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Zweiter Weltkrieg

Mehr als die „Grande Dame“

Politik / Lesedauer: 4 min

Die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher war eine unbeugsame Liberale
Veröffentlicht:09.12.2016, 20:52

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Ihren 91. Geburtstag am 11. Mai 2012 hat Hildegard Hamm-Brücher noch mit ihrer Tochter in den Schweizer Bergen verbracht. „Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die Gott mir noch schenken wird und nutze sie mit kleinen nützlichen Werken und Pflichten“, schrieb sie kurz danach in einem Brief an die „Schwäbische Zeitung“. Wenige Wochen zuvor hatte sie sich in einem großen Interview zur Lage des Liberalismus und der FDP in Deutschland geäußert. Ihr Urteil über die Arbeit der früheren Parteifreunde war hart. „Die FDP lässt sich nichts Neues einfallen. Ihr billiger Liberalismus ist gescheitert und interessiert die Menschen nicht mehr“, sagte Hamm-Brücher damals. Am Mittwoch ist die populäre Nachkriegspolitikerin im Alter von 95Jahren in München, ihrer Wahlheimat seit dem Zweiten Weltkrieg, gestorben.

Es hatte lange gedauert, bis es zum endgültigen Bruch zwischen Hildegard Hamm-Brücher und der FDP gekommen war. Im Jahr 2002 beendete sie wegen des „antisemitischen Gehabes“ von FDP-Vize Jürgen Möllemann nach 54 Jahren ihre Parteimitgliedschaft. Doch entfremdet hatte sie sich schon zuvor von der FDP. Nachdem die Liberalen mitten in der Legislaturperiode die Koalition mit der SPD unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgekündigt hatten, ging Hamm-Brücher, wie sie selbst sagte, in eine „Art innerparteiliche Opposition“. Für sie, die in Helmut Schmidt einen der besten Kanzler der Nachkriegszeit sah, war der Bruch der sozialliberalen Koalition ein politischer Tiefschlag. Ihr Unmut gipfelt in dem legendären Satz: „Ich finde, dass beide dies nicht verdient haben: Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen.“

Zum Rückzug gedrängt

Dass sie 1994 von ihrer Partei als FDP-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl aufgestellt wurde, brachte nur eine vorübergehende Annäherung. Denn vor dem dritten Wahlgang musste Hildegard Hamm-Brücher, die sich selbst keineswegs als Verlegenheitskandidatin sah, auf Druck der Parteiführung den Weg freimachen für Roman Herzog, den Kandidaten der Union. Wieder eine herbe Niederlage für Hamm-Brücher, die immer wieder als „Grande Dame“ der Politik bezeichnet wurde. Das höchste Staatsamt blieb in Männerhand.

„Sie hat uns vorgelebt, dass Demokratie und Freiheit lebensgestaltende Werte sind“, schrieb der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker einst über Hildegard Hamm-Brücher. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß äußerte sich dagegen weniger schmeichelhaft. Er bezeichnete sie im Jahr 1970 schlicht als „Krampfhenne“. Ihr vehementer Kampf für eine vorbehaltlose Auseinandersetzung mit der Nazizeit und ihr Einsatz für die Rechte der Frauen stießen nicht überall auf Gegenliebe. Doch der Streit mit den Konservativen unter den Politikern hat ihrem Aufstieg nicht geschadet. Nach ihrer Zeit als Abgeordnete im bayerischen Landtag war sie von 1976 bis 1982 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Dem Bundestag gehörte sie von 1976 bis 1990 an.

„Es ist nicht alles ,ausgeschwitzt’ worden“, sagte sie 2012 in dem Interview mit der „ Schwäbischen Zeitung “ auf die Frage, wie sie den Umgang der Deutschen mit der NS-Vergangenheit bewerte. Darin sah sie eine anhaltende Gefahr für die Demokratie und die Freiheit – für sie einer der wichtigsten Werte überhaupt. Wie es sich anfühlt, in Unfreiheit in einer Diktatur zu leben, hatte Hamm-Brücher als Kind und junge Frau erfahren müssen. Nach den Nürnberger Gesetzen galt sie als „Mischling ersten Grades“. Ihre jüdische Großmutter, bei der sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgewachsen war, hatte sich mit 80Jahren das Leben genommen, als sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte. Dass es Hildegard Hamm-Brücher gelang, trotz ihrer Abstammung in München Chemie zu studieren, verdankte sie ihrem Doktorvater, dem Nobelpreisträger Heinrich Wieland. Er habe „seine Hand schützend“ über sie gehalten und sie dadurch vor der Gestapo bewahrt.

Mit 27 Jahren Stadträtin

Der damalige Kultusminister von Baden-Württemberg und spätere Bundespräsident Theodor Heuss holte Hamm-Brücher in die Politik. Mit 27Jahren zog sie für die FDP in den Münchner Stadtrat ein und lernte bei dieser Gelegenheit auch ihren späteren Mann, den Juristen und CSU-Stadtrat Erwin Hamm , kennen. Die Ehe hielt bis zu seinem Tod im Jahr 2008, die beiden hatten zwei Kinder.

„Ich glaube, dass Freiheit gepaart mit Verantwortung ein Grundelement der Demokratie ist. Beides gehört für mich zusammen – und dann wird für mich daraus ein starker liberaler Wert“, sagte Hildegard Hamm-Brücher kurz vor ihrem 91. Geburtstag. In den vergangenen Jahren zog sie sich zwar mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Doch das politische Geschehen verfolgte sie immer noch. Ihr Wunsch sei es, schrieb sie in ihrem letzten Buch, „dass kommende Generationen sich unseres wechselvollen zeitgeschichtlichen Erbes bewusst werden“ – und zwar, bevor es verblasse und zu Rückfällen komme. Ein Anliegen, das aktueller kaum sein könnte.