StartseitePolitik„Politische Führung muss Mut machen“

Parteienfamilie

„Politische Führung muss Mut machen“

Politik / Lesedauer: 5 min

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, fordert in Flüchtlingskrise gemeinsames Vorgehen Europas
Veröffentlicht:30.10.2015, 20:35

Artikel teilen:

Als Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, einer Parteienfamilie, zu der die CDU genauso gehört wie die ungarische Fidesz des umstrittenen Ministerpräsidenten Viktor Orban, muss Manfred Weber (CSU) Diplomat sein. Und auch im Gespräch mit Hendrik Groth, Klaus Nachbaur und Markus Riedl wagt der Niederbayer in der Flüchtlingskrise den Spagat zwischen der Position von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem CSU-Parteichef Horst Seehofer. Sein Credo: Ein Land alleine kann die aktuellen Krisen nicht bewältigen.

Die Aufgabe ist eine historische, aber wir müssen und wir werden das schaffen.

Ist die Flüchtlingskrise härter als die Eurokrise?

Die Staatsschuldenkrise war für die EU eine an die Substanz gehende Krise und wir haben sie gemeistert. Die Flüchtlingskrise ist keine Frage, die sich binnen Tagen oder Wochenfrist lösen lässt. Entscheidend ist, zu verstehen, dass es ein Land alleine definitiv nicht mehr schaffen kann. Europa muss gemeinsame Antworten darauf geben.

Brauchen wir mehr Optimismus?

Wenn man vor großen Aufgaben steht, muss politische Führung Mut und nicht Angst machen. Das verkörpert die Bundeskanzlerin. Ich glaube, dass wir Europäer uns bewusst machen sollten, was wir schon erreicht haben. In der Staatsschulden- und Finanzkrise haben wir mit gemeinsamen Anstrengungen und mit viel Geld Banken und Staaten gerettet und im vergangenen Jahr hat dieser Kontinent 1,6 Millionen weniger Arbeitslose in der Eurozone gehabt als im Jahr davor. Wir sind stärker aus der Krise herausgekommen als wir reingegangen sind.

Vor einigen Jahren war das zentrale Thema, wie Europa gestaltet werden soll. Jetzt werden nur noch Krisen verwaltet. Wo bleibt die europäische Integration?

Die politische Tagesordnung wird uns nun mal von den Herausforderungen diktiert, und ja: wir sind im Krisenmodus. Die Bürger erwarten von uns, dass Politik ordentliches Management macht. Wir Europäer sind heute sieben Prozent der Weltbevölkerung, und im Jahr 2050 werden das nur noch vier Prozent sein. Im Jahr 2050 wird, wenn es nach der Wirtschaftskraft geht, kein Europäer mehr an den G-7-Gipfeln teilnehmen. Wenn man sich diesen Globalisierungsschub vergegenwärtigt, den wir erleben, dann brauchen wir mehr Mut zu einem starken Europa. Sonst werden wir unseren Wohlstand nicht halten können.

Viele Menschen haben aber das Gefühl, dass es derzeit kein starkes Europa mehr gibt, sondern alles völlig willkürlich abläuft, dass es keine Solidarität gibt, dass das Schengen-Abkommen nicht umgesetzt wird. Wie kriegt die EU das wieder gedreht?

Wir haben in diesem Jahr einiges auf den Weg gebracht. Beispielsweise retten wir im Mittelmeer auch mit deutschen Kriegsschiffen Menschenleben. Wir haben einen Verteilmechanismus für 160.000 Flüchtlinge in Europa beschlossen, der Einstieg in eine gerechte Lastenverteilung ist geschafft. Es ist oft mühsam, aber Europa beginnt zu liefern.

Vor ein paar Tagen kam die Meldung, es seien beim Lastenausgleich bislang gerade 19 Flüchtlinge in Europa verteilt worden.

Das braucht Zeit, aber wir haben den Einstieg politisch geschafft. Und was das Wichtigste ist: Die EU-Kommission führt. Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat weitreichende Gesetzgebungsvorschläge auf den Tisch gelegt, etwa einen permanenten Quotenmechanismus oder eine Definition von sicheren Herkunftsstaaten, damit die Verfahren beschleunigt werden. Wir als EVP wollen auch, dass die Türkei als sicherer Herkunftsstaat definiert wird. Dann haben wir in wenigen Tagen den Gipfel von Valletta auf Malta, wo die Europäer mit allen afrikanischen Staats-chefs zusammenkommen und Klartext reden müssen nach dem Motto: Wir geben gerne Entwicklungshilfe, wir wollen, dass Afrika eine gute Entwicklung nimmt. Aber das bedeutet auch, dass ihr kooperieren müsst. Ihr müsst abgelehnte Bewerber aus euren Staaten zurücknehmen. Nach Jahren der Selbstorientierung müssen wir verstehen, dass die Probleme in jedem bayerischen oder baden-württembergischen Dorf ankommen, wenn wir nicht in Außen- und Entwicklungspolitik investieren.

Viele haben den Eindruck, dass sich in Europa in nächtlichen Gipfeln über das Recht hinweggesetzt wird. Brauchen wir mehr Respekt vor dem Recht in Europa?

Europa ist eine Rechtsgemeinschaft, das Recht muss umgesetzt werden. Die EU-Kommission hat in der Flüchtlingspolitik mittlerweile 43 Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten eingeleitet – auch gegen Deutschland, weil die Abschiebungen nicht ordentlich organisiert sind. Für die Zukunft braucht die Kommission aber mehr direkte Möglichkeiten, das bestehende Recht auch zu vollziehen.

Was sagen Sie Bürgern, die befürchten, dass die überwiegend muslimische Zuwanderung zu kulturellen Konflikten führen wird?

Wir müssen diese Sorgen extrem ernst nehmen. Wir sollten nicht naiv umgehen mit der Frage, wer zu uns kommt. Das sind auch Menschen aus Kulturkreisen, in denen viele der Prinzipien, die uns heute wichtig sind, nicht selbstverständlich sind. Wenn Menschen um Hilfe vor Krieg und Terror bitten, müssen wir als Europäer Türen aufmachen. Wenn die Menschen dann aber hier sind, müssen wir Klartext reden bei der Frage, was wir von ihnen erwarten. Denen, die unsere Spielregeln nicht akzeptieren, müssen wir sagen: Sie können nicht hierbleiben. Genauso braucht es einen starken EU-Außengrenzenschutz und die Botschaft, es kann nicht jeder zu uns kommen, der nach Europa will.

CSU-Parteichef Horst Seehofer hat vor den Koalitionsgesprächen zur Flüchtlingskrise eine Drohkulisse aufgebaut. Welchen Kurs fährt er?

Das ist keine Drohgebärde, sondern ein Hilferuf. In Bayern haben wir einen enormen praktischen Alltagsdruck, mit den täglich 5000 bis 10000 Menschen umzugehen, die ankommen. Wir brauchen deshalb eine Limitierung der Flüchtlingszahlen. Der Freistaat Bayern hat für das nächste Haushaltsjahr eine halbe Milliarde Euro bereitgestellt, um zum Beispiel fast 3000 neue Stellen für die Integration zu schaffen. Bayern leistet viel – wie andere Deutsche auch. Aber gerade, weil wir in Bayern viel leisten, nehmen wir auch in Anspruch, kritische Fragen zu stellen, wie es weitergehen soll. Und darauf muss Berlin – aber auch Brüssel – jetzt Antworten geben.

Mehr zur Flüchtlingskrise finden Sie auch im Internet unter schwaebische.de/asyl