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Theaterkritik

Theaterkritik: „Mir nämeds uf öis“ am Schauspielhaus Zürich

Kultur / Lesedauer: 3 min

Marthalers fulminante Kapitalismus-Groteske „Mir nämeds uf öis“ in Zürich
Veröffentlicht:17.12.2017, 13:34

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Was wäre, wenn all die miesen Machenschaften und Eigenschaften des entfesselten Kapitalismus ausgelagert würden in eine eigene Gesellschaft? So wie faule Kredite in einer Bad Bank? Christoph Marthaler und sein wundervolles Ensemble führen es am Schauspielhaus Zürich vor.

„Mir nämeds uf öis“ – auf Hochdeutsch: Wir nehmen es auf uns – ist ein typischer und ein gelungener Marthaler-Abend: skurril, grotesk, witzig und bei allem Klamauk auch immer melancholisch. Jubel im Schauspielhaus. Und eine triumphale Rückkehr für den Theatermann, der dort von 2000 bis 2004 als Intendant wirkte, ehe er reichlich brüsk abgesetzt wurde, weil die Einnahmen angeblich nicht stimmten.

Ab ins All

Das Schauspielhaus Zürich spürt den Untiefen der Macht nach und landet in Höhenorten. Während die Dokumentaristen von Rimini Protokoll in „Weltzustand Davos“ den CEO und Politikern auf den Gipfel des World Economic Forum in die Schweizer Alpen folgen, verlädt Marthaler seine Truppe in einen Zeppelin. Aus Friedrichshafen, so ist dem Programmheft zu entnehmen, bekam Bühnenbildner Duri Bischoff viele Anregungen für den eleganten Salon, in dem sich die Passagiere von Flug MNUÖ-SW 17 versammeln.

Sie haben kein Ziel, aber eine Aufgabe. Mit ihnen wird der entfesselte Finanzkapitalismus entsorgt. Und so treffen sich hier im geschlossenen Raum, die Seile sind gekappt, ein korrupter Baulöwe (Gottfried Breitfuß) und ein ebensolcher Vertreter der internationalen Fußsport-Organisation „FAFI“ (Nicolas Rosat), ein Start-up-Unternehmer „für Scheißestürme“ (Raphael Clamer), ein Fleischgroßhändler ( Jean-Pierre Cornu ), der nun Pfarrer geworden ist, oder ein Whistleblower und Damenfriseur aus Bern (Ueli Jäggi), der den Südamerikanern das Wasser abgräbt. Ein ebenso groteskes Damentrio mit Elisa Plüss, Nikola Weisse und Susanna-Marie Wrage sowie die Sängerin Tora Augestad komplettieren die seltsame Besatzung des Luftschiffs auf seiner Fahrt in ferne Galaxien, durch die am Ende schwerelos Schinken schweben.

„Mir nämeds uf öis“ ist so ziemlich das Gegenteil einer akademisch-papierenen Kapitalismuskritik. Es ist vielmehr die unterhaltsamste Form, die man sich vorstellen kann, mit der Heillosigkeit dieser Welt umzugehen und unterzugehen. Wie immer bei Marthalers eigenen Stücken spielt Musik eine, wenn nicht die Hauptrolle. Das Repertoire reicht dieses Mal von schmalziger Filmmusik über banale Schlager bis hin zum Chor der Gralsritter. Das wird ganz großartig interpretiert vom gesamten Ensemble.

Musikalische Delikatessen

Phänomenal aber sind die beiden Pianisten Bendix Dethleffsen und Stefan Wirth. Es ist wirklich überwältigend, wie sie von der Titelmelodie von „Bilitis“ zum Matrosenchor aus dem „Fliegenden Holländer“ wechseln. Und phänomenal ist Stefan Wirths Finale furioso aus Beethovens drittem und Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, das in den Donauwalzer mündet, bis er Jean-Pierre Cornus Arie des Donners „Schwüles Gedünst“ aus „Rheingold“ begleitet.

„Um etwas zu ändern, muss man sich erinnern“, heißt es einmal. Aber aus der Finanzkrise von vor zehn Jahren haben wir nichts gelernt. Mit einem trotzigen „Weiter so“ taumelt die Menschheit dem Abgrund entgegen. Auf der Bühne verlieren sich die Marionetten der entfesselten Gier im All. Das „Digizän“, wie unser Zeitalter genannt wird, geht unter. Damit verstummt auch die Kakophonie aus unternehmensberaterischer Pseudopsychologie und inhaltsleerem Gezwitscher. Übrig bleibt ein seltsames Mischwesen aus Ammonith und Elefant. Kolossal-Kalmare übernehmen die Herrschaft.

Die Zürcher Zuschauer jubeln, manche jodeln gar ob dieser vergnüglichen Weltuntergangsfarce aus der Werkstatt Marthaler.

Aufführungen am 12., 15., 19., 31. Januar, 2., 15., 18., 21., 27. Februar. Telefon +41 44 258 77 77