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Özdemir: Sind die Einzigen ohne Lieblingsdiktator

Stuttgart / Lesedauer: 6 min

Der Bundesvorsitzende der Grünen äußert sich zum Dieselskandal und zu den Wahlzielen seiner Partei
Veröffentlicht:17.08.2017, 21:48

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Grünen-Chef Cem Özdemir sieht im Dieselskandal keinen Dissens in seiner Partei zwischen dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und den Grünen im Bund. „Auch für den Ministerpräsidenten ist das Auto der Zukunft abgasfrei. Da ziehen wir am selben Strang“, sagte Özdemir im Gespräch mit Kara Ballarin, Claudia Kling und Katja Korf. Überhaupt sei seine Partei so geschlossen wie „schon lange nicht mehr“. Für die Bundestagswahl strebt der Parteivorsitzende an, „Platz drei zu besetzen“.

Herr Özdemir, Sie waren in dieser Woche mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Dutzenden Bürgern wandern. Mit wem haben Sie im Gespräch leichter einen Konsens gefunden?

Mit Winfried Kretschmann muss ich keinen Konsens finden. Wir sind in derselben Partei, wir kommen aus demselben Bundesland, ich habe meinen Wahlkreis im schönen Stuttgart, uns verbindet politisch sehr viel. Ich bin sehr dankbar dafür, dass er beweist, wie grüne Politik in der Praxis erfolgreich funktioniert. Und ich setze mich dafür ein, dass das, was in Baden-Württemberg so hervorragend gelingt, künftig auch im Bund gelingen kann.

Aber Ihre Aussagen zum Dieselskandal klingen anders als die von Kretschmann. Ist seine Position nicht zur Belastung im Bundestagswahlkampf geworden?

Ach was, er ist doch nicht umsonst einer der populärsten Grünen in Deutschland. Kretschmann beweist, dass grüne Politik in der Umsetzung einen Unterschied macht. Aber man sieht eben auch, was die Grünen alles nicht alleine durchsetzen können, beispielsweise die blaue Plakette. Die fordern der Ministerpräsident und der Stuttgarter Oberbürgermeister vehement, aber die Kompetenz dafür liegt im Bund. Dafür braucht man in Berlin einen Verkehrsminister, der sich nicht nur mit der absurden Maut beschäftigt, sondern mit den wichtigen Themen – etwa Zukunft der deutschen Automobilindustrie, saubere Luft in den Städten und Schutz des Klimas. Kretschmann braucht also auch einen Partner im Bund. Dafür würde ich gerne sorgen.

Aber ist es hilfreich, wenn Kretschmann öffentlich kundtut, er habe einen Diesel gekauft?

Wir wollen ja den Leuten nicht verbieten, was sie kaufen. Wenn Winfried Kretschmann für einen Diesel plädiert, dann spricht er natürlich vom sauberen Diesel, der die geforderten Werte auch einhält. Auch für den Ministerpräsidenten ist das Auto der Zukunft abgasfrei. Da ziehen wir am selben Strang.

Ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, die deutschen Energieunternehmen hätten die Verbraucher so getäuscht wie die Autohersteller. Wäre da der Aufschrei der Grünen nicht größer gewesen?

Der Aufschrei ist doch riesengroß. Wir sind die Antreiber, die scharfen Kritiker im Dieselskandal, während sich die Kollegen von CDU, SPD und auch FDP vornehm zurückhalten und sich als Dienstleister der Industrie sehen – was für ein falsches Politikverständnis. Wenn ich mit den Herstellern spreche, sage ich ihnen ganz deutlich, dass sie sich sputen müssen. Der deutschen Autoindustrie soll es nicht so ergehen wie dem finnischen Handyhersteller Nokia, der nach der Entwicklung des Smartphones einfach vom Markt fast verschwunden ist. In China und in den USA werden Milliardensummen in die abgasfreie Mobilität investiert. Deutschland darf da doch nicht den Anschluss verpassen.

Eigentlich müssten die Grünen aufgrund des Dieselskandals, aber auch des Eierskandals in einer Hochphase sein. Das sind sie aber nicht.

Man wird nicht für Skandale gewählt, man wird dafür gewählt, dass man die besten Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft gibt. Und die geben wir. Unser Anspruch ist es, bei der Wahl am 24. September Platz drei zu besetzen. Da liefern wir uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit FDP, Linkspartei und AfD. Das wird eine echte Richtungsentscheidung: Stillstand mit den anderen oder Fortschritt mit uns beim Klimaschutz, in der Energiepolitik, beim Verkehr oder in der Landwirtschaft.

Neben mehr Klimaschutz fordern die Grünen eine gerechtere Gesellschaft und einen besseren Zusammenhalt in Europa ein – um nur einige Beispiele zu nennen. Das machen die anderen ebenso. Unterscheiden sich die Parteien nicht mehr ausreichend?

Da widerspreche ich energisch. Nehmen Sie doch die FDP. Die will mehr schlecht bezahlte Jobs in Deutschland und längere Arbeitszeiten, und sie will dreckige Kohleenergie statt sauberen Strom. Die plötzlich erwachte Putin-Begeisterung bei FDP-Chef Lindner, der die völkerrechtswidrige Annexion der Krim einfach hinnehmen will, hat mit einer werteorientierten Außenpolitik nichts mehr zu tun. Da haben die Grünen ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal. Wir sind die einzige Fraktion im Bundestag, die keinen Lieblingsdiktator hat oder einen autoritären Herrscher hofiert. Horst Seehofer kuschelt mit Victor Orban aus Ungarn, die SPD macht zusammen mit der Union neue Erdgasgeschäfte mit Putin – ohne die osteuropäischen Länder zu konsultieren, und die Linkspartei findet Putin und den Diktator von Venezuela toll. Wir stehen für eine wertegeleitete Außenpolitik ohne Wenn und Aber.

Früher standen die Grünen für „Atomkraft, nein danke“. Heute werben Sie beispielsweise mit „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts“. Was heißt das konkret?

Wir stehen für saubere Energie, saubere Luft, sauberes Wasser. Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke abschalten. Die CO2-Emissionen gehen seit acht Jahren nicht mehr zurück, und bei der Nutzung von Braunkohle, einer besonders schmutzigen Form der Energienutzung, ist Deutschland Weltmeister. Ich hätte viel lieber, dass Deutschland Weltmeister beim Klimaschutz wird. Deshalb brauchen wir mehr regenerative Energien, den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor und neue Mobilitätskonzepte. Angela Merkel produziert zwar gute Überschriften und Sonntagsreden, aber die Konzepte dazu finden Sie bei uns.

Das Spitzenduo der Grünen, Sie und Katrin Göring-Eckardt, wird dem Realoflügel der Partei zugerechnet. Kretschmann wird oft als schwarzer Grüner bezeichnet. Ist das der Kurs für die Zukunft – bürgerliche Mitte statt Protestpartei und Fundi-Positionen?

Ich glaube, dass die Flügelfrage überschätzt wird. Es zählt allein, ob man eine gute, vernünftige Politik macht. Wir hatten über den Basisentscheid die maximal mögliche Legitimation für die Kandidaten. Damit ist doch klar, was die Grünen-Mitglieder wollen. Und das machen wir jetzt, und es gibt viel Zuspruch dafür. So geschlossen wie jetzt war die Partei schon lange nicht mehr.

Das sieht von außen betrachtet anders aus – und auch in der Partei gibt es andere Stimmen.

Das sehe ich nicht so. Im Vergleich zu früheren Parteitagen, wo es richtig geknallt hat, sind wir sehr geeint und entschlossen, Verantwortung zu übernehmen.

Wenn Schwarz-Gelb nach der

Uns geht es um einen konsequenten Klimaschutz, um ein starkes Europa und eine gerechte Gesellschaft. Die Lindner-FDP steht für das Gegenteil. Unser Maßstab für grünes Regieren sind zehn Punkte, die uns besonders wichtig sind. Wenn es dabei keine substantielle Bewegung gibt, fällt uns kein Zacken aus der Krone, wenn wir erhobenen Hauptes in die Opposition gehen.

Und wo sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?

Das entscheiden die Wähler. Im Gegensatz zu Herrn Lindner sage ich nicht, dass die Wahl bereits gelaufen ist. Ich werde das Wahlergebnis in Demut annehmen und dann schauen, wie man daraus das Beste fürs Land machen kann.