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Wolffsohns „Zum Weltfrieden“: Multikulti beginnt

Politik / Lesedauer: 3 min

Wolffsohns „Zum Weltfrieden“: Multikulti beginnt
Veröffentlicht:04.01.2016, 20:23

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Gleich auf dem Titel des Buches wird der Leser aufgefordert, sich freizumachen vom scheinbar unveränderbar Bestehenden: „Die Vorstellung von der Dauerhaftigkeit unserer Staatenwelt ist absurd“, findet Michael Wolffsohn. Der emeritierte Professor für Neuere Geschichte der Bundeswehruniversität München legt in „Zum Weltfrieden“ einen Entwurf für eine neu geordnete Welt vor, der herausfordert, aus europäischer Sicht bisweilen provoziert – und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bedenkenswert ist.

Michael Wolffsohn lenkt den Blick in Richtung des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens, an die Ränder Russlands, nach Afrika, auf den Balkan. Dort drohen immer mehr Staaten zu scheitern, sind teils bereits gescheitert. Unterschiedliche ethnische, religiöse und kulturelle Bestrebungen der Menschen – „Historische Urkräfte“ – setzen die Staaten derart unter Druck, dass sie, so die Prognose des Historikers, zerbrechen oder in gewalttätigem Chaos versinken werden. Er diagnostiziert detailreich eine sich ausbreitende „WeltUNordnung“, die Frieden, Wohlstand und Demokratie bedroht, weil sie Terror fördert, Verteilungskämpfe verschärft und Menschen millionenfach zur Flucht nötigt.

Als Hauptursache für dieses gefährliche „Zerbröseln“ von Staaten in Krisenregionen macht Wolffsohn das nicht oder nicht mehr funktionierende Konzept des Nationalstaats mittel- und westeuropäischer Prägung aus. Dieses Konzept sei auf ethnisch, religiös, sprachlich oder kulturell extrem vielschichtige Gesellschaften nicht übertragbar. Hier sieht Wolffsohn das Völkerrecht mit seinem Postulat der Unantastbarkeit souveräner Nationalstaaten und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung auf explosivem Kollisionskurs.

Einen Ausweg aus dem Dilemma erkennt der Historiker in föderativen Strukturen, in denen Mehrheitsherrschaft und Minderheitenschutz gleichauf nebeneinander stehen und so den inneren Frieden befördern. Etwa in Form einer „Bundesrepublik Ukraine “ mit einem Bundesland im Osten – vielleicht „Russisch-Ukraine“ – und einem im Westen – vielleicht „Kiew-Ukraine“. Oder in Form einer israelisch-palästinensisch-jordanischen Konföderation.

So spannend Wolffsohns Ideen sind, so sehr fordert es bisweilen, ihm gedanklich auf den neuen Wegen zu folgen, die teils gerade wegen der typisch kühlen Analyse wieder zu heißen Diskussionen führen werden. Denn Wolffsohn meint nicht nur die notorischen Krisenregionen, sondern auch Europa und Deutschland, wenn er fordert, dass in einem Staat mit einem übergeordneten, allseits akzeptierten Regelwerk mehrere Wir-Gefühle und Teilgesellschaften geduldet werden müssen. Teilgesellschaften, die „ihre Besonderheiten leben, erleben, ausleben“ dürfen. Konkret ist für Wolffsohn die teilweise Legalisierung einer muslimischen Gerichtsbarkeit etwa in Fragen des Familienrechts vorstellbar: „Wenn man dauerhaft den inneren Frieden retten will, wird über gruppen-, nicht raumbezogene Sonderregeln nachzudenken sein.“ Folgt man Wolffsohn, ist Multikulti also nicht gescheitert, Multikulti beginnt erst.

So führt der Streifzug durch die nur scheinbar fernen Krisenregionen dieser Welt bis vor die eigene Tür, bringt Gewissheiten ins Wanken und macht Hoffnung, dass es doch Auswege aus andauernden Krisen geben kann. Michael Wolffsohn fasst es so: „Ausweglos ist nur die Fortschreibung des Noch-Bestehenden.“

Michael Wolffsohn ist am kommenden Montag, 11. Januar, zu Gast bei „Talk im Bock“ in Leutkirch. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr im Bocksaal am Gansbühl.