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Türkei gerät im Fall Yücel in Zugzwang

Politik / Lesedauer: 3 min

Türkei gerät im Fall Yücel in Zugzwang
Veröffentlicht:16.10.2017, 21:08

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Acht Monate nach der Festnahme des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel muss sich Ankara binnen der nächsten Tage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte äußern. Wie Yücels Verteidiger Veysel Ok der türkischen Zeitung „Evrensel“ sagte, läuft am 24. Oktober die Frist ab, die das europäische Gericht der türkischen Regierung für ihre Stellungnahme gesetzt hat. Ankara gerät in Zugzwang.

Die türkische Regierung muss sich demnach sowohl zur Verhaftung des Journalisten äußern als auch zu der Frage, ob Yücel ein politischer Häftling sei oder nicht. „Wir erwarten, dass das (Straßburger) Gericht im Fall Yücel ein Grundsatzurteil über den Journalismus in der Türkei fällt“, sagte Ok. „Wir denken, dass das auf einem guten Weg ist.“

Wann mit einer Anklage der türkischen Staatsanwaltschaft gegen Yücel zu rechnen sei, wisse die Verteidigung immer noch nicht, sagte Ok. Zu ermitteln gebe es schon lange nichts mehr: Weil die Vorwürfe sich auf Yücels journalistische Arbeit gründen, lägen alle vermeintlichen Beweise ohnehin längst vor. Die einzige Erklärung für das Ausbleiben der Anklage sei, dass Yücel mit der langen Untersuchungshaft bestraft werden solle, bevor er vor Gericht komme, sagt der Anwalt. „Es ist eine Strafmaßnahme, jemanden im Gefängnis zu halten, ohne eine Anklage vorzulegen.“

Von Yücel selbst gibt es eine Mitteilung, die kürzlich auf seinem Twitter-Account veröffentlicht wurde. „Pssst, beste Rechtsstaat wo gibt: 242 Tage! Dass das eine Geiselnahme ist, habt ihr bewiesen. Jetzt her mit der Anklageschrift!“, lautete der Text der Botschaft. Yücels Ehefrau bestätigte, dass die Botschaft von ihrem Mann stammt.

Anders als bei Yücel liegt gegen den im Juli verhafteten deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner eine Anklageschrift vor, was in Verfahrenskreisen als positives Zeichen bewertet wird. Gegen Mesale Tolu aus Ulm begann fünf Monate nach ihrer Festnahme der Prozess. Dass die Anklage des schon länger inhaftierten Yücel noch immer auf sich warten lässt, bewertet sein Anwalt auch als Anzeichen dafür, wie inhaltsleer die Anklageschrift ausfallen dürfte.

Vorwurf der Spionage

Yücel war wegen Propaganda für eine Terrororganisation und Volksverhetzung verhaftet worden. Von der regierungsnahen Presse wurde seither auch der Vorwurf der Spionage propagiert. „Das hat zwar keinerlei juristische Bedeutung, gibt aber eine Ahnung davon, was da für eine Anklage zu erwarten ist“, sagt der Anwalt.

Ok gehört zu den wenigen Menschen, die Yücel in der Haft sehen dürfen. Außer mit Rechtsanwälten darf der Journalist im Gefängnis nur einmal in der Woche mit Angehörigen sprechen. „Deniz Yücel ist meines Wissens der einzige Journalist in Istanbul, der in Isolationshaft gehalten wird, und das seit acht Monaten“, sagt Ok. „Er versucht, stark zu bleiben, aber natürlich wirkt sich die Isolationshaft auf Dauer auf die psychische und körperliche Gesundheit eines Menschen aus.“ Die Verteidigung versuche alles, um gegen die Einzelhaft vorzugehen. „Aber Deniz ist immer noch ein starker Journalist, der auf seine Arbeit stolz ist.“

Nach Angaben des türkischen Pressefreiheitsvereins P24 sitzen derzeit 169 Journalisten in der Türkei hinter Gittern. Am Montag beschloss der Nationale Sicherheitsrat der Türkei, eine Verlängerung des Ausnahmezustands im Land über den kommenden Donnerstag zu empfehlen. Während eines Ausnahmezustandes sind die Grundrechte eingeschränkt.