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Otto Dix in Friedrichshafen auf den Stift geschaut

Kultur / Lesedauer: 5 min

Zeppelin Museum Friedrichshafen ehrt den Künstler zum 125. Geburtstag
Veröffentlicht:02.12.2016, 11:12

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Otto Dix war ein Augenmensch. Er malte immer das, was er sah: die Huren und die Heiligen, den Krieg und die Kinder, die Hölle und das Paradies, den Tod und die Geburt. Unter dem Titel „Alles muss ich sehen!“ präsentiert das Zeppelin Museum in Friedrichshafen jetzt erstmals seinen gesamten Dix-Bestand. Rund 400 Arbeiten aus allen Schaffensperioden des polarisierenden Künstlers umfasst die Kollektion. Auch wenn der Schwerpunkt auf der Grafik liegt, so beleuchtet die Ausstellung dennoch eindrucksvoll die wichtigsten Stationen in seinem bewegten Leben. Heute vor 125 Jahren, am 2. Dezember, wurde Otto Dix im thüringischen Gera geboren.

Das gab es ihm Zeppelin Museum noch nie: Die Räumlichkeiten im ersten Stock sind kaum wiederzuerkennen: Sie leuchten grasgrün, himmelblau oder violett, an den Übergängen sind sie durch gewagte Schrägschnitte verbunden. An einzelnen Stellen führt das zwar zu einem visuellen Overkill, aber im Prinzip ist die Umsetzung gut gelungen. Jede Wandfarbe steht für einen Schwerpunkt.

Radikal und altmeisterlich

Sechs große Themen sind es: Landschaft, Porträts, Städte, Akte, Heilige und Krieg – an all diesen Motiven hat sich Dix abgearbeitet. Für den Betrachter hat das den Vorteil, dass er Vergleiche ziehen kann. Otto Dix wird bis heute für seine radikalen Arbeiten aus den 1920er-Jahren im Stil der Neuen Sachlichkeit geschätzt. Aber er hat auch expressiv oder altmeisterlich gemalt. Der Maler war Professor an der Kunstakademie in Dresden , bis er von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt wurde. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Freiwilliger, im Zweiten wurde er noch 1945 zum Volkssturm eingezogen und geriet in französische Gefangenschaft.

275 Grafiken, 110 Zeichnungen und 21 Gemälde umfassen die Bestände in Friedrichshafen. Sie zählen damit weltweit zu den größten Dix-Sammlungen in öffentlicher Hand. Wobei knapp die Hälfte Dauerleihgaben von Firmen aus der Region sind. Das erste Werk stammt aus dem Jahr 1908, das letzte von 1968. Die berühmte „Vanitas“ von 1932 ist dabei, der erschütternde Radierzyklus zum „Krieg“ (1924), Frauenporträts und Skizzen von verschollenen Werken. Wer hätte gedacht, dass das Haus einen solchen Schatz hütet! Jetzt, zum 125. Geburtstag des Künstlers, wird er erstmals komplett gezeigt.

Inhaltlich hat Kuratorin Ina Neddermeyer die Werkschau mit dem programmatischen Titel „Alles muss ich sehen!“ gegen den Strich gebürstet. Los geht es mit der Landschaft. Sie spielte eine wichtige Rolle, vor allem ab 1933, als der Künstler mit seiner Frau Martha und den drei Kindern an den Bodensee floh und dort bis zu seinem Tod 1969 lebte.

Otto Dix war hier aber nicht glücklich. Er fand die Gegend „zum Kotzen schön“ und stand vor der Landschaft „wie eine Kuh“. Die meisten dieser Bilder sind bieder. Nur manchmal gelingen ihm Seelenlandschaften als Ausdruck seiner persönlichen Krise.

Immer wieder nackte Frauen

Dix war ein Großstadtmensch. Zahlreiche Blätter zeigen das städtische Leben mit seinen Abgründen, Scheinwelten und den Orten der Zerstreuung, wie Bordelle, Bars, Cafés, Jahrmärkte. Selbst als er in Hemmenhofen lebte, zog es ihn immer wieder in die Stadt, vor allem nach Dresden. Dass er dort ein Doppelleben mit einer Frau namens Käthe und gemeinsamer Tochter führte, erfährt man in Friedrichshafen nur am Rande: Ein Brief mit wüsten pornografischen Zeichnungen an diese Geliebte ist in einem Schaukasten zu sehen. Dix hat seiner Käthe fast täglich geschrieben. Diese Korrespondenz ist noch bis 2040 unter Verschluss.

Der weibliche Akt begeisterte den Künstler in den verschiedensten Ausprägungen: Junge und Alte, Dicke und Dürre, Schöne und Hässliche. Dix porträtierte die Frauen schonungslos. Ein berühmtes Beispiel: das Gemälde „Vanitas“, das eine nackte junge Frau und dahinter schemenhaft eine alte zeigt – das Hauptwerk der Sammlung. Viele seiner Zeichnungen und Drucke haben aber nichts mehr mit Eros zu tun, sondern sind von Geilheit geprägt, betrachten die Frau als Objekt. Angeblich konnte Dix von keinem weiblichen Wesen die Finger lassen. Nicht selten lösten diese Motive wegen unzüchtiger Darstellung Skandale aus, so etwa „Am Spiegel“ von 1922. Das Zeppelin Museum besitzt von diesem Motiv einer Hure in Reizwäsche eine Radierung, das Gemälde dazu ist bis heute verschollen.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählt eine Vielzahl von Recto-Verso-Bildern, wie „Der Arbeitslose“ von 1920, auf dessen Rückseite sich eine 1912 entstandene Parklandschaft verbirgt. Ein interessantes Blatt mit Vorstudien zum spurlos verschwundenen Gemälde der „Kriegskrüppel“ gehört ebenfalls dazu. Nicht alle diese Arbeiten sind künstlerisch bedeutend, aber man kann Dix hier wirklich auf den Stift schauen.

Starker Strich

Wie stark sein Strich war, ist auch bei den Porträts festzustellen, die ebenfalls nicht schmeichelhaft waren. In Schaukästen und Schubladen sind die Skizzen ausgelegt, sodass der Betrachter sie in aller Ruhe aus der Nähe begutachten kann. Von einem Abend mit Theodor Heuss wird ein misslungener Entwurf gezeigt, den der Künstler selbst durchgestrichen hat. Tatsächlich trifft die zweite Version den einstigen Bundespräsidenten deutlich besser.

Auch bei sich selbst kannte Dix keine Gnade – seine Selbstbildnisse sind viel härter als die Bilder seiner Frau Martha und seiner Kinder Nelly, Ursus und Jan . Mit zunehmendem Alter wurde er immer grimmiger.

Otto Dix war nicht glücklich am Bodensee. Bis zu seinem Tod war ihm die ländliche Idylle verhasst. Noch 1953 klagt er in einem Brief: „Es ist doch eine Saugegend hier.“ Welche Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Friedrichshafen eine der größten öffentlichen Dix-Sammlungen besitzt. Wobei der Schwerpunkt wohlgemerkt auf der Grafik liegt. Seine malerischen Hauptwerke finden sich in Stuttgart und anderswo.

Die Ausstellung „Otto Dix – Alles muss ich sehen“ im Zeppelin Museum dauert bis 17. April 2017. Öffnungszeiten: Di.-So. 10 - 17 Uhr. Katalog: 19,90 Euro. Infos zum Begleitprogramm unter:

www.zeppelin-museum.de