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Plädoyer

Der erste Schritt zum Finale

Politik / Lesedauer: 3 min

Bundesanwalt Diemer weist zu Beginn seines Plädoyers Kritik von Angehörigen zurück
Veröffentlicht:25.07.2017, 20:03

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Die Bitte um das Plädoyer überrascht Bundesanwalt Herbert Diemer. „Ich würde Ihnen das Wort erteilen“, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl zu dem Anklagevertreter. Das kommt plötzlich, denn eigentlich war im Münchner NSU-Prozess am Dienstag wieder ein Befangenheitsantrag erwartet worden.

Dass der ausbleibt, hat auch Diemer nicht erwartet. „Dann muss ich erst meine Unterlagen holen“, so ein sichtlich überrumpelter Bundesanwalt. Weitere zehn Minuten Pause. Und dann, es ist der 375. Verhandlungstag gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe , beginnen die Plädoyers.

Mit einer Einleitung von Bundesanwalt Diemer, die all die Kritik an der Anklagebehörde verstummen lassen soll. Die Beweisaufnahme habe vielleicht nicht immer das mediale und politische Interesse befriedigen können, so Diemer. Dem seien durch rechtsstaatliche Gesetze Grenzen gesetzt. Es sei jedoch vollkommen unzutreffend, wenn behauptet werde, der NSU-Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt.

Es sind an diesem Prozesstag überdurchschnittlich viele Angehörige der Opfer auf der Tribüne. Nach dem überraschenden Ende der Beweisaufnahme in der vergangenen Woche hatten viele von ihnen nicht rechtzeitig die Reise nach München organisieren können. Jetzt schon.

Viele der Tribünengäste bemängeln, dass die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran gezeigt habe, die Hintergründe des NSU aufzuklären. Jenseits der drei mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bleibe vieles im Dunkeln, so der häufig erhobene Vorwurf. Fehler von Behörden aufzuklären sei Sache der Ausschüsse und der Politik, sagt Diemer, „eine Strafbarkeit staatlicher Stellen“ habe sich in dem Verfahren nicht ergeben, sonst hätte man dem Gesetz entsprechend reagiert.

Knackpunkt des Verfahrens

Es gehört zum Wesen der Schlussvorträge, dass die Prozessbeteiligten weitgehend widerspruchs- und unterbrechungsfrei ihre Sicht der Dinge darlegen können. Die Anklage, so Diemer, habe sich in allen Punkten im Wesentlichen bestätigt, für Beate Zschäpe ebenso wie für die vier Mitangeklagten. Für Zschäpe bedeutet dies, dass sie von der Bundesanwaltschaft weiterhin als Mittäterin betrachtet wird. Zschäpe sei „Mitgründerin und Mitglied“ der terroristischen Vereinigung NSU gewesen, sagt Diemer.

Juristisch gesehen ist dies einer der Knackpunkte des Verfahrens. Mittäter sind laut Strafgesetzbuch Menschen, die eine Tat gemeinschaftlich begehen. Zschäpe war bei den zehn Morden nicht persönlich dabei. Das sei nicht notwendig gewesen, weil sie so sehr in der Organisationsstruktur eingebunden war, argumentiert die Bundesanwaltschaft.

Ob das Gericht dies ebenso sieht, wird sich erst beim Urteil zeigen. Diemer jedenfalls lässt in München keine Zweifel an seiner Bewertung aufkommen. Aus rechtsextremistischer Ideologie heraus habe die Gruppe gemordet, „um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten“.

Die Persönlichkeit der Opfer habe bei deren Auswahl keine Rolle gespielt, allein die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe sei entscheidend gewesen. Das gelte für die griechischen und türkischen Mordopfer, während die in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter „als Repräsentantin des verhassten Staates“ sterben musste. Verschwörungstheorien bezeichnet er als „Fliegengesumme in den Ohren“.

Unterstützt wird der Bundesanwalt im Prozess von den beiden Oberstaatsanwälten Jochen Weingarten und Anette Greger. Sie führte die Ermittlungen gegen Zschäpe und trägt daher die inhaltliche Hauptlast des ersten Plädoyer-Tages. Sie beschreibt in München deren Werdegang auf dem Weg in den Untergrund. Zschäpe sei „Tarnkappe“ und „Stabilitätsfaktor“ der Gruppe und wollte um jeden Preis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach begangenen Taten „unversehrt zu ihr zurückkehrten“.

Nach Ansicht Gregers wären „die Taten ohne Zschäpe nicht möglich gewesen“. Die Hauptangeklagte habe ihre Gesinnung auch ohne die beiden inzwischen verstorbenen NSU-Mitglieder deutlich gemacht, zum Beispiel beim Spiel „Progromly“, einer Art Monopoly mit Hetztexten und Hetzkarten.

Die Plädoyers der Bundesanwaltschaft werden am Mittwoch fortgeführt. Ob sie bis zum 1. August, dem letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause, abgeschlossen sein werden, ist derzeit nicht vorhersehbar.

Im Internet finden Sie den NSU-Prozess in Zahlen unter www.schw äbische.de/nsu-prozess