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Freizügigkeit

Die Jugend kämpft für ihre Rechte

Politik / Lesedauer: 4 min

In vielen Städten wird für Europa demonstriert – Sorge wegen nationalistischer Tendenzen
Veröffentlicht:24.03.2017, 20:23

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Nach dem Brexit-Schock und der Trump-Wahl merken viele junge Menschen, dass die Rechte, die sie für selbstverständlich hielten, wie Freizügigkeit und Frieden, bedroht sind – und gehen für Europa auf die Straße. Bei den „Pulse of Europe“-Demos treffen sich inzwischen mehrere Tausend Teilnehmer. Die Protestbewegung, die Ende 2016 in Frankfurt am Main startete, hat inzwischen Ableger in mehr als 50 europäischen Städten, darunter auch Stuttgart, Konstanz, Friedrichshafen (siehe Kasten). Dem französischen Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron jubeln junge Franzosen mit Europa-Fähnchen zu. Und die Proteste gegen Großbritanniens geplanten Abschied von Europa werden vor allem von jungen Briten angeführt.

Diese europäische Jugendbewegung könnte aber bald abebben, glaubt Rolf Frankenberger , Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen: „Eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2015 kam zu dem Schluss, dass nur etwa 16 Prozent der Menschen zwischen 14 und 29 Jahren im engeren politischen Sinne engagiert sind: Sie sind in politischen Parteien oder nehmen an Bürgerbeteiligungsverfahren teil.“ Zwar nehme das Interesse an Politik in Europa insgesamt zu, aber: „Junge Menschen beteiligen sich an zeitlich befristeten Projekten, sie wollen sich nicht binden.“ Sie würden sich laut Frankenberger vor allem nur dann politisch engagieren, wenn sie persönlich betroffen seien – wie nach der Brexit-Entscheidung oder in der Flüchtlingshilfe.

Drei, die nicht zu Frankenbergers Aussage passen, sind Ioan Bucuras aus Rumänien, Antonio Argenziano aus Italien und Tobias Schminke aus Deutschland. Sie sind Mitglieder im Verband Junger Europäischer Föderalisten (JEF) und engagieren sich dort seit Jahren für die Vision eines föderalen Europas, also eines gemeinsamen Bundesstaats auf dem Kontinent. Obwohl sie aus unterschiedlichen Ecken der Europäischen Union kommen, eint sie die Sorge über die nationalistischen Tendenzen innerhalb der EU.

Europa als Sündenbock

„Ich habe gehört, was Marine Le Pen und Frauke Petry sagen. Es gibt Probleme mit Kriegen in Syrien, der Ukraine und mit der Migration. Ich muss einfach etwas dazu beitragen, die Welt besser zu machen“, sagt beispielsweise der 23-jährige Argenziano auf die Frage, warum er den „March for Europe“ in Rom mitorganisiert. Er will die Errungenschaften der EU verteidigen: „Ich denke, die Werte, die mein politisches Handeln am meisten beeinflussen, sind: Freiheit, Demokratie und natürlich Frieden. Wir halten das alles für selbstverständlich. Aber wir sollten uns an die Zeiten erinnern, als wir das nicht hatten.“ Der junge Italiener und seine JEF-Kollegen Bucuras und Schminke denken, die EU habe nur deshalb einen so schlechten Ruf, weil die nationalen Regierungen sie als Sündenbock für unpopuläre Entscheidungen vorschieben würden. Die junge, gebildete Generation wüsste aber, welche Vorteile die EU ihnen gebracht habe. „Die junge Erasmus-Generation profitiert davon, dass es innerhalb Europas keine Grenzen gibt. Sie bemerkt die Vorteile, zum Beispiel die Freizügigkeit. Die Jugend hat endlich mitbekommen, dass sie sich starkmachen muss für ihre Rechte“, sagt Bucuras. Deshalb gingen sie jetzt auf die Straße.

Während der Rumäne aber glaubt, die pro-europäischen Proteste seien zu schlecht organisiert, um bereits eine politische Bewegung mit nachhaltigem Erfolg zu sein, ist Tobias Schminke vom Gegenteil überzeugt. Der 23-Jährige betreut als Chefredakteur das Online-Magazin „Treffpunkt Europa“, das eine gesamteuropäische Medienöffentlichkeit schaffen will. Er spürt im Netz den Trump-Effekt: „Bei ,Treffpunkt Europa’ sind die Zugriffszahlen im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen. Und bei der JEF hatten wir einen besonders großen Zulauf an Mitgliedern nach der Wahl von Trump und dem Brexit“, sagt Schminke.

Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller glaubt, dass die pro-europäischen Proteste etwas bewirken können: „Es ist wichtig, dass die Leute auf die Straße gehen für das, was sie einfordern wollen. Und wenn das richtig viele Leute sind, dann hat das auch politisches Gewicht.“ Sie sieht dieses Engagement der europäischen Jugend auch als Chance für Parteien. Denn anstatt nur für einzelne Forderungen zu protestieren, könne man in einer Partei mehrere Interessen und Werte gleichzeitig unterstützen. So war es auch bei ihr: Nachdem sie sich schon in ihrer Heimatstadt Guben in Brandenburg gegen Rassismus engagiert hatte, trat sie mit 21 Jahren bei den Grünen ein. Seit sie 27 ist, gehört sie dem Europaparlament an.

Der Student Tobias Schminke ist bislang in keiner Partei aktiv. Einem parteipolitischen Engagement ganz abgeneigt ist es allerdings nicht – vorausgesetzt, er findet eine Partei, die sich explizit für sein Thema einsetzt: ein föderales Europa.

Das ganze Interview mit Rolf Frankenberger gibt es online unter:

schwaebische.de/europa.