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Computerspiele gegen Schizophrenie und Autismus

Panorama / Lesedauer: 4 min

Immer häufiger Laien helfen Wissenschaftlern bei der Asuwertung komplexer Bilder und Daten
Veröffentlicht:19.05.2014, 15:34

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Level geschafft, die nächste Spielstufe wird schwieriger. Der Spieler am Computer muss Kanäle verbinden und Felder einfärben.Was daherkommt wie ein Computerspiel ist produktive Forschungsarbeit. Mit dem Online-Spiel „Eyewire“ helfen dessen Nutzer dabei, das Gehirn zu kartieren. Sie verfolgen per Mausklick in einem Gewühl aus unzähligen Nervensträngen den Lauf einer einzelner Nervenzelle und decken so die Struktur des Gehirns auf. Es ist eines der Beispiele für eine Methode, die vor allem bei der Auswertung von Bildern und großen Datenmengen immer wichtiger in der Wissenschaft wird Citizen Science, Bürgerwissenschaften. Dabei helfen interessierte Laien Forschern, meisten via Computer und Internet.

Mensch schlägt Maschine

Der Hirnforscher Moritz Helmstädter vom Max-Planck-Institut in Martinsried hat mit anderen deutschen Forschern das Datenmaterial für das Spiel „Eyewire“ von Sebastian Seung vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei Boston bereitgestellt. Es handelt sich dabei um Aufnahmen von einem Teil eines Mäusegehirns, die durch extrem leistungsfähige Mikroskope entstanden sind. Diese komplizierten Datensätze können selbst modernste Computer nicht auswerten, sagt Helmstädter. „Wir sind gewohnt sind, dass Computer alles können, aber hier sind wir an Grenzen gestoßen, was Computer in Sachen Bildverarbeitung leisten.“

Computer haben Schwächen

Helmstädter erklärt dies am Beispiel von Passbildern: „Sollen Passfotos vom Computer erkannt werden, müssen sie biometrisch sein. Die Person auf dem Bild darf nicht einmal lächeln und muss gerade in die Kamera schauen, damit sie zugeordnet werden kann. Ein Mensch dagegen würde ein Gesicht auch erkennen, wenn es zum Beispiel halb von einem Baum verdeckt wäre.“ Auch die Strukturen im Gehirn sind so kompliziert, dass Computer sie nicht mehr entwirren können. Deswegen holten sich die Neurowissenschaftler zunächst die Hilfe hunderter Studenten und gingen im Sommer 2012 mit „Eyewire“ an die Öffentlichkeit.

Ein sogenannter Laienforscher muss außer Englisch nichts können, um einem Computer überlegen zu sein und wissenschaftliche Arbeit zu betreiben. Helmstädter ist sich aber durchaus bewusst, dass auch Menschen Fehler machen. „Die machen aber die besseren Fehler.“ Da zum Beispiel nicht alle Menschen gleichzeitig müde sind, reicht es, dieselbe Nervenzelle einfach von zwei oder drei Spielern bearbeiten zu lassen – somit sind Fehler einfach ausgemerzt.

Die Forschung zieht nicht erst seit „Eyewire“ den Normalbürger zu Rate. Seit sich die Menschheit für Fundstätten der Geschichte interessiert, haben faszinierte Laien gegraben, gesammelt, analysiert und dienten so als Quellen für Archäologen. Im letzten Jahrhundert rückte vor allem die Astronomie in den Fokus der Bürgerwissenschaft. Heute werden auf Internetplattformen wie SciStarter oder Zooniverse rund um die Welt Tausende verschiedene Projekte für Laienforscher angeboten: Da können Interessierte helfen, die radioaktive Verseuchung im Pazifischen Ozean rund um Fukushima offenzulegen, Pilze auf ihre Giftigkeit untersuchen oder die Verwandtschaft von Wörtern definieren.

Spaß am Forschen steigern

Um möglichst viele Menschen zur Mithilfe zu bewegen will Helmstädter den Spaßfaktor etwa bei den Online-Spielen erhöhen. Nach „Eyewire“ hat seine Arbeitsgruppe nun selbst ein Projekt zur Kartierung eines Mäusegehirns entwickelt: „Brainflight“ heißt das online-Spiel, das sich im Moment noch in der Testphase befindet und in das die Macher viel investiert haben, um es attraktiv für den Nutzer zu gestalten.

Sinnvolles Ziel beim Zocken

Ein weiterer Anreiz: Beim Spielen leisten die Bürgerforscher etwas Sinnvolles. Helmstädters Arbeitsgruppe etwa geht in der Neurologie fundamentalen Fragen des Menschseins nach: Wie funktionieren Erinnerungen? Wie erkennt man Freunde? Wie entstehen aus elektrischen Impulsen Wahrnehmungen? Das äußerst komplizierte Netz des menschlichen Nervensystems mit mehr als 100 Milliarden Nervenzellen, die aneinandergereiht einen Kanal von vielen Millionen Kilometer Länge geben würden, ist noch kaum erforscht.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt vielleicht in der Laienforschung. „Die Bürgerwissenschaft in Kombination mit neuester Mikroskoptechnik bedeutet eine Revolution für die Hirnforschung“, schwärmt Helmstädter. Um das sogenannte Konnektom, also die gesamten Verbindungen im Nervensystem, zu entschlüsseln, sind „Eyewire“ oder „Brainflight“ ein erster Schritt, auch wenn derzeit erst noch Mäusegehirne kartiert werden.

Helmstädter wagt einen Blick in die Zukunft: „Wenn Sie mich nach meinen Hoffnungen fragen: Irgendwann können wir vielleicht die Ursachen für die wichtigsten und häufigsten psychischen Erkrankungen finden. Dann könnte man beginnen, Autismus oder Schizophrenie zu verstehen.“

Links zum Mitforschen

Das Spiel „Eyewire“ ist unter www.eyewire.org erreichbar, Nachfolger „Brainflight“ unter www.brainflight.org

Auch bei der Suche nach dem im April verschollenen Flugzeug MH 370 können interessierte Laienforscher mithelfen. Das US-Unternehmen Tomnod, das Satellitenbilder für Online-Forschungsprojekte in Netz stellt, hat Aufnahmen aus dem Suchgebiet im Indischen Ozean veröffentlicht. Nutzer können die Bilder durchklicken und Treibgut markieren: www.tomnod.com

Mehr als eine Million Menschen haben sich bereits bei Zooniverse registrieren. Gegründet von der US-Organisation Citizen Science Alliance sind dort Tausende Projekte gesammelt, an denen sich Bürger beteiligen können: www.zooniverse.org

In Deutschland ist im April ebenfalls ein Portal mit Projekten an den Start gegangen, gefördert von der Bundesregierung: www.buergerschaffenwissen.de