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Ohrwurmtaugliche Melodien von Radio Doria

Kultur / Lesedauer: 6 min

Jan Josef Liefers und seine Band Radio Doria liefern tiefgründige Texte zu ohrwurmtauglichen Melodien
Veröffentlicht:20.09.2014, 10:06

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Jan Josef Liefers begeistert sich nicht nur für Film, sondern auch für Musik. Vor gut einer Woche ist das neue Album seiner Band Radio Doria erschienen. Simone Dürmuth hat mit ihm und Bandkollege Gunter Papperitz über den Bandnamen, Inspiration und die Tourvorbereitungen gesprochen.

Aus Oblivion wurde Radio Doria – wie kam das?

Liefers: Der Name „Oblivion“ war tatsächlich bereits geschützt. Und zwar von einer amerikanischen Metal-Band. Sie haben ungefähr zur selben Zeit wie wir angefangen, Musik zu machen. Jetzt hätte man einen endlosen Rechtsstreit vom Zaun brechen können, wer nun den Namen verwenden darf. Und dann haben wir uns angeschaut und uns gefragt, haben wir darauf Lust? Nein! Außerdem machen wir schon seit zehn Jahren zusammen Musik. Nach zehn Jahren legen wir quasi unser Debütalbum vor, das komplett aus selbstgeschriebenen Stücken besteht. Wir sind nun an einem Punkt angekommen, den wir auch mit einem neuen Bandnamen markieren wollten.

Wie kommen Sie auf den Namen?

Liefers: Ich habe mich früher gerne mit einem alten Weltempfänger beschäftigt. Damit konnte ich auf Kurzwelle die abenteuerlichsten Sender empfangen. Man machte eine Weltreise, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Die Fantasie läuft dabei auf Hochtouren. Und Radio Doria ist eine Verwürfelung von Buchstaben. Das ist ein Spiel mit Bedeutungen. Das passt dazu, wie wir uns in den letzten Jahren entwickelt haben.

Also hat der neue Titel nichts mit der Folksängerin Doria Roberts zu tun, die ein Album mit dem Titel „Radio Doria“ gemacht hat?

Liefers: Aaah, bei Amazon geschaut. Das haben wir tatsächlich auch erst hinterher bemerkt. Nein, das hat nichts miteinander zu tun.

Papperitz: Wahrscheinlich wird uns jetzt der Rechtsstreit ereilen, dem wir aus dem Weg gehen wollten. (lacht)

Radio Doria – „Die freie Stimme der Schlaflosigkeit“ ist das erste Album mit selbst geschriebenen Songs. Wie hat das funktioniert?

Papperitz: Als es hieß, wir möchten gerne neue, eigene Songs haben, das war ein bisschen so, wie man es aus der Schule kennt, so mit Gruppenarbeit. Da kam der eine mit ein paar Akkorden, ein anderer hatte vielleicht eine Melodie. Uns war wichtig, dass wir zusammen an einem Ort waren. Wir sind nach Halberstadt gefahren, einem Ort, den wahrscheinlich die wenigsten auf ihrer persönlichen Landkarte haben. Wir waren in einem alten Klostergemäuer in riesigen, halligen Räumen, da konnte man sich der Arbeit wunderbar überlassen. Und nebenan war eine kleine Kirche, in der dieses John Cage Projekt stattfindet, wo Leute versucht haben, den Titel eines Stückes von John Cage wörtlich zu nehmen. Es heißt „As Slow As Possible“. Da spielt eine kleine Orgel ein Stück über 600 und ein paar Jahre. Da kommen hauptsächlich stehende Pfeiftöne raus.

Hat Sie das beeinflusst, dass da große Kunst direkt in der Nachbarschaft gemacht wurde?

Papperitz: Das geht nicht spurlos an einem vorbei, wir haben uns das angeschaut. Man kommt in so einer Situation, völlig abseits von dem, was man sonst im urbanen Umfeld erfährt, natürlich auf ganz andere Gedanken. Eine andere wichtige Situation war an der Ostsee, als wir den Blutmond gesehen haben, der riesengroß und blutrot über dem Meer stand. Und da haben wir uns gefragt, was wird gewesen sein, wenn das das nächste Mal passiert? Was werden wir bis dahin angestellt haben? Das sind Anstöße, die sich auf dem Album wiederfinden, die man unter Umständen im eigenen Umfeld und im eigenen Alltag gar nicht hat. Darum war es für uns wichtig, uns zurückzuziehen, uns rauszunehmen und aufeinanderzuhocken, zu brüten. Was wir jetzt hören, ist das Konglomerat dessen, was wir da zusammengebacken haben.

Auch mit Gisbert zu Knyphausen haben Sie zusammengearbeitet. Haben Sie sich viele Einflüsse von anderen Künstlern abgeholt?

Liefers: Es waren drei, die ihre textlichen Spuren hinterlassen haben. Das war für mich eine sehr gute Erfahrung, weil ich immer überzeugt war, ich müsste alle Texte alleine schreiben – niemand sonst könnte mich so gut genug verstehen, um mir dabei zu helfen. Es war eine Erleichterung mit jemandem, den man mag und schätzt, über Texte zu reden. Es sind manchmal Anstöße, eine Zeile, ein Wort oder ein Vers, und auf einmal platzt der Knoten und man kommt weiter.

Mich würde noch interessieren, von wem die Texte stammen.

Liefers: Die Texte sind meine Baustelle. Sie sind nah an mir dran. Wenn man in einer Band singt, ist es doch ein entscheidender Punkt, dass die Texte etwas mit dem Sänger zu tun haben. Ich möchte Dinge ausdrücken, die weit über die Schauspielerei hinausgehen. Dinge, über die ich nachdenke und die mich nicht loslassen. Ich habe zum ersten Mal Songtexte auf Deutsch geschrieben. Jedes Wort ist also sofort in seiner Bedeutung verständlich. Du willst aber auch keine Plattitüden von dir geben. Es soll einfach sein, aber nicht nach Schlager klingen, aber auch nicht zu verkopft werden und ein bisschen Poesie soll auch sein. Und dann setzt du dich hin und merkst: Das ist gar nicht so einfach. Und dann kämpfst du manchmal wochenlang um eine Zeile. Und andere Sachen wieder schreibst du in anderthalb Stunden komplett fertig.

Mich würde ein bestimmter Text noch genauer interessieren und zwar „Unbeschreiblich“. Hier gibt es die Textzeile „Ich habe den Krieg gesehen“. Wie ist dieser Song entstanden?

Liefers: Die letzte Strophe dieses Liedes hat mit den Eindrücken zu tun, als ich in Aleppo in Syrien war. Ich habe in Berlin einen bekannten Kriegsreporter kennengelernt, der mitten reingeht in die schrecklichsten Kämpfe und die Wahrheit über das Gesicht des Krieges dokumentiert. Er erzählte, dass im Krieg geborene Babys hungern, weil ihre Mütter sie nicht stillen können – wegen des unbeschreiblichen körperlichen Stresses, den das Überleben im Krieg bedeutet. Außerdem wollte ich herausfinden, was die Menschen dort sich von uns Deutschen politisch wünschen würden. Wir haben zum Glück überhaupt keine Vorstellung, was Krieg bedeutet. Wir konnten unseren Babynahrungstransport nur umsetzen, weil uns ein Journalist sehr verantwortungsvoll seine Kanäle zur Verfügung stellte, um in dieses Land überhaupt reinzukommen, mit einer halbwegs guten Aussicht, heil wieder rauszukommen. Das gehört zu den Dingen, die unbeschreiblich sind. Und die Geburt meiner Kinder würde ich auch als unbeschreiblich bezeichnen.

Noch eine Frage: Wie laufen die Tourvorbereitungen?

Papperitz: Die Vorbereitungen sind sehr spannend. Ich habe für dieses Interview gerade den Proberaum verlassen. Es wird immer wieder dazu kommen, dass sich Dinge am Programm ändern und etwas umgeschmissen wird. Aber wir sind schon sehr gut eingespielt. Und wir freuen uns auch total darauf.

Liefers: So ist es.