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Freiluftaufführung

Verdis „Aida“ auf der Wilhelmsburg in Ulm aufgeführt

Kultur / Lesedauer: 4 min

Verdis „Aida“ auf der Wilhelmsburg in Ulm aufgeführt
Veröffentlicht:05.06.2017, 18:36

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Schwerbewaffnete Wachen mit kugelsicheren Westen gehen in Position und richten ihre Maschinengewehre auf das Publikum. Matthias Kaiser, der Giuseppe Verdis drittletzte Oper „Aida“ jetzt für Freiluftaufführungen im Innenhof der Ulmer Wilhelmsburg inszeniert hat, deutet damit gleich zu Beginn seine gesellschaftskritische Lesart des Stücks an. Zwangsarbeiter mit blaugrauen Kitteln und Hosen schuften unten im Hof, während oben auf einem roh gezimmerten Holzgerüst Herrenmenschen in moderner Festgarderobe und Priester in „ägyptischen“ Fantasieroben gelangweilt Sekt trinken.

Kaiser hat die Handlung vom 19. Jahrhundert vor Christus in unsere Zeit versetzt. Die Geschichte vom jungen ägyptischen Heerführer Radames, der die als Sklavin verschleppte äthiopische Königstochter Aida liebt, spielt bei ihm in einer exotischen Bananenrepublik. Dass Verdi einst gezögert hat, eine Prachtoper zur Eröffnung des Suezkanals zu schreiben, merkt man der später gegen erkleckliches Honorar doch noch komponierten „Aida“ an. Bei aller pompösen Theatralik, mit der hier das Schema der Grand Opéra bedient wird, bleibt seine Reser-viertheit gegenüber der Siegermacht des Stücks deutlich.

Verdis Kritik am deutsch-französischen Krieg von 1870 und an klerikaler Mitschuld ist denn auch in das Libretto von Antonio Ghislanzoni eingegangen. Gleichwohl schwankt das erkennbar im Fahrwasser von Giacomo Meyerbeers fünf Jahre vorher uraufgeführter „Afrikanerin“ konzipierte Musikdrama zwischen Affirmation und Skepsis. Das kann auch die schwarzgekleidete, grimmig posierende Polizeigarde nicht vertuschen, die bei der Ulmer Produktion das Arbeitervolk ständig in Schach hält und jederzeit auf dem Sprung ist, etwaige Aufstände brutal niederzuschlagen.

Selbst als Jubelpublikum bei prunkvollen Staatsakten werden die Untertanen von den martialisch ausgerüsteten Bodyguards stets auf Distanz zur Oberschicht gehalten. Zur Beschwörung nationaler Schicksalsgemeinschaft im bevorstehenden Krieg müssen sie ihre Hände mit einem Messer ritzen lassen. Ihr Blut wird in Kübeln aufgefangen und in einer dubiosen Zeremonie mit dem der Herrscher und der Isis-Priester vermischt. Unfreiwillige Komik entsteht freilich, wenn danach die Arbeiterfrauen ihren Männern tröstend über die verbundenen Hände streichen.

Effektvolle Beleuchtung

Britta Lammers’ Bühne und der Kostümmix von Angela C. Schuett lassen keinen Zweifel, dass diese „Aida“ in einer heutigen Militärdiktatur spielt. Zwei verhüllte Statuen liegen am Boden, eine steht aufrecht hinten auf der Bühne. Später wird sie dort von den beiden anderen flankiert. Am Ende entpuppen sich diese als Sarkophage für die todgeweihten Liebenden. Die Mauern und Fensteröffnungen der Wilhelmsburg sind effektvoll blau oder rot angeleuchtet. Beim Nil-Akt flackert grünlich-gelbes Licht (Marcus Denk) über den Hof.

Aida tritt in weißen, Amneris in schwarzen Kleidern mit rötlichen Haaren auf. Derlei plakative Symbolik stempelt indes die Rivalin der Titelheldin zur bösen Hexe und tut der Figur nicht gut. Spektakuläre Gruselstimmung verbreiten vier riesige, mit Fleischfetzen behängte Gerippe samt Schwert, Gewehr und Gasmaske. Weißgekleideten Mädchen mit Blumenkränzchen im Haar und schwarzen Augenbinden führen die tapernden Ungeheuer herein, die szenisch für einen Höhepunkt der Produktion sorgen.

Stimmlich starke Darsteller

Anderen Regieideen fehlt die Einbindung in ein Gesamtkonzept. So legt sich etwa Aida in suizidaler Anwandlung wie Kleopatra eine Giftschlange um den Hals, die ihr dann vom Vater kurzerhand abgeknöpft und in einem Sack entsorgt wird. Personenführung und Choreografie wirken streckenweise steif. Musikalisch gelingt hingegen eine großartige Darbietung. Valda Wilson meistert den grandios komponierten Loyalitätskonflikt Aidas ergreifend mit glasklarem Sopran. Eric Laporte (Radames) gehen Verdis Kantilenen wie schmelzendes Gold von der Kehle.

Auch Anna Danik (Amneris), Kwang-Keun Lee (Amonasro), Wooram Lim (König von Ägypten) und Martin Gäbler (Oberpriester) bewältigen ihre Partien in diesem Drama um selbstzerstörerische Liebe glänzend. Eindrucksvoll tönen die von Hendrik Haas einstudierten Chöre. Bei Timo Handschuh sind die Fäden der Partitur in sicheren Händen. Bei pauken- und blechbewehrten Fortissimi klingt das Orchester etwas dumpf aus den Boxen, doch ansonsten lässt die Verstärkung des Tons (Daniel Hatvani) nichts zu wünschen übrig.

Weitere Vorstellungen: 6., 8., 11., 13., 15., 18., 21., 27. und 29. Juni, 1., 5., 7., 9., 11., 13. und 15. Juli. Karten unter: www.theater-ulm.de