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Gitarrenpop

New-Model-Army: „Jeder Deutsche ist hoffnungslos romantisch“

Kultur / Lesedauer: 6 min

New-Model-Army-Sänger Justin O’Sullivan über politische Songs und deutsche Fans
Veröffentlicht:10.03.2017, 16:11

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Verzerrte Gitarren, verspielte Folksongs zwischen Punk und Gitarrenpop, dafür steht New Model Army. Ihre Sozialkritik in Songs wie „51st State“, „Vagabounds“ oder „White Coats“ hat die 1980 im nordenglischen Bradford gegründete Formation bekannt gemacht, doch als politische Band verstehen sich die Musiker ganz und gar nicht. Benjamin Wagener hat mit Justin O’Sullivan, dem Sänger und kreativen Kopf der Gruppe, gesprochen – und sich mit dem 60-Jährigen über Brexit, den Einfluss von Rockbands und die hoffnungslose Romantik der Deutschen unterhalten.

Sie haben Ihre Band 1980 nach der Revolutionsarmee des umstrittenen britischen Freiheitshelden Oliver Cromwell benannt. Warum?

Um ehrlich zu sein, wir hatten keinen großen Plan. Wir wollten damals zwei Gigs in einem Pub spielen und brauchten einen Namen. Natürlich war die Zeit, in der wir die Band gründeten, hochpolitisch – vor allem in Nordengland.

Die frühen 1980er-Jahre waren die Zeit von Premierministerin Margaret Thatcher. Ihre Wirtschaftspolitik veränderte England grundlegend, sie privatisierte Staatsunternehmen und brach die Macht der Gewerkschaften. Tausende von Stahlarbeitern und Bergleuten verloren ihre Jobs. War die Wut über die Not der Menschen die Triebfeder von New Model Army?

Nein. Viele Leute denken das, und es gab auch einige Bands, die sich deswegen gründeten. Bei uns war das anders. Wir interessieren uns für die Welt, aber wir sind keine politische Band. Uns ging es in erster Linie immer um die Freude, Musik zu machen – um nichts anderes.

In Ihren Songs äußern Sie sich aber sehr wohl zu den Problemen der Welt. Ist New Model Army in diesem Sinne nicht doch politisch?

Wir haben kein politisches Programm. Wir kämpfen nicht für eine bestimmte Sache. In unseren Texten nehmen wir auch die Position von Leuten ein, deren Meinung wir nicht teilen. In „My People“ spricht ein überzeugter Nationalist, in „One of The Choosen“ ein religiöser Fundamentalist. Das Ziel ist, Menschen dazu zu bringen, über Dinge nachzudenken und sie zu verstehen – und der beste Weg, das zu tun, ist das Erzählen von Geschichten. Das tun unsere Songs.

Der bekannteste Song von New Model Army, die Coverversion von „51st State“, geißelt die bedingungslose Anbiederung von Großbritannien an die USA. Der Song entstand in den 1980ern, heute verlässt das Vereinigte Königreich die Europäische Union, und Premierministerin Theresa May konnte es nicht erwarten, US-Präsident Donald Trump in Washington zu besuchen.

Es ist unglaublich, welche Wendungen der Lauf der Welt manchmal nimmt. Als wir in der Zeit nach der Finanzkrise 2008 unser Album „Today Is A Good Day“ veröffentlichten, habe ich gedacht, dass die Menschen mehr verstanden hätten. Die Welt war an einem Punkt, an dem man hätte erkennen können, wie das Weltfinanzsystem funktioniert, dass es eben nicht allen nützt, sondern nur einem Teil. Doch dann entschied sich die Welt, nichts zu verändern und alles so weiterlaufen zu lassen. Wenn man das bedenkt, ist eine Theresa May vielleicht doch nicht so überraschend.

Hat Sie der Brexit überrascht?

Nein, ganz und gar nicht. Ich war sehr niedergeschlagen, aber ich hatte es erwartet, befürchtet. In dem Moment als Premierminister James Cameron das Referendum ankündigte, war klar, dass es so laufen würde. Für Cameron war es ein politisches Manöver, er hatte sich da schon so weit von den Leuten entfernt. Er hat die Ängste der Menschen nicht ernst genommen.

Vor allem das Thema Einwanderung hat die Brexit-Debatte geprägt.

Die Geschichte der Immigration nach Großbritannien reicht weit zurück. Und auch in den vergangenen Jahren kamen viele Einwanderer aus Europa zu uns. Sie helfen der englischen Wirtschaft, sie arbeiten, zahlen Steuern. Aber die Politik hat diese Steuergelder nicht genutzt, um die Infrastruktur den steigenden Bevölkerungszahlen anzupassen. Im Gegenteil: Sie hat gespart und zusammen mit rechtsnationalen Medien die Immigranten für überfüllte Schulen und marode Krankenhäuser verantwortlich gemacht. Und die Menschen haben all das geglaubt.

Aber es kommen nicht nur fleißige Immigranten, sondern auch Terroristen nach Europa. Deren Hass gilt den westlichen, offenen Gesellschaften.

Der Glaube, dass eine kleine Gruppe von Menschen unsere westliche Zivilisation zerstören kann, ist paranoid. Terrorismus funktioniert, indem die Terroristen eine Reaktion provozieren – und wenn diese Reaktion über das Ziel hinaus schießt, ist das Ziel erreicht. So verunsichern Terroristen Gesellschaften. Richtig reagieren wir, wenn wir nicht überreagieren. Terroristen haben der Welt nichts zu bieten. Ihr Nihilismus will nur zerstören und die Welt in die Knie zwingen.

Können Songs an diesen Problemen etwas ändern?

Niemand hört einen Song und ändert deswegen seine Meinung. Aber Songs schaffen ein Gemeinschaftsgefühl. Auf Konzerten treffen sich Menschen, und die Musik bestärkt sie in ihrer Haltung gegen den Brexit, gegen Trump und all die rechten Idioten. Unsere Lieder sind Teil dieses Prozesses.

Im Song „Burn The Castle“ Ihres im August erschienenen Albums „Winter“ plündern Menschen ein Schloss. Wessen Schloss ist es? Das Schloss von Bill Gates? Das Schloss der Googles und Apples dieser Welt?

Weder noch. Das Schloss in „Burn The Castle“ hat keinen König. Es geht nicht um den einen Mächtigen oder Reichen: Es geht um die Atmosphäre, dass die Welt gerade alles niederreißt, was sie aufgebaut hat, dass sie alles zerstört, was zum Establishment gehört. Es ist die Atmosphäre, die zum Brexit geführt hat.

„Here Comes The War“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Hunger in der Dritten Welt. Sie haben den Song in den 1990er-Jahren geschrieben. Hat sich seitdem etwas geändert?

Wir haben den Song nun sechs, sieben Jahre nicht mehr gespielt. Heute ist der erste Abend der neuen Tour, und „Here Comes The War“ ist wieder im Programm. Es ist der richtige Song zur richtigen Zeit.

Warum stehen Sie mit Ihrer Band immer noch auf der Bühne?

Weil ich es liebe. Um ehrlich zu sein, es ist auch nach 37 Jahren immer noch das Gleiche: Auf der Bühne zu stehen und mit Menschen, die ich mag, Musik zu machen, fühlt sich großartig an.

Wie unterscheidet sich das englische vom deutschen Publikum?

In England sind die Fans weniger gnädig und wollen mehr tanzen. In Deutschland stehen die Leute mehr herum und schauen zu – dafür ist das Gemeinschaftsgefühl größer.

In keinem anderen Land – außer England – hat New Model Army so viele Fans wie in Deutschland. Warum ist das so?

Ich glaube, dass die deutsche Natur von einem Widerspruch gekennzeichnet ist. Deutsche sind geradeheraus, präzise, sie bauen die besten Autos, die besten Maschinen, sind immer tough. Auf der anderen Seite ist jeder Deutsche, den ich getroffen habe, hoffnungslos romantisch. Es ist dieser Widerspruch aus Direktheit und Romantik, der sich durch die gesamte deutsche Kulturgeschichte zieht. Und dieser Widerspruch findet sich auch bei unserer Musik: einerseits hart und direkt, andererseits hoffnungslos romantisch.

Live: New Model Army spielen am Mittwoch, 15. März, von 20 Uhr an im Oberschwabenklub in Ravensburg. Support: Antiheld. Tickets kosten 29,90 Euro und sind online erhältlich unter www.schwaebische.de/tickets oder telefonisch via 0751/29 555 777.

Info: www.newmodelarmy.org