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Debatten um das eigene Selbst

Politik / Lesedauer: 7 min

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz geht das Rätselraten um die USA und das Verhältnis zu Europa weiter
Veröffentlicht:19.02.2017, 20:27

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Es gab eine Zeit, in der viele Teilnehmer der jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz sich bang fragten, wie sich die Gäste aus Russland oder Iran verhalten würden. Denn mit denen war das Verhältnis nicht immer gut. Was würde Ministerpräsident Medwedew aus Moskau sagen oder Russlands Außenminister Lawrow? Wie würde sich der iranische Außenminister verhalten? In jener fern wirkenden Zeit vor zwei, drei Jahren wähnten sich viele Europäer und die Amerikaner im Bewusstsein auf der richtigen Seite zu stehen. Gemeinsam wollte man jene in die Schranken weisen, die etwa durch die Annexion der Krim oder durch ein Atomprogramm die Ordnung der Welt durcheinanderzubringen drohten.

Doch diese Zeit ist vorbei. Denn bei der 53. Münchner Konferenz fragten sich am Wochenende viele Regierungschefs, Minister, Generäle und Mitarbeiter führender Thinktanks, was wohl die Gesandten des amerikanischen Präsidenten mitzuteilen hätten. Das manchmal furchtsame Rätselraten fokussierte sich nicht wie üblich auf einen Feind, sondern auf den wichtigsten Verbündeten, die USA. Immerhin hatte Donald Trump seit seiner Amtseinführung im vergangenen Monat deutlich gemacht, dass er keine besonders hohe Meinung hat von den Europäern in der Nato, die sich von den Amerikanern seit Jahrzehnten beschützen ließen, aber keine Bereitschaft zeigten, sich angemessen an den Kosten zu beteiligen.

Was will der US-Präsident?

Wie so vieles, was der US-Präsident sagt, stimmt auch das nicht. Oder es ist nur ein sehr partieller Ausschnitt der Wirklichkeit. Fest steht, Europa muss sich erst an diese neue Administration gewöhnen, man muss den Gesandten des US-Präsidenten versuchen zu entlocken, was denn dieser per Dekret und Tweet regierende mächtigste Mann der Welt eigentlich genau meint. Und bei der dreitägigen Konferenz im Bayerischen Hof mit seinen vielen Anbauten, Nebenräumen und Gängen ist nie ganz klar geworden, ob die Männer, die Trumps Politik in verständliche Sprache zu übersetzen versuchen, es selbst so genau wissen. Oder ob sie die neben dem Weltwirtschaftsforum in Davos wichtigste Konferenz der mächtigsten Menschen der Welt nicht vielleicht auch als Zusammenkunft des verhassten Establishments verachten.

Nehmen wir nur mal James Mattis. Als der noch General der US-Marines war, nannte man ihn „Mad Dog“, verrückter Hund, was als Kompliment gemeint war. Seit vier Wochen ist Mattis nun US-Verteidigungsminister, eines der wenigen Mitglieder in der Regierung Trump, das ohne großen Widerspruch vom amerikanischen Kongress bestätigt wurde. Doch Mattis, der nach der Eröffnungsrednerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach, verbreitete sehr zackig viele Allgemeinplätze, wie den, dass Europa und die USA zusammenstehen würden. Oder nehmen wir den US-Vizepräsidenten Mike Pence , einen ehemaligen Gouverneur und konvertierten Evangelikalen. Der trug zwar seine emotionalen Erinnerungen an eine Reise vor 40 Jahren von Westberlin über den Checkpoint Charlie in die Hauptstadt der DDR vor und er dankte den Deutschen für ihre Solidarität und Blumenberge an der Berliner US-Botschaft nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Aber Inhalte ließ er nicht erkennen.

Einzig die Forderung von Mattis und Pence, dass alle 26 Nato-Staaten in Europa gefälligst zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Nato bereitzustellen hätten, war konkret. Und mit der gingen europäische Politiker höchst unterschiedlich um: Litauens Präsidentin verwies so stolz wie beiläufig darauf, dass ihr Land das bereits mache. Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) forderte, man müsse die Investitionen Deutschlands etwa zur Betreuung von Flüchtlingen mit einberechnen, schließlich seien die Menschen ja auch vor ausländischen Interventionen geflohen. Und Verteidigungsministerin von der Leyen legte defensiv dar, was Deutschland denn schon alles mache, aber sicher sei man darauf vorbereitet noch mehr zu tun.

Geblendet durch Botschaften

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte, es scheine als sei man „geblendet durch Botschaften, die zu glänzen scheinen, aber vor einem Jahr noch gänzlich langweilig gewesen wären“. Es war, als sei man froh, dass endlich mal jemand aus der neuen Administration in Washington einen klaren Satz artikulierte, auch wenn der nicht viel sagte. Vor einem Jahr hieß der US-Präsident noch Obama und der wusste, dass Europa aus amerikanischer Sicht manchmal umständlich, aber wichtig und unersetzbar ist.

Heute reden Europa und Amerika aneinander vorbei. Manchmal konnte man gar den Eindruck gewinnen, es interessiere die Vertreter der USA nicht so wirklich, was man zu sagen hat. Das wurde sehr deutlich bei einem Mittagessen nebst Diskussion, das die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit im Bayerischen Hof organisiert hatte. Edward Swing, der Chef der Internationalen Organisation für Migration, sprach, die Außenminister von Ruanda und Äthiopien erklärten, dass Afrika die meisten Flüchtlinge selbst beherberge und Migration auf dem Kontinent per se nicht falsch sei. Und dann war da noch die UN-Kommissarin für Außenbeziehungen, Frederica Mogherini. Die Italienerin erklärte, dass ohne Migration der New Yorker Bürgermeister keine italienischen Vorfahren gehabt hätte, dass Migration normal sei und gebraucht werde.

An einem Nebentisch saß John Kelly, Trumps Minister für Heimatschutz, der wohl in den nächsten Tagen ein neues Dekret des amerikanischen Präsidenten gegen Einwanderer mittragen wird. Während also die Außenminister aus Afrika und Mogherini sich bei Fischhäppchen und Linsenrisotto alle Mühe gaben, die Ursachen von Flucht und Migration zu erklären, den Umgang Europas und Afrikas mit einer der größten aktuellen Krisen erläuterten, bediente der gelangweilte Minister, auch er ein ehemaliger General, sein Smartphone. Als Mogherini geendet hatte, erhob sich Kelly wortlos und verließ, begleitet von zwei ausgesprochen breitschultrigen Secret Service Agenten, das Restaurant.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger aus Ravensburg spürte die Verunsicherung überall angesichts der „verstörenden Äußerungen aus Washington“ und meinte, auch der US-Vizepräsident habe diese nicht wirklich ausräumen können. „Während in den letzten Jahren auf offener Bühne über die Strategien, wie man mit den Krisen dieser Welt umgehen soll, gestritten und diskutiert wurde, gibt es dieses Mal viele Debatten um das eigene Selbst.“ Wie weit man sich entfremdet hat, mag auch eine Feststellung Bruggers illustrieren, nach der man sich früher mit dem Republikaner John McCain über den Kurs in der Ukraine-Krise gestritten habe und er heute im „Vergleich zu Donald Trump als Stimme der Vernunft gefeiert“ werde.

Authentizität als Strategie

Einzig Angela Merkel ( CDU ) schien in München die richtige Antwort auf die schwer durchschaubaren neuen Partner gefunden zu haben. Gelassen im Ton und energisch in der Sache warb sie für ein einiges Europa und eine multilaterale Weltordnung. Merkel versuchte ganz offensichtlich gegen die am Vortag spürbare Aufgeregtheit um das europäisch-amerikanische Verhältnis mit Authentizität anzugehen. So erklärte sie sowohl ihre Bereitschaft, mehr für die finanzielle Ausstattung der Nato tun zu wollen, gleichzeitig stellte sie fest, dass die Europäer allein nicht den islamistischen Terrorismus und den IS besiegen könnten. Sehr geschickt wob sie indirekte Kritik an US-Präsident Trump ein und betonte, nicht der Islam sei die Ursache für Terrorismus, sondern ein fehlgeleiteter Islam.

Gefragt, ob sie sich Sorgen mache, dass die neue US-Administration Importbeschränkungen einführe, weil zu viele deutsche Autos auf der Fifth Avenue in New York führen, antwortete sie lächelnd an die Adresse des amerikanischen Vizepräsidenten Pence, der möge sich mal hier im Saal umschauen, wie viele Produkte der amerikanischen Firma Apple hier benutzt würden. Von ihr aus könnten also gerne noch mehr deutsche Autos die Fifth Avenue entlangfahren. Da musste auch der harte Pence sich ein Lächeln abringen.

Die Unterschiede ihrer beider Visionen wurden in den Schlusssätzen von Merkel und Pence deutlich: Der US-Präsident erklärte mit dem Pathos eines evangelikalen Predigers, „die USA werden immer euer wichtigster Verbündeter bleiben“. Der Applaus war verhalten. Merkel dagegen schloss mit einem Appell an die anwesenden Politiker und Militärs: „Lassen Sie uns gemeinsam die Welt besser machen, dann wird es für jeden einzelnen von uns auch besser.“ Der Beifall war lang und kräftig.