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Sprachplauderei

Sprachplauderei: Bismarck und die Antike

Kultur / Lesedauer: 3 min

Sprachplauderei: Bismarck und die Antike
Veröffentlicht:06.10.2016, 18:49

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Bismarck sei Dank! Hätte er nicht Hamlet falsch zitiert, der wiederum Homer zitierte, so wären wir um eine Redensart ärmer. „Das ist mir Hekuba“, sagte der Kanzler 1887 im Reichstag, als es um Bulgarien ging. Sprich: Das ist mir egal. Und seither plappern es ganze Generationen von Bildungsbürgern nach. Aber eben nicht korrekt. Deswegen ist hier wieder einmal ein Ausflug in die Antike fällig.

Als Inbegriff der unvorstellbar leidgeprüften Mutter gilt in der Weltliteratur Hekabe oder – lateinisch – Hecuba/Hekuba. Allein 19 Söhne hatte die Königin von Troja ihrem Gatten Priamos geboren. Sie alle – an ihrer Spitze Hektor – kamen im Krieg gegen die Griechen um und auch fast alle ihrer Töchter. Nur eine, Kassandra, überlebte das Schlachten – aber auch nicht lange. Sie wurde vom griechischen Heerführer Agamemnon als Sklavin nach Griechenland verschleppt und dort ermordet.

Nun schildert Homer in seiner „Ilias“ (VI, 450 ff.) ein Zwiegespräch zwischen Hektor und seiner Frau Andromache, bei dem es um die Zeit nach dem Krieg geht. Das bittere Ende voraussahnend, erklärt er, ihn bekümmere das Leid der Trojaner, des Priamos und selbst seiner Mutter Hekabe weniger als das ihre, also das seiner künftigen Witwe. Diese Stelle greift wiederum Shakespeare in seinem „Hamlet“ (II,2) auf. Da wundert sich der Dänenprinz über einen Schauspieler, der bei der Schilderung von Hekubas Leid selbst zu Tränen gerührt ist. Und dann sagt er: What’s Hecuba to him or he to Hecuba! / That he should weep for her? („Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr, / Dass er um sie soll weinen?“). Will heißen: Warum nimmt jemand so viel Anteil an einer Person, die ihn doch eigentlich gar nichts angeht? Das hatte Bismarck im Ohr und dann bog er den Spruch halt noch ein bisschen für seine Zwecke zurecht.

Auch drei Kinder der Hekuba haben es übrigens – mal direkt, mal indirekt – zu Redewendungsehren gebracht: Sohn Paris musste beim edlen Wettstreit der drei Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite um den goldenen Apfel für die Schönste unter ihnen den Schiedsrichter spielen und sprach das Obst Aphrodite zu, was letztlich den Trojanischen Krieg auslöste. Deswegen reden wir vom Paris-Urteil und vom Zankapfel. Tochter Kassandra wiederum hatte als Mädchen den liebestollen Gott Apollo abgewiesen und wurde deshalb von ihm bestraft, fortan zwar alles Unheil vorhersehen zu können, aber nie Gehör zu finden. In den Kassandra-Rufen hallt ihr trauriges Schicksal nach. Schließlich sagt man von einem Draufgänger, der gehe ran wie Hektor an die Buletten. Wahrscheinlich ist dabei jedoch gar nicht der antike Held gemeint, sondern ein Wauwau, weil Hektor früher ein beliebter Hundename war. Aber wollen wir Bildungsbürger das ganz genau wissen? Sagen wir es mit Bismarck: Es ist uns Hekuba.