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Wenn sich der Hund und die Katze vegan ernähren müssen...

München / Lesedauer: 7 min

Sich ohne tierische Produkte zu ernähren, entscheiden Menschen freiwillig – Manche ernähren aber auch ihre Tiere entsprechend
Veröffentlicht:13.07.2013, 14:15

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„Was wollen Sie haben? Veganes Katzenfutter?“, fragt die Verkäuferin im Geschäft für Heimtierbedarf, die offenbar allein schon die Frage nicht fassen kann. Sie schüttelt den Kopf, zeigt dann aber doch zum Gang mit den Mahlzeiten für die Katze: Es gibt Futter für junge Kater und alte Katzen, für dicke Katzen zum Abnehmen, für krankheitsgeschwächte zum Zunehmen. Es gibt welches in Bioqualität und eins mit Meeresfrüchten. Es gibt welches aus Bröckchen mit Soße, in Gelee, als zarte Häppchen mit echtem Fleisch, Trockenes, eines sogar, das angeblich auch für Menschen angenehm riecht. Und schließlich eines für Katzen mit Blähungen. Aber fleischlos? „Es ist ja Nahrung für Katzen und kein Kaninchenfutter“, sagt die Verkäuferin verlegen und lacht zögerlich über den eigenen Scherz.

Bissige Diskussion – auch unter Veganern

Stefanie Haupt aus München ist jemand, der über so eine Bemerkung überhaupt nicht lachen kann. Denn ihre Liebe zum Tier geht weit darüber hinaus, Mitgeschöpfe wie Schwein, Rind oder Huhn nicht nur nicht zu töten und zu essen. „Ich lehne die Ausbeutung von Tieren insgesamt ab“, sagt sie und verschränkt die Arme vor der Brust. Logische Konsequenz für die Frau: ein veganes Leben ohne jedwedes Produkt, das von Tieren stammen könnte. Kein Leder, keine Eier, keine Milch und Fleisch schon gar nicht. „Wir haben uns aus ethischen Gründen für die vegane Lebensweise entschieden, möchten diese aber niemandem aufzwingen“, betont André Pix, der Verlobte von Stefanie Haupt. Trotz einer wachsenden Zahl von Veganern in Deutschland gibt es nicht viele Geschäfte für rein vegane Produkte. Eines davon betreibt das Paar, den „Radixversand“ nebst einem Einkaufsmarkt – ausgerechnet im Münchner Schlachthof-Viertel. Während drinnen die Kunden aus dem komplett tierproduktfreien Sortiment einkaufen, fahren mehrmals am Tag große Schlachtviehtransporter vor dem Schaufenster von „Radix“ vorbei. Ein Regal im Geschäft stößt immer wieder – selbst unter Veganern – bissige Diskussionen an. Denn in diesem Regal geht es nicht mehr um den freien Willen von Menschen, sondern um fleischlose Tiernahrung für Hunde und Katzen. Und damit um eine Glaubensfrage. „Es kommt immer wieder vor, dass sich auch fleischlos lebende Leute darüber aufregen“, bestätigt André Pix. Gut hörbar erregten diese sich über das vegane Tierfutter. „Uns darauf ansprechen und mit Argumenten diskutieren, will aber kaum jemand“, sagt Stefanie Haupt.

Gefahr der Mangelversorgung

Viel zu diskutieren gibt es aus Sicht von manchem Experten für Tierfutter da auch nicht. Professor Jürgen Zentek von der Freien Universität Berlin zum Beispiel ist so einer und stellt ohne Umschweife fest: „Sowohl Hunde als auch Katzen sind Beutetierfresser.“ Es bestehe aus medizinischer Sicht „eine große Gefahr“ einer Mangelversorgung ohne Fleisch. „Und die Frage nach der natürlichen Nahrungspräferenz von Katzen und Hunden wird dabei übergangen.“ Das zeige sich allein schon daran, dass beide Tiergruppen, wenn sie die freie Wahl haben, Nahrung mit tierischen Bestandteilen bevorzugten. Daraus lässt sich das Fazit ableiten, dass Katzen- oder Hundefutter ohne Fleisch nicht artgerecht ist, oder?

„Um Hunde und Katzen artgerecht zu ernähren, müssten sie lebende Mäuse, Vögel, Ratten oder andere Kleintiere bekommen – in der freien Natur würde keine Katze und kein Hund zerstückelte und verarbeitete Tiere erhalten“, argumentiert indes Harald Ullmann, der zweiter Vorsitzender der Tierrechte-Organisation Peta Deutschland ist. Peta ist umstritten. Nicht nur, weil der Verein Tiere radikaler schützt und dem Menschen faktisch gleich stellt, sondern auch wegen aufsehenerregender Kampagnen. In einer Plakat-Aktion stellte Peta zum Beispiel Bilder aus Konzentrationslagern den Fotos der gegenwärtigen Nutztierhaltung gegenüber und schrieb: „Der Holocaust auf Ihrem Teller.“ Gerichte haben die Plakate inzwischen verboten.

Möglich, wenn ausgewogen

Einen etwas differenzierteren Blick auf die Gretchenfrage „Fleisch oder nicht Fleisch“ wirft Astrid Behr vom Deutschen Tierärzteverband. Eine offizielle Position zu fleischloser oder gar veganer Tiernahrung habe der Verband zwar nicht, aber: „Hunde vegetarisch zu ernähren, ist theoretisch möglich. Voraussetzung dafür ist aber Ausgewogenheit. Vegan geht gar nicht. Bei Katzen erst recht nicht.“ Diese seien essentiell auf bestimmte Nährstoffe aus dem Muskeleiweiß unbedingt angewiesen, etwa auf Taurin. „Es drohen andernfalls ganz schnell Mangelerscheinungen.“

André Pix lächelt und schüttelt dabei den Kopf. Er greift ins Regal im Einkaufsmarkt „Radix“ und präsentiert eine Dose des Katzennahrungsergängzungsmittels „Vegecat“. Vorn drauf reckt sich eine recht glücklich aussehende Katze. „Mit diesem Nahrungszusatz verhindert man Mangelerscheinungen.“ Ein ähnliches Produkt findet sich auch für den veganen Hund. Vegane Rezepte, um das Futter komplett selbst zuzubereiten, sind in der Packung enthalten. Das Rezept „Kichererbsen Plus“ geht so: 335 Gramm Kichererbsen aus der Dose erhitzen, abtropfen und mit einer Gabel zerdrücken. 180 Gramm Tofu kleinschneiden und mit dem Erbsenmus mischen. 45 Gramm Hefepulver, 1 Esslöffel Öl, 1/8 Esslöffel Salz und 15 Gramm vom Katzennahrungsergänzungsmittel dazu – fertig ist der Drei-Tage-Vorrat veganes Futter. Jedenfalls optisch und vom Geruch her kann diese Nahrung gegen das industrielle Massenprodukt aus der Fleischverarbeitung durchaus punkten – zumindest aus menschlicher Sicht. Aber tut das der Katze auch wirklich gut?

Erste Studien in den 50er-Jahren

„Erfahrung mit vegetarischer und veganer Ernährung von Tieren gibt es bereits seit vielen Jahren: Erste Studien zu vegetarischen Hunden gab es schon seit den 1950er-Jahren“, erklärt Harald Ullmann von Peta. Er verweist anschließend auf die Ergebnisse einer US-amerikanischen Untersuchung aus dem Jahr 2006. Datengrundlage lieferten 300 Hunde, von denen fast zwei Drittel sogar vegan ernährt wurden. Der Studie zufolge „schien es für den Hund erheblich von Vorteil zu sein, wenn er einen größeren Teil seines Lebens vegan oder vegetarisch verbracht hatte“. Die Autoren der Studie schließen daraus, dass „je länger ein Hund vegan oder auch nur vegetarisch lebt, umso besser sind seine Chancen, bei guter bis ausgezeichneter Gesundheit zu sein“.

Streng wissenschaftlichen Kriterien kann die Studie aber nicht standhalten. Dafür wurden zu wenige Hunde untersucht, die auch noch ganz unterschiedlich lange fleischlos ernährt wurden, kein identisches Futter bekamen und zudem auch noch vollkommen verschiedenen Rassen angehörten, Doggen genauso wie Dackel. So liefert die Untersuchung lediglich Hinweise, aber keine Beweise. Und sie räumt ein, dass „viele Gesundheitsprobleme bei vegetarisch ernährten Hunden (Hautprobleme, Arthritis, Verdauungsstörungen) wahrscheinlich durch die Gabe von Verdauungsenzymen verhindert werden“. Wahrscheinlich. Nicht sicher. Darüber hinaus sagt die Erhebung nichts aus in Bezug auf Katzen.

Für Stefanie Haupt und André Pix zählen in erster Linie die Erfahrungen aus den Reihen ihrer Kunden bei „Radix“. Und natürlich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. „Wir kennen eine Menge Beispiele, die zeigen, dass sich Tiere mit der veganen Kost sehr wohlfühlen und lange leben“, sagt Stefanie Haupt. „Außerdem stimmt es einfach nicht, dass Hunde ausschließlich Fleischfresser sind“, wirft André Pix ein. Der Hund sei sehr lange schon domestiziert und ein Allesfresser. „Wie wir.“

Ideologischer Riss

Und doch geht durch die Veganer-Szene ein ideologischer Riss, der sich nicht so leicht schließen lässt: Auf der einen Seite stehen jene, die nicht damit leben können, selbst keine Tiere auszubeuten, während sie dem eigenen Haustier aber das verarbeitete Fleisch von Schlachtvieh vorsetzen. Die andere Gruppe erkennt trotz eigener veganer Haltung an, dass Katzen und Hunde eben ihrer Art gemäß lieber Fleisch fressen, als Kichererbsenbrei mit Nahrungsergänzungsmitteln. Beide Gruppen leben in einem Dilemma.

Die Lösung? Gibt es nicht, was sich sogar an den Worten von Peta-Aktivist Harald Ullman ablesen lässt: „In einer perfekten Welt gäbe es das Konzept ,Haustier‘ nicht – alle Tiere könnten frei ihren natürlichen Bedürfnissen nachkommen.“ Und weiter: „Bei der Entscheidung, ob ein neuer (tierischer) Mitbewohner aufgenommen werden kann, sollten immer die Bedürfnisse der Tiere im Vordergrund stehen – und nicht die eigenen Wünsche.“ Die Krux dabei: Was das natürliche Bedürfnis des Tieres ist, das interpretiert letztendlich wieder streitbar der Mensch.