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Reformversprechen

„Die 35-Stunden-Woche ist ein schönes Märchen“

Politik / Lesedauer: 5 min

Jörn Bousselmi, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, zu den Wirtschaftsbeziehungen mit Frankreich
Veröffentlicht:08.05.2017, 20:46

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Jörn Bousselmi erwartet, dass der künftige französische Präsident Emmanuel Macron seine Reformversprechen einhält und verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmer schafft. „Daran hat es in den vergangenen Jahren häufig gefehlt“, sagte er im Gespräch mit Claudia Kling .

Herr Bousselmi, haben Sie den Wahlsieg von Emmanuel Macron gefeiert?

Ich war nicht sehr überrascht, man hat dieses Ergebnis erwartet. In Deutschland waren die Befürchtungen wohl größer als in Frankreich . Aber Macrons Sieg ist natürlich ein positives Signal für Europa.

Wo liegen die größten Probleme der französischen Wirtschaft?

Das größte Problem der französischen Wirtschaft ist natürlich die hohe Arbeitslosigkeit, die allgemein bei zehn Prozent liegt, bei den Jugendlichen sogar bei bis 25 Prozent. Frankreich hat in vielen Bereichen die Industrialisierung zurückgefahren, das macht sich bemerkbar auf den Weltmärkten. Die Produkte sind zum Teil nicht mehr konkurrenzfähig. Die Unternehmen sind durch hohe Lohnnebenkosten und Abgaben belastet, unter denen natürlich auch die Wettbewerbsfähigkeit leidet.

Was sind die Gründe für die hohe Jugendarbeitslosigkeit? Ist es die 35-Stunden-Woche, unter der die Effizienz leidet?

Das kann ich so nicht bestätigen. Die 35-Stunden-Woche ist ein Symbol, ein schönes gesetzliches Märchen, das sich hartnäckig hält. Die Franzosen arbeiten im Schnitt deutlich mehr, durchaus auch bis zu 40 Stunden in der Woche. Diese Überstunden müssen aber bezahlt werden, insofern ist es eine Kostenfrage. Sie können in Frankreich abends um 19 oder 20 Uhr auch noch leitende Angestellte in einem Unternehmen antreffen, danach müsste man in Deutschland suchen. Gegen die Jugendarbeitslosigkeit setzt Macron vor allem auf die Stärkung der schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung.

Inwiefern kann Deutschland den künftigen Präsidenten Macron unterstützen?

In erster Linie muss Macron in Frankreich seine Hausaufgaben machen und das, was er angekündigt hat, auch umsetzen. Er will im Bildungsbereich neue Akzente setzen, er will für eine höhere Flexibilisierung im Arbeitsmarkt sorgen und Unternehmen entlasten. Für Europa ist es wichtig, dass Deutschland und Frankreich gemeinsame Visionen und Ziele entwickeln und so das gegenseitige Vertrauen stärken. Aber diese gemeinsamen europäischen Projekte müssen dann auch umgesetzt werden. Sonntagsreden wurden lange genug gehalten.

Deutschland wird ja immer wieder vorgeworfen, wirtschaftlich so stark zu sein, dass es den anderen Ländern in Europa die Luft zum Atmen nimmt.

Macron hat den deutschen Außenhandelsüberschuss auch stark kritisiert und bemängelt, dass dies zu Ungleichgewichten führt. Insofern gibt es auf französischer Seite eine klare Erwartungshaltung an die Deutschen: Deutschland soll mehr im eigenen Land investieren und so die Binnenwirtschaft ankurbeln. Frankreich braucht aber keine Hilfe im klassischen Sinne, das Land muss sich selbst stärken. Frankreich und Deutschland müssen auf Augenhöhe miteinander sprechen und so die Europäische Union voranbringen, damit Europa in der globalisierten Welt ein starker Partner bleibt.

Macrons Forderung nach einem gemeinsamen Haushalt in der Eurozone ist in Deutschland auf Skepsis gestoßen. Will Frankreich seine Schulden umverteilen?

Wenn man in einer Gemeinschaft ist, hat man auch eine Gemeinschaftskasse, aus der gemeinsame Projekte finanziert werden. Voraussetzung dafür ist gegenseitiges Vertrauen. In dem Maße, wie Frankreich seine Reformfähigkeit unter Beweis stellt, wird auch das Vertrauen in Deutschland wieder wachsen, und dann kann man eher über solche Projekte sprechen.

Glauben Sie, dass Macron es schafft, die französische Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen?

Falls es Macron gelingen sollte, das Haushaltsdefizit weiter einzugrenzen und die Staatsverschuldung nicht weiter steigen zu lassen, ist schon ein großer Schritt getan. Zunächst geht es darum, das Wirtschaftswachstum zu stärken und die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Die Frage, ob die Staatsverschuldung dann über oder unter 95 des Bruttoinlandsprodukts liegt, ist ein wichtiges Thema für die Zukunft.

Aus deutscher Perspektive gilt der öffentliche Sektor in Frankreich mit seinen Hunderttausenden Staatsangestellten als kaum reformierbar. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein. Da wird etwas passieren. Macron hat bereits angekündigt, in einem ersten Schritt den Staatsapparat zu verschlanken und bis zu 120 000 Stellen zu streichen oder auslaufen zu lassen. Er will der Überdimensionierung und der Ineffizienz des staatlichen Apparates zu Leibe rücken – und das wird auch von der Bevölkerung mitgetragen.

Und wie stark bremsen die Gewerkschaften die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs?

Die Gewerkschaften in Frankreich sind politisch stark und nehmen erheblichen Einfluss auf viele Bereiche der öffentlichen Versorgung. Deshalb wird es mit Sicherheit eine große Herausforderung, ihre Macht zu beschränken beziehungsweise sie als konstruktive Verhandlungspartner an einen Tisch zu bekommen. Macron hat angekündigt, das Arbeitsrecht zu flexibilisieren, das berührt natürlich die Kernbereiche der Gewerkschaftsarbeit. Aber: Auch in Frankreich verändert sich einiges in der Gewerkschaftswelt – radikale Gewerkschaften haben weniger Zulauf, gemäßigte sind erstmals repräsentativste Kraft im privatem Sektor. Die Bevölkerung erwartet Veränderung, und die erwartet sie nicht nur von der Politik und den Unternehmen, sondern auch von den Gewerkschaften, um sachgerechte Lösungen zu haben.

Was hindert deutsche Unternehmen daran, mehr in Frankreich zu investieren?

Zunächst einmal sind die deutschen Unternehmer seit Jahren die größten, arbeitsplatzschaffenden Investoren in Frankreich. Aber es gibt natürlich auch Kritikpunkte, unter anderem die hohe Steuerlast und die zu geringe Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Aber genau da will Macron ansetzen. Um die Investitionsbedingungen weiter zu verbessern, wäre vor allem eine gewisse Stabilität in den Rahmenbedingungen notwendig. Es kann eigentlich nicht sein, dass Gesetze beschlossen, halb umgesetzt und dann wieder zurückgenommen werden. Investoren brauchen Planbarkeit und Verlässlichkeit. Daran hat es in den vergangenen Jahren häufig gefehlt.