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Politik / Lesedauer: 4 min

Ali Bizert erzählt über sein Heimatland Tunesien
Veröffentlicht:28.07.2015, 20:14

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Eng. Das ist das erste Wort, das Ali Bizert einfällt, wenn er an sein Heimatland Tunesien denkt. Zusammen mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinen zwei Brüdern hat er in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Tunesiens Hauptstadt Tunis gewohnt. Das Schlafzimmer hat er sich mit seinen beiden Brüdern geteilt, seine Schwester hat zusammen mit der Mutter in einem Bett geschlafen. „Keiner von uns hatte ein wirkliches Privatleben, immer waren alle da, nie hatte ich meine Ruhe“, erzählt Bizert.

Seine Ruhe hat er heute immer noch nicht. Zusammen mit mehr als 1000 Asylbewerbern lebt Bizert mittlerweile in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ellwangen. „Aber hier in Deutschland habe ich die Hoffnung, dass es einmal besser wird. Dass ich mir ein glückliches Leben aufbauen kann“, sagt er.

Weil es zu Hause in Tunis so eng gewesen sei, habe sich keiner gerne in der Wohnung aufgehalten. „Bei uns spielt sich eben das ganze Leben auf der Straße ab“, sagt Bizert. Und das, so der 22-Jährige, beginnt schon beim Frühstück. „In der Stadt gibt es unzählige kleine Cafes, in denen sich die Männer morgens zum Frühstück treffen.“ Doch auch dort sei es immer laut, eng und wuselig. „Es ist ganz anders als in Deutschland. Die Leute drängeln, reden viel, jeder kennt jeden. Und wir begrüßen uns nicht mit einem Handschlag, sondern mit gegenseitigen Küssen auf die Wange.“

Gefrühstückt wird meist süß – Mandelgebäck oder Baklava. „Zum Mittag- und Abendessen gibt es fast immer Couscous. Wenn es finanziell gut aussieht, mit Hühnerfleisch, ansonsten mit Gemüse“, erzählt Bizert. Einen Esstisch habe die Familie zu Hause nicht. „Wir sitzen auf Kissen, die auf dem Boden liegen.“

Keine Arbeit für junge Menschen

In den kleinen Cafes in den engen Gassen von Tunis, hat sich noch bis vor wenigen Wochen entschieden, wie Bizerts Tag abläuft. Denn der gelernte Schweißer war in seinem Land arbeitslos. Jeden Morgen hat er bei schwarzem Kaffee und einer Zigarette versucht, einen Job zu bekommen. Manchmal half er für ein paar Stunden in einem Kiosk aus, manchmal bekam er Arbeit als Maler. „So geht es auch fast all meinen Freunden. Wir haben alle etwas gelernt, haben alle eine Ausbildung. Doch wir finden einfach keinen Job“, erzählt Bizert. Hundert Euro hat er mit seinen Gelegenheitsarbeiten im Monat durchschnittlich verdient. Von dem Geld hat er seine Mutter und seine Geschwister mit versorgt.

Es gab auch Tage, an denen hat Bizert keine Arbeit gefunden. „Dann bin ich durch die Stadt geschlendert, habe mich mit Leuten getroffen oder bin im Cafe gesessen.“ Hobbys, wie man es in Deutschland kennt, habe in Tunesien eigentlich keiner.

Staatsreligion Islam

Bizert ist Moslem. So, wie fast alle seiner Landsleute: 99 Prozent der Tunesier gehören dem Islam an. Der Rest teilt sich auf in Christen und Juden. „Wir haben aber kein Problem miteinander. Ganz im Gegenteil. Bei uns leben alle Religionen friedlich miteinander“, erzählt Bizert. An Weihnachten würden die Muslime ihren christlichen Nachbarn sogar kleine Geschenke vorbeibringen. „Dafür gratulieren uns Juden und Christen zum Zuckerfest am Ende des Ramadans.“

Die Sommer, so Bizert, sind in Tunesien besser als die Winter. „Dann kommen Touristen. Und das heißt für uns, dass wir Aussicht auf Arbeit in Bars oder Hotels haben“, erklärt er. Eine Perspektive, auf der er sein Leben aufbauen könnte, ist das für ihn allerdings nicht. „Ich möchte heiraten, eine Familie gründen. Doch das geht nicht, wenn ich an keinem Tag weiß, ob ich einen Job bekomme oder nicht“, sagt er.

Schuld daran ist für ihn die Politik. „Die sorgt dafür, dass es bei uns ein paar wenige Reiche gibt und der Rest am Existenzminimum lebt.“ Trotzdem ist er froh, dass in seinem Land kein Krieg herrscht. „Richtig friedlich ist es aber auch nicht. Immer wieder demonstrieren die Menschen, weil sie unzufrieden sind. Ich bin lieber gegangen.“

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