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Wahldebakel

Nach dem Wahldebakel in die Opposition

Politik / Lesedauer: 3 min

Martin Schulz will trotz historischer Schlappe Vorsitzender bleiben und die Partei erneuern.
Veröffentlicht:24.09.2017, 23:04

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Was hat er gekämpft. Martin Schulz, der hoch angesehene und doch auch gern bespöttelte Kanzlerkandidat der SPD aus Würselen. Der Mann, der auf Tuchfühlung mit seinen Wählern geht, der glaubhaft das Gefühl vermitteln kann, dass er weiß, wie viel eine Putzfrau verdient und was eine Alleinerziehende für Probleme hat. Er war angetreten, die durch die Agenda 2010 verprellten Wähler der SPD wieder zurückzuholen – und fuhr das schlechteste Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik ein.

„Heute ist ein schwerer und ein bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie“, räumt Martin Schulz die Niederlage ein. Das Entsetzen steht ihm ins Gesicht geschrieben, doch der SPD-Chef gibt sich kämpferisch, ruft dazu auf, das Ergebnis und den Wahlkampf offen und sorgfältig zu analysieren.

Kurz nach 18.30 Uhr, im Willy-Brandt-Haus herrschen Schockstimmung und Frust – eigentlich. Doch durchs Atrium der Parteizentrale schalt es „Martin, Martin“. Der gescheiterte Hoffnungsträger, dem niemand abspricht, hervorragend gekämpft zu haben, wird gefeiert. Schulz bedankt sich freundlich, versucht nicht, die Klatsche zu beschönigen. Er zeigt sich schockiert über das Abschneiden der AfD. „Das ist eine Zäsur, und kein Demokrat kann darüber einfach hinweggehen“, ruft der SPD-Chef seinen Anhängern zu.

Münteferings Dogma gilt nicht mehr

Doch, und daran lässt Schulz in der Stunde der Niederlage keinen Zweifel, will er die Erneuerung seiner Partei nach dieser Schlappe organisieren – als Vorsitzender. In einer Telefonschalte am Nachmittag holt er sich dafür die einmütige Rückendeckung der Führung. Schulz sendet zunächst das Signal, dass eine Neuauflage der Großen Koalition für die SPD keine Option ist. „Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist“, erklärt er und schließt Schwarz-Rot damit aus. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenarbeit mit CDU und CSU.“ Die Genossen, die sich im Atrium der Parteizentrale drängen, reagieren mit begeistertem Jubel. So, als falle eine Last von ihren Schultern. Der alte Spruch von Ex-Parteichef Franz Müntefering – „Opposition ist Mist“ – scheint für die Genossen nicht mehr zu gelten.

Die Genossen fahren das schwächste Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein – ein historisches Desaster. Dabei hatte der Wahlkampf für Martin Schulz so gut begonnen. Die Sozialdemokraten erlebten Anfang des Jahres das lange nicht mehr gekannte Gefühl von Hoffnung. Nach den erfolglosen Versuchen, 2009 mit Frank-Walter Steinmeier und 2013 Peer Steinbrück wieder zurück an die Macht zu kommen, sah es auch für den damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht gut aus. Deshalb hatte er in einem überraschenden Coup Martin Schulz, den früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments, als Kanzlerkandidaten und neuen SPD-Chef ausgerufen. Eine Entscheidung, an der sich die Partei zeitweise berauschte.

Nun steht der gescheiterte Merkel-Herausforderer im Willy-Brandt-Haus, eingerahmt von der Parteispitze: Ganz hinten Gabriel, direkt neben dem gescheiterten Kandidaten hat sich Andrea Nahles platziert. Die scheidende Bundesarbeitsministerin ist die Einzige, die lächelt. Sie dürfte in nächster Zeit eine entscheidende Rolle in der SPD spielen, wahrscheinlich als Fraktionschefin.

Gut zehn Minuten lang steht Schulz vor den Genossen. Am Ende streckt er beide Daumen in die Höhe und erhält langen Applaus. Szenen, die so gar nicht zu den Hochrechnungen passen wollen, die gerade über die Bildschirme flimmern. Die SPD, noch wie im Wahlkampf-Modus. Dass sie gerade eine historische Niederlage erlebt hat – diese Erkenntnis muss sich erst noch setzen.