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Studioalbum

Patrice: „Schiebe dein Leben niemals auf“

Kultur / Lesedauer: 7 min

Der Sänger spricht über sein neues Album „Life’s Blood“ und seine Weltsicht
Veröffentlicht:25.09.2016, 20:56

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Mit „Life’s Blood“ erscheint am Freitag, 30. September, das neue Album von Reggaemusiker und Produzent Patrice. Schon immer hat sich der Künstler mit den Werten beschäftigt, die eine Gesellschaft prägen. Auch in seinem siebten Studioalbum träumt er von einer besseren Zukunft und von Frieden auf Erden. Eva-Maria Peter hat mit Patrice über Wiedergeburt, Politik und sein neues Album gesprochen.

Patrice, dein neues Album trägt den Titel „Life’s Blood“. Was möchtest du damit ausdrücken?

Dieses Album ist mein „Life’s Blood“, mein Blut des Lebens, weil meine ganze Leidenschaft und Liebe dort rein fließen. Übersetzt bedeutet „Life’s Blood“ auch Wasser. Wasser ist neben Luft das Wertvollste, was wir haben. Da wir es am meisten brauchen. Natürlich möchte ich meine Werte zum Ausdruck bringen. Geld ist nur ein Stück Papier, Wasser ist essentiell für unser Leben.

Wie unterscheidet sich dein neues Album von den bisherigen?

Vor allem der Sound unterscheidet sich und die Produktion. Für mich ist es sehr schwer zu beschreiben, wie genau. Ich habe einfach versucht, für mich das Rad neu zu erfinden. Ich breche bei jedem Album alte Routinen, um neue Wege zu gehen und neue Dinge auszuprobieren. Ich schreibe ja auch viel für andere Künstler. Dieses Mal habe ich sogar teilweise Stücke, die eigentlich für andere gedacht waren, für mich umfunktioniert.

Welcher Song wird am ehesten ein Hit werden?

Da streiten sich gerade noch voll viele Menschen drüber. Es ist sehr schwer, das vorauszusagen. Und ich mache doch einfach nur Musik. Hits sind nur wichtig, damit ich mich von einem bestimmten Druck befreien kann. Sie ermöglichen mir, mich besser ausleben zu können. „Burning Bridges“ , „Be With Me“ oder „Love Royalty“ vielleicht.

Wo entstehen deine Songs?

Mein Studio trage ich immer mit mir. Ich nehme überall auf. Stationäre Studios habe ich in London, Paris, New York und Köln . Ich nehme aber auch im Hotel oder im Tourbus auf. Wenn ich bestimmte Bläser dabei haben möchte, gehe ich für die Aufnahmen nach Jamaika. Meine String Arrangeurin lebt in London. Und die besten Streicher sind auch dort.

Du scheinst immer nur unterwegs zu sein. Wo ist deine Heimat?

Meine Heimat befindet sich immer in Bewegung. In Köln steht mein Elternhaus, aber ich habe keine Homebase. Ich brauche keine Heimat im klassischen Sinne.

Dein zweiter Song heißt „We Are The Future in The Present“. Was denkst du über die Zukunft?

Menschenkulturen werden dann gemischt sein. Ethnisch und kulturell. Jeder Mensch baut sich aus den vielen Kulturen seine ideale. Alle sind friedlich und alles wird grüner. Der Verkehr und wie wir leben, das alles sollte bewusster und besser werden. Die Extremisten und Radikalen werden auf der Strecke bleiben, weil sie nicht kompatibel sind. Das alles ist nur der Wunsch, veraltetes Denken auf das Heute und Morgen zu übertragen. Die Zukunft, die ich hier male, ist die, die wir bekämen, ließen wir den Dingen ihren natürlichen freien Lauf. Wir müssen daran arbeiten.

Du glaubst auch an die Wiedergeburt…

Nichts verschwindet wirklich aus der Welt. Es nimmt vielleicht eine andere Form an. Schau dir zum Beispiel die Natur an. Da ist überall eine Art Wiedergeburt. Ich weiß nicht, ob ich wiedergeboren werde. Aber an meinen Alben kann ich es erklären: Ich fange vor jedem Album wieder von null an und erfinde mich neu. Das ist ein bisschen wie eine Wiedergeburt.

In welche Gefühlslage versetzt dich die Musik?

Musik ist wie das Leben und hat nicht nur eine Stimmung. Musik hat einen extremen Einfluss darauf, wie wir uns gerade fühlen. Sie gibt unseren Zeitgeist wieder. Manche Lieder machen traurig, manche helfen über die Traurigkeit hinweg.

Welche Musik beeinflusst dich?

Ich höre mir sehr viel an. Es gibt wirklich vieles, was ich mag. Frank Ocean im Moment. Ich werde aber auch von Musik inspiriert, die mir nicht so gut gefällt. Aber es gibt einen, der mich von Anfang an und für immer am stärksten beeinflusst: Bob Marley .

Du hast schon bei politischen Events gespielt, beispielsweise als Barack Obama aufgetreten ist. Danach hast du diesen Auftritt angezweifelt. Gibt es Veranstaltungen, die für dich heute tabu sind?

Ich habe wegen der Menschen dort gespielt und wegen der „Yes We Can“-Einstellung, die in der Luft lag. Aber ich habe damals in Berlin ja nicht irgendeinen Wahlkampf unterstützt. Denn eigentlich spiele ich nicht auf klassischen politischen Veranstaltungen. Damals war Obama der erste schwarze Präsidentschaftskandidat und ein großer Hoffnungsträger. Das war ein legendäres Ereignis, und deshalb konnte ich das im Grunde mit meinem Gewissen vereinbaren. Für eine politische Partei würde ich niemals spielen.

Welche politischen Akzente möchtest du setzen?

Politik heute ist leider Zirkus. Ich glaube nicht an das politische System und würde nicht zu einer Wahl antreten. Politik ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Natürlich sage ich, wenn mir was missfällt. Ich versuche einfach, so gut wie möglich zu leben und Leute mit ehrlichen Gedanken zu inspirieren. Politik müsste für den Menschen greifbarer sein – einfach verlässlich und verfassungsgemäß, dann wäre alles gut.

Du warst als Kind auf dem Internat in Schloss Salem. Wie hat dich diese Zeit geprägt?

Das hatte einen großen Einfluss auf mich und mein Leben. Die Natur dort ist großartig. An den Bodensee erinnere ich mich noch gut. Da wäre ich einmal fast ertrunken, weil ich ihn ohne Schwimmweste mit einem Optimisten überqueren wollte. Das sieht viel näher aus, als es tatsächlich ist. Ja, ein bisschen verrückt war ich damals schon. Jedenfalls kam ich aus der Stadt dorthin, weil ich gerade am Abrutschen war. In Salem war ich in einem gesunden Umfeld und hatte geregelte Abläufe. Talente wurden dort richtig gut gefördert. Auch wenn ich anders drauf war als der Rest, wäre ich nicht da gewesen, wäre ich heute ein anderer.

Wie war das Erwachsenwerden für dich?

Ich bin nie richtig erwachsen geworden. Zumindest fühle ich mich nicht so. Ich denke, als Künstler muss ich auch nicht erwachsen werden. In der Musik habe ich den Freiraum, wie ein Kind zu sein. Aber mit meinen Kindern muss ich mich wirklich dazu zwingen, dass ich mich wie ein Erwachsener verhalte.

Wie lautet dein Rezept für ein glückliches Leben?

Schiebe dein Leben niemals auf. Lebe jetzt. Geh raus und versteck dich nicht. Alles wird am Ende des Tages gut sein.

Patrice Babatunde Bart-Williams wurde 1979 als Sohn eines Schriftstellers aus Sierra Leone und einer Deutschen in Köln geboren. Heute lebt der Künstler, der zwei Kinder hat, in Paris , New York und Köln. Geprägt von Bob Marley, Jimi Hendrix und Bob Dylan wuchs Patrice in Kerpen-Brüggen bei Köln auf und begann mit zwölf Jahren, seine ersten Songs zu schreiben. Als Jugendlicher spielte der heute 37-Jährige in verschiedenen Bands wie Afro-Beat oder bei der Reggae-Crew Bantu. Hier lernte er Matthias Arfmann kennen, der 1998 seine Debüt-EP „Lions“ produzierte. Im Jahr 2000 folgte sein Debütalbum „Ancient Spirit“, das Patrice den Weg auf etliche internationale Festivalbühnen bereitete. Es folgten noch sechs weitere Alben, und seine Arbeit als Produzent wuchs beständig. Live: 17.11. München, Muffathalle; 22.11. CH-Zürich, Härterei; 26.11. Stuttgart, Im Wizemann.

„Life’s Blood“ (Supow Music) ist das siebte Studioalbum von Patrice. Sehr wandelbar, dennoch unverkennbar ist seine Stimme. Bei „Be with Me“ fleht sie, jammert fast, in hoher Tonlage. Meistens aber geradlinig („Island“, „Out in The Open“), manchmal verträumt („Red Or Blue“, „Love Royality“). Der Sänger versucht sich auch im Sprechgesang („Meanin’“, „Still Wonderful“). Die Musikstile der 15 Albumsongs sind genauso vielschichtig. Diverse Bläser, Streicher, vor allem in „Love Your Love“, Percussion und Klangelemente machen jedes Lied besonders. Bei Patrice verwunderlich: Electro-Beats schieben sich in den Vordergrund („Guns & Tings“). Einen Kontrast dazu bietet Patrice’ Interpretation von Louis Armstrongs „What A Wonderful World“. Anspieltipp: „We Are The Future in The Present“, bei dem Patrice von einer Zukunft voller Frieden träumt.