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Verbrennungsofen

Der Hummer soll brennen

Politik / Lesedauer: 3 min

Trotz Importverbot geschmuggelte westliche Lebensmittel werden in Russland vernichtet
Veröffentlicht:02.08.2015, 20:44

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Es soll am 6. August losgehen. Per Ukas verfügte Kremlchef Wladimir Putin Ende Juli, die nach Russland geschmuggelten Lebensmittel noch an den Grenzübergängen zu vernichten. Dafür sollen Verbrennungsöfen an den Kontrollpunkten aufgestellt werden. Im ersten Halbjahr 2015 beschlagnahmte der russische Zoll 552 Tonnen illegaler Nahrungsmittel. Als Antwort auf die Sanktionen der EU und des Westens hatte der Kreml vor einem Jahr gegen Importe aus dem Westen einen Einfuhrstopp verhängt.

Viele Waren gelangten dennoch in russische Läden. Käse, Hummer und Lachs kamen über Weißrussland und Kasachstan ins Land. Die Originalprodukte wurden von den Nachbarn umetikettiert. Die Mitgliedsstaaten der neuen Eurasischen Wirtschaftsunion nutzten so die Chance, um an den Sanktionen mitzuverdienen. Gesetzlich ist heute zwar die Einfuhr westlicher Lebensmittel verboten, nicht aber deren Verkauf. Dem will der Kreml nun durch Entsorgung einen Riegel vorschieben.

„Ferkel sind dagegen“

Eine jugendliche Vorhut macht sich im Vorfeld auf die Suche nach europäischen Erzeugnissen in russischen Supermärkten. „Iss russisch“ heißt das Projekt der Organisation „Chriuschi protiv“, was soviel bedeutet wie „Ferkel sind dagegen“. Dahinter verbirgt sich eine Anspielung auf ein makelloses Schweinchen aus der Sendung des Sandmännchens. Die jugendlichen Eiferer sind eine Erfindung der Kremljugend „Naschi“ – die Unsrigen.

Der Aufkleber zur Kennzeichnung der Schmugglerware ist ein nach einer US-Flagge schnappender Bär mit der Aufschrift „Produkt sanktioniert“. Gelegentlich geraten auch mal Produkte aus westlichen – von Sanktionen ausgenommenen Ländern wie der Schweiz – in die Hände der jungen Kontrolleure. Mit 100 000 Euro unterstützt der Kreml die Gruppe aus dem präsidialen Fonds für Zivilgesellschaft.

Ein Jahr nach Verhängung der Sanktionen steht fest: Sie haben Führung und Bevölkerung eng zusammengeschweißt. Da Ölpreisverfall, Wirtschaftskrise und Sanktionen zusammenfielen, verfestigte sich bei der Bevölkerung der Eindruck, dass die Strafmaßnahmen sich nicht wie angekündigt gegen einzelne Personen und Betriebe richten, sondern gegen das ganze Land.

Am härtesten treffen Russland die Beschränkungen auf dem Kapitalmarkt. Moskau erhält keine Kredite mehr, um Schulden zu bedienen. Obwohl die Einschränkung zunächst nur für staatliche Banken und Energiekonzerne galt, sind die meisten westlichen Banken und Handelsorganisationen wegen der hohen Risiken auch nicht mehr zur Kreditvergabe bereit. Überdies sind Direktinvestitionen drastisch gesunken.

Der Kreml deklarierte Sanktionen als Chance, sich auf eigene Kräfte zu besinnen und die Diversifizierung der Wirtschaft in Angriff zu nehmen. Die Ergebnisse sind bislang bescheiden. Laut Experten braucht der Agrarsektor mindestens fünf Jahre für die Herstellung gleichwertiger Ersatzprodukte. In vielen Bereichen wird dies auch nur unter Beteiligung bereits in Russland angesiedelter westlicher Multis möglich sein.

Die russischen Bürger spüren allmählich die Rezession. Mittlerweile leben wieder mehr als 22 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. 55 Prozent sparen vor allem bei den Ausgaben für Essen und Trinken. Auch die Heimgärtner sind zurückgekehrt. Gemüse im Vorgarten ist keine Seltenheit mehr.