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Weihnachtsgeschenk

„Eltern sollten einfach mal mitspielen“

Augsburg / Lesedauer: 7 min

„Schenken ist auch Erziehung“, sagt Pädagoge Volker Mehringer. Er ist Spiel- und Spielzeugforscher an der Universität Augsburg und weiß, wie man enttäuschte Ki...
Veröffentlicht:20.12.2017, 18:40

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Rund 290 Euro geben Eltern im Jahr für Spielzeug aus. Pro Kind. Dabei ist der Wunsch des Nachwuchses meist Befehl. Denn wer das falsche Geschenk einpackt, hat an Weihnachten die Bescherung.

Doch was, wenn es Mama und Papa zu pink wird? Sich das Kinderzimmer langsam in einen Fanshop für Disney-Produkte verwandelt? Das Haustier nicht nach Futter, sondern Strom verlangt? „Schenken ist auch Erziehung“, sagt Pädagoge Volker Mehringer im Interview mit unserer Mitarbeiterin Ruth van Doorink. Der 38-Jährige ist Spiel- und Spielzeugforscher an der Universität Augsburg. Er weiß, wie man enttäuschte Kinderaugen doch noch zum Leuchten bringt, und warum das Kind im Mann öfter mal rausgelassen werden sollte.

Was war denn der Hit in Ihrem Kinderzimmer, Herr Mehringer?

Sehr lange eine muskelbepackte H-Man-Plastikfigur.

Damit lockt man heute aber auch kein Kind mehr hinterm Ofen hervor?

Von wegen: Meine fünfjährige Tochter hat sie sich gleich unter den Nagel gerissen. Offenbar hat sie meine eigene Begeisterung für den Superhelden mitgerissen. Eine Zeit lang hat sie sehr ausgiebig damit gespielt.

Vielleicht sollten wir einfach öfter verschenken, was uns früher selbst vom Hocker gerissen hat?

Absolut. Ein Spielzeug, mit dem ich selbst gerne gespielt habe und meinem Kind in die Hand drücke, verkaufe ich ihm viel besser. Denn ein gutes Spielzeug auszusuchen, ist eine Sache. Es dem Kind nahezubringen, die andere. Total oft ist ein Kind nicht sofort begeistert. Manchmal umreißt es nicht, was es damit machen kann. Oder es findet die Ästhetik nicht spannend. Dann sind Eltern gefordert. Beim gemeinsamen Spiel kommen sie oft doch noch auf den Geschmack.

Der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Mein Mann hat unserem Sohn einen ferngesteuerten, wasserspritzenden Feuerwehr-Monstertruck geschenkt. Nur leider konnte der Kleine das Ding nicht mal selbst steuern.

Ihr Mann hat alles richtig gemacht: Er lässt den Truck durch den Garten rasen, hat Spaß und muss nicht teilen. Im Ernst: Das hat Vorbildcharakter und transportiert viel von der Freude am Spiel. Für Kinder ist das toll, wenn der Papa begeistert ist. Reihenweise sollte man beim Schenken natürlich nicht daneben liegen.

Das Problem ist ja: Eltern haben oft völlig andere Vorstellungen als Kinder vom perfekten Geschenk. An Barbies und Plastik-Knarren scheiden sich die Geister.

Natürlich vergeht es vielen bei realitätsnahen Waffen, die Schaumstoffpfeile schießen, schnell. Aber wenn ich dann sehe, wie die Kids damit durch die Nachbarschaft ziehen und ein ganz genaues Rollen- und Regelspiel ausgearbeitet haben, ist das eigentlich ein spannendes Gruppenerlebnis. Mit wünschenswerten Verhaltensweisen. Manche Spielzeuge, die wir auf den ersten Blick als grausam empfinden, bieten vielleicht doch interessante Spielmöglichkeiten und Entwicklungspotenziale. Oft findet sich aber auch ein Alternativprodukt, das weniger explizit ist

Aber nachgeben, nur damit es unterm Christbaum kein Drama gibt, ist doch keine Lösung.

Es ist völlig legitim, eine Grenze zu ziehen. Spielen und Spielzeugauswahl hat viel mit Entwicklung zu tun – und damit auch mit Erziehung. Eltern sollten sich fragen: Warum findet mein Kind dieses Spielzeug toll? Und warum finde ich es doof? Ist es eine ethische Frage, hat es mit Geschlechterklischees zu tun? Eltern können mit Kindern früher als sie denken darüber reden, warum sie mit einer Barbie im Minirock oder einer Waffe ein Problem haben. Oft können Kinder das nachvollziehen – und wünschen sich dann auch einfach etwas anderes.

Apropos Wünsche: Haben die sich stark gewandelt?

Wenn man in die Kinderzimmer schaut, sieht man schnell: So irre unterschiedlich ist das gar nicht zu früher. Es gibt einfach Spielzeugarchetypen. Kreisel, Jo-Jos, kleine Spielfiguren und Puppen sind schon seit Ewigkeiten beliebt. Die Spielsachen, die wir heute sehen, sind moderne Variationen dieser Dinge und Themen. Zum Beispiel die Holzeisenbahn, deren elektrische Lok mit dem Gashebel auf dem Tablet gesteuert wird. Wirklich Neues gibt es kaum. Spannend wird es allerdings durch die Digitalisierung. Sie könnte tatsächlich völlig neue Spielerlebnisse eröffnen. Etwa mit Virtual-Reality-Brillen. Damit lenke ich mein Flugzeug nicht von unten, sondern sitze gefühlt im Cockpit. Spannend.

Technik im Kinderzimmer – das ist aber ein sehr heikles Thema, oder nicht?

Spielzeug ist ein ganz klarer Spiegel der Gesellschaft. Immer wenn es technologischen Fortschritt gab, hat das Spielzeug nachgezogen und versucht, das abzubilden. Natürlich muss man hier kritisch sein.

Irgendwann wird eh nicht mehr gespielt, nur noch gezockt.

Das Zocken an der Konsole oder am Tablet wird viel öfter mit dem Konsum von Medien als mit Spielen gleichgesetzt – und kommt darum schlecht weg. Wenn ein Kind leicht bucklig über seinen Legosteinen sitzt und völlig vertieft etwas baut, sagen Eltern nicht: Komm, jetzt reicht’s. Du sitzt da jetzt schon eine halbe Stunde! Beim Zocken schon. Dabei kann ein Kind, vorausgesetzt das Game ist gut ausgewählt, da auch viel rausnehmen. Viel von der Skepsis rührt daher, dass Eltern keine Ahnung haben, was ihr Kind da macht. Sie sollten einfach mal mitspielen.

Hoch im Kurs sind Kuscheltiere, die aus Eiern schlüpfen, Emotionen zeigen und sogar sprechen lernen. Was halten Sie vom batteriebetriebenen Haustierersatz?

Das fasziniert Kinder – genauso wie ein Überraschungsei. Was ist da jetzt drin? Der Spielreiz ist hoch. Denn das Tier hat ein vermeintliches Eigenleben. Je größer die Interaktion, umso spannender. Allerdings kann sich das auch ganz schnell aufbrauchen. Das Kind durchschaut die Sache schnell. Sind alle Stadien einmal erlebt, wird es erwartbar. Avanciert es dann nicht zum Kuscheltier, gibt es keinen langfristigen Spielwert. Für höchst problematisch halte ich allerdings Puppen und Stofftiere, die Infos ins Internet schicken. Das Kind spricht mit ihnen und bekommt über einen smarten Lautsprecher eine Antwort – das läuft nach dem Prinzip von Amazons Alexa oder Google Home.

Hört sich unheimlich an.

Manche Kinder erschrecken regelrecht, wenn die Puppe nicht nur Mama sagt, sondern auf konkrete Fragen richtig antwortet. Aber das größere Problem an der Sache ist die Datensicherheit. Wer hat darauf Zugriff? Was wird damit gemacht? Denn theoretisch könnte über das eingebaute Mikrofon ein Kind belauscht werden oder ein Fremder mit ihm reden. Die Bundesnetzagentur hat besagte Puppe inzwischen als verstecktes Spionagegerät eingestuft und vom deutschen Markt genommen. Aber natürlich gibt es noch jede Menge per App gesteuerte Spielsachen. Hier muss es einheitliche Standards zum Datenschutz geben.

Dann doch lieber das gute, alte Lego. Wobei, hier werden die Mädels und Jungs mit Star-Wars-Figuren bombardiert oder auf Eisköniginnen getrimmt.

Das Lizenzgeschäft ist unglaublich gewachsen und die Geburtsstunde war tatsächlich die Vermarktung von Star Wars. Dagegen anzukämpfen, ist aussichtslos. Für Kinder haben sie einen unglaublichen Wiedererkennungseffekt. Und sie sind schon früh drauf fixiert. Denn das Markenbewusstsein beginnt schon im Kindergarten. Aber die märchenhafte Grundthematik, nämlich futuristische Ritter, die mit Rüstung und Schwert gegen das Böse kämpfen, greift Spielthemen auf, die Kinder eh interessieren. Aber natürlich sind Luke Skywalker oder Anna und Elsa auf eine Thematik festgelegt und das Fantasiespiel so stark vorgegeben. Neutrale Figuren können alles sein Ritter, Prinzessin, Vater, Mutter, Kind.

Spielen ist eine ernste Sache. Was ist denn nun ein pädagogisch wertvolles Geschenk?

Wir sollten dem Spiel insgesamt mehr Bedeutung geben. Aber dabei nicht nur an die Optimierung von Motorik, Wissenshorizont oder Sprachschatz unseres Kindes denken. Niemand muss auf den Schachteln der Verpackung nach dem Prädikat „Pädagogisch wertvoll“ suchen. Das Wichtigste ist zu schauen, wo mein Kind steht, was es interessiert und was der nächste Entwicklungsschritt ist. Daran könnte das Spielzeug anknüpfen. Es sollte sie fordern, aber nicht überfordern. Damit kann ein Impuls gesetzt werden. Aber: Ein Kind, das spielt, lernt immer etwas. Der Gegenstand ist nicht so zentral.

Zum Schluss: Was war das schwachsinnigste Spielzeug, das Sie je gesehen haben?

Ein Tablet-Halter fürs Töpfchen. Der kam zwischen den Beinen hoch, damit das Kind bei seinem Geschäft wahlweise spielen oder was schauen konnte. Absoluter Blödsinn.