Sigmar Gabriel verdient großen Respekt. Martin Schulz hat als SPD-Kanzlerkandidat die besten Chancen.“ Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs stellt fest, dass Schulz nicht für eine Große Koalition stehe.

Der bisherige Chef des EU-Parlaments wird sich heute Mittag der Fraktion vorstellen. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin lobt: „Martin Schulz ist nicht der schlechteste Kandidat, um Europa zusammenzuhalten.“ Weniger freundlich ist dagegen Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Schulz sei „Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat von Gabriels Gnaden“.