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Landwirtschaftsressort

Der Brexit verzögert die nächste EU-Agrarreform

Politik / Lesedauer: 4 min

Subventionen für Landwirtschaft gehören zu den kontroversesten Fragen in Brüssel – Kassensturz nach Austritt der Briten steht bevor
Veröffentlicht:15.09.2017, 19:32

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Über viele Jahrzehnte war das Landwirtschaftsressort eine der mächtigsten Abteilungen der Brüsseler EU-Kommission . Als die Europäische Union 1957 gegründet wurde, steckte die Lebensmittelknappheit der Nachkriegszeit den Menschen noch in den Knochen. Deshalb wurde einer sicheren Lebensmittelversorgung politisch ein hoher Stellenwert eingeräumt – was sich auch im Budget niederschlug.

Inzwischen haben sich die Prioritäten anders entwickelt. Doch trotz unzähliger Reformrunden ist es bis heute nicht gelungen, die europäische Landwirtschaftsförderung so zu modernisieren, dass sie die politisch gewünschten Anreize setzt. Ursprünglich floss mehr als die Hälfte des EU-Budgets in diesen Bereich, heute ist es noch immer mehr als ein Drittel. In der aktuellen Finanzperiode von 2014 bis 2020 sind das mehr als 400 Milliarden Euro, für das kommende Jahr allein 56,4 Milliarden bei einem Gesamthaushalt von 145,4 Milliarden Euro.

Da sich in den Gründerjahren der EU die Fördersumme nach der Produktionsmenge richtete und nach dem Ende der Hungerjahre nicht schnell genug umgesteuert werden konnte, entstanden die berüchtigten Milchseen und Tomatenberge. Die mussten gelagert oder weiterverarbeitet werden, was zusätzliche Kosten verursachte. Fernsehberichte darüber, wie große Mengen an Lebensmitteln vernichtet wurden, um den Preis nicht noch weiter in den Keller fallen zu lassen, sorgten in der Bevölkerung für Empörung.

Es war der irische Landwirtschaftskommissar Raymond MacSharry , der es 1992 nach zähen Verhandlungen hinbekam, die Agrarförderung schrittweise von der Produktion abzukoppeln. Sein österreichischer Nachfolger Franz Fischler setzte den Prozess fort. Statt der Produktionsprämien wurden zunehmend flächengebundene Einkommenshilfen gezahlt, allerdings bleibt jedem Land ein großer Gestaltungsspielraum. Das setzte Frankreich in zähen Verhandlungen durch. Bis heute bindet das Land einen Teil der Prämien an die Produktionsmenge. Deutschland hingegen hat dieses Förderinstrument vollständig abgeschafft.

Letzte Quote läuft aus

Über Jahrzehnte wurde auch die Produktion gedeckelt – man teilte jedem Betrieb Quoten zu. Als die von den Milchbauern anfangs noch als Gängelung empfundene Milchquote zum 1. April 2015 endgültig auslief, trieben empörte Landwirte ihre Kühe nach Brüssel, um gegen den Preisverfall zu demonstrieren. Doch die Politik blieb hart. Zum 1. Oktober dieses Jahres fällt nach jahrelangem Streit die letzte Quote, die die Produktionsmenge für Zuckerrüben regelt.

Die letzte Minireform wurde 2014 beschlossen. Sie hatte vor allem die Nachhaltigkeit im Blick, Fördermittel werden nun stärker an Umweltauflagen und Tierschutzstandards gekoppelt. Diese Neuerung ist noch nicht verdaut, da beginnen schon die Debatten über die nächste Runde. Eigentlich müsste sie spätestens 2020 abgeschlossen sein, wenn die neue Haushaltsperiode beginnt. Doch wegen der schleppenden Austrittsverhandlungen mit Großbritannien wird schon laut darüber nachgedacht, die nächste EU-Finanzplanung um vier Jahre zu verschieben, auf 2024.

In einer Übergangsphase mit provisorischem Haushalt hätte die EU dann Zeit, sich neu zu sortieren. Denn Großbritannien ist einer der größten Beitragszahler, aber auch Empfänger milliardenschwerer Agrarsubventionen. Wenn sowohl bei den Beiträgen als auch bei den Abflüssen ein großer Batzen wegfällt, muss erst einmal Kassensturz gemacht werden.

Doch selbst wenn die nächste Agrarreform erst in ein paar Jahren beschlossen werden sollte – die Debatte darüber, wo die Reise hingehen soll, hat längst begonnen. Während der Bauernverband die lästigen Umweltauflagen zurückfahren und die flächengebundenen Direktbeihilfen möglichst noch steigern möchte, schlagen Wirtschaftsexperten einen anderen Weg vor. Der Heidelberger Ökonom Friedrich Heinemann zum Beispiel hält es für sinnvoll, das Agrarbudget drastisch zu kürzen. Flächengebundene Subventionen, davon sind viele Experten überzeugt, treiben die Preise für landwirtschaftliche Nutzflächen und Pachten in die Höhe. Es profitiert der Eigentümer des Bodens, der nicht identisch sein muss mit dem Bauern, der ihn bewirtschaftet.

Erstaunliches Privileg

Umwelt- und Tierschutzstandards sollten laut Heinemann nicht über Förderprämien durchgesetzt werden, sondern mit politischen Vorgaben. „Der Agrarsektor verfügt hier über ein erstaunliches Privileg, dessen sich seine Lobbyisten kaum mehr bewusst sind: Wer käme auf die Idee, der Gastronomie, dem Reinigungsgewerbe oder der Chemieindustrie Subventionen dafür zu zahlen, dass diese Branchen Umwelt-standards einhalten?“, fragt der Wirtschaftsfachmann.

Er hat auch einen pragmatischen Vorschlag, wie die Ausgaben zurückgefahren werden könnten. Man solle die Subventionen künftig genauso handhaben wie EU-Mittel für andere Förderbereiche. Wird nämlich ein Autobahnteilstück oder ein wissenschaftliches Projekt von der EU unterstützt, müssen sich die Mitgliedsstaaten daran mit bis zu 50 Prozent aus eigenen Mitteln beteiligen. Der Agrarhaushalt ist vor allem deshalb trotz der schwindenden Bedeutung des Bauernstandes so beliebt, weil die nationalen Finanzminister für diesen Geldsegen ihre Börse nicht öffnen müssen.