StartseitePolitikAnalyse der Österreich-Wahl geht weiter

Rechtsruck

Analyse der Österreich-Wahl geht weiter

Politik / Lesedauer: 6 min

Wenn Analysten von einem Rechtsruck im Alpenstaat nach den Wahlen sprechen, schütteln viele Bürger nur den Kopf
Veröffentlicht:16.10.2017, 20:40

Von:
Artikel teilen:

„Ausländische Mitbürger haben sich uns anzupassen und nicht umgekehrt.“ So steht es geschrieben auf der Internetseite der Vorarlberger FPÖ (Freiheitliche Partei Österreich) unter dem Punkt „Integration mutig einfordern“. Der Österreicher im Allgemeinen, und der Vorarlberger im Besonderen, ist ein Freund der klaren Worte.

So auch der Rentner und FPÖ-Anhänger Karl , der am vergangenen Donnerstag, drei Tage vor den Nationalratswahlen, an einem Imbiss in Bregenz am Tresen lehnt. Polternd dröhnt seine Stimme, während der Dönermann mit schwungvoller Eleganz Fleisch vom Spieß säbelt und dabei vielsagend grinst. Der Imbiss liegt an der Durchgangsstraße Richtung Schweiz, die stets verstopft ist von Mautflüchtlingen. Arbeiter und Angestellte der Firmen aus der Umgebung haben Mittagspause. Karl irgendwie auch, obwohl er ja schon seit langer Zeit in Pension ist, in Frühpension, um genau zu sein. „Viel zu früh. Aber am Bau bist’ halt glei’ weg vom Fenster, wenn du’s im Kreuz hast“, sagt der Herr Karl, dessen violett geäderte Wangen mit der bunten Reklame des Imbiss’ um die Wette leuchten.

Wie rechts ist die Mitte?

Aus seiner Sicht taugt Österreich als Vorbild für Deutschland: „Die politische Korrektheit bei euch da drüben ist ja ein Wahnsinn“, antwortet er auf die Frage nach der Stimmung, so kurz vor der Wahl, und nimmt noch einen Schluck aus seiner Bierflasche. Dann stellt er sie bedächtig auf den Tresen, damit er die Hände zum Gestikulieren frei hat. „Bei uns in Österreich ist das so ...“ Er macht eine lange Pause, greift wieder nach seinem Bier und gibt viel kürzer als geplant zu Protokoll: „Bei uns regiert eh bald die FPÖ.“

Den Kanzler stellen wird die Partei nicht, wie sich am Sonntagabend herausgestellt hat. Doch augenscheinlich finden in Österreich Bekenntnisse weit rechts von der früher so bequem zu definierenden Mitte weitaus mehr Gehör als bei uns: Schließlich hat nicht nur die von Haus aus rechtspopulistische FPÖ Zugewinne auf nunmehr 27,4 Prozent der Stimmen erreicht. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) hat – anders als zum Beispiel die CSU in Bayern bei der Bundestagswahl – mit einem restriktiven Kursschwenk in der Flüchtlingspolitik satte Gewinne eingefahren. Unter Sebastian Kurz, der in Österreich so verehrt wird, wie Karl Theodor zu Guttenberg zu seinen besten Zeiten in Deutschland, ist die Ablehnung gegen Geflüchtete und Fremde allgemein in die Mitte gerutscht, oder eben die Mitte nach rechts.

Rechts-Links Diskussionen gibt es gar nicht

So genau kann das Walter Jielg aus Bregenz auch nicht sagen. Und es kümmert den Unternehmer sowieso nicht besonders. „Solche Diskussionen mit dem Rechts oder Links gibt es bei uns gar nicht“, sagt Jielg und schließt dann den Satz an: „Eure AfD hat in Österreich schon immer FPÖ geheißen.“ Ob er die Freiheitlichen selbst wähle? „Sagen wir so: Mit den Grünen können Sie gegen die Flüchtlingskrise nichts ausrichten, mit den Roten auch nicht.“ Viel bleibt da nicht mehr übrig.

Und obwohl Walter Jielg in seiner gepflegten Art das glatte Gegenteil von Herrn Karl aus dem Imbiss darstellt, gehört doch auch er zu den Wählern der annähernd 60 Prozent, die ihre Stimme Parteien gegeben haben, die entweder offen ausländerfeindlich auftreten, oder sich des galanten Schwiegermütter-Ideals Sebastian Kurz bedienen. Der – so schreiben es seriöse Zeitungen unisono – viel zu intelligent ist, als dass er selbst an die diffusen Ängste einer Überfremdung glauben würde, die er im Wahlkampf fleißig geschürt hat.

Walter Jielg ist sicher keiner von denen, die je mit Nazi-Parolen auffallen würden. Es liege ihm die Kultur seines Landes sehr am Herzen, sagt er glaubhaft. Es ärgert ihn, dass Menschen von „ganz woanders“ in Österreich – selbst wenn sie schon Jahre da seien – nicht auf der Straße grüßten. „Das ist doch das Erste, wenn es um Integration geht: Dass man sich gegenseitig grüßt.“ Tatsächlich wird mit jedem Gespräch unter Österreichern deutlich, dass die Grenzen zwischen Patriotismus und Nationalismus nicht permanent ausverhandelt werden, wie das in Deutschland der Fall ist.

Tradition in Blau

Das Phänomen des Rechtspopulismus in der Alpenrepublik hat eine lange Tradition und ist auch in der Vergangenheit schon deutlich offener und bürgerlicher zutage getreten als beim großen Nachbarn BRD, zumindest vor den Zeiten der AfD. Jörg Haider, der als Vorsitzender der FPÖ mindestens so viel Strahlkraft hatte wie Franz-Josef Strauß für die CSU in Bayern, lobte bereits 1995 öffentlich die Veteranen der Waffen-SS auf einem Kameradschaftsabend. Zu der Zeit saß ein Alexander Gauland, der vor der jüngsten Bundestagswahl als AfD-Chef anregte, stolz auf die deutschen Wehrmachtssoldaten zu sein, noch als braver CDU-Hinterbänkler im Bonner Parlament.

Wer in Vorarlberg Menschen finden möchte, die jenseits der 60 Prozent FPÖ und ÖVP etwas anderes gewählt haben, muss sich schon eine Weile durchfragen. Dabei trifft er auf junge Leute wie zum Beispiel die 19-jährige Jana, deren Kreuzchen der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) gehört. Und dann gibt es da noch die Familie Gratzer. Sie lebt in Hohenweiler, dem westlichsten Dorf Vorarlbergs, das sich ganz nah an die deutsche Grenze zum Landkreis Lindau schmiegt.

Dem Herzen folgen?

Ein Einfamilienhaus inklusive Rasen mit gepflegtem Kurzhaarschnitt. Ein Mädchen, ein Junge. Mama Lehrerin, Papa Standesbeamter. Mittelschicht, politisch interessiert, besonnen und ein bisschen verzweifelt, denn: „Österreich gibt gerade kein schönes Bild ab“, sagt Martin Gratzer und seine Frau Sylvia nickt. Ein Land, um das sie sich offenbar Sorgen machen. Mit dem zweiten Platz für die FPÖ sind die schlimmsten Befürchtungen der Familie eingetreten. Vor der Wahl waren sie sich noch nicht sicher gewesen, ob sie ihrem Herzen folgen oder strategisch abstimmen sollen, um mit dem Kreuz bei der SPÖ Schwarz-Blau zu verhindern. Das könnte neben der Aufspaltung der Grünen auch ein Teil der Erklärung sein, warum diese einen solch drastischen Absturz um fast zehn Prozentpunkte erleiden mussten - und künftig nicht mehr im Parlament vertreten sind.

Unabhängig von den parteipolitischen Vorlieben – fast jeder Angesprochenen – ob links, Mitte, rechts und noch rechter: Kaum jemand lässt ein gutes Haar an der politischen Klasse insgesamt. Da macht auch Gabriele Mons aus Bregenz keine Ausnahme: „Wir machen einen verheerenden Eindruck.“ Sie schäme sich für den politischen Betrieb in Wien, wie es auch der Unternehmer Wolfgang Jielg vor ihr schon – mit andern Worten zwar – ausgedrückt hatte. Insbesondere die Schlammschlacht der Sozialdemokraten (SPÖ) um Noch-Kanzler Christian Kern, der als Kampagnenstrategen mit Silberstein eher eine Dreckschleuder statt eines Beraters im Team hatte, vertieft die Kluft zwischen Volk und Volksvertretern.

Wem das Kreuzchen von Gabriele Mons am Ende gehört, bleibt das Geheimnis der Mittvierzigerin. „Das ist und bleibt Privatsache. Bei der FPÖ aber sicher nicht.“ Das würde der Herr Karl vom Imbissstand aber gar nicht so gerne hören. Denn er hat sein Kreuz den Freiheitlichen gegeben, wenn er es am vergangenen Sonntag rechtzeitig vom Imbisslokal ins Wahllokal geschafft haben sollte.